Marco Balzano - Wenn ich wiederkomme / ‎Quando tornerò

  • Kurzmeinung

    Marie
    Der Preis, den die Familien UND die Mütter zahlen, die den Kindern nichts recht machen können.
  • Kurzmeinung

    Bellis-Perennis
    Ein berührendes und beeindruckendes Buch, das unbedingt gelesen werden sollte.
  • Kurzbeschreibung


    Sie lassen die eigene Familie zurück, um sich um fremde Menschen zu kümmern – die Frauen aus Osteuropa. Daniela ist eine von ihnen. Sie arbeitet in Mailand, rund um die Uhr, ist zuverlässig und liebevoll als Pflegerin und als Kinderfrau. Doch je mehr sie fremden Familien hilft, desto heftiger vermisst sie die eigenen Kinder. Als ihrem heranwachsenden Sohn etwas zustößt, muss sie eine Entscheidung treffen.



    Autor


    Marco Balzano, geboren 1978 in Mailand, ist zurzeit einer der erfolgreichsten italienischen Autoren. Er schreibt, seit er denken kann: Gedichte und Essays, Erzählungen und Romane. Neben dem Schreiben arbeitet er als Lehrer für Literatur an einem Mailänder Gymnasium. Mit seinem Roman ›Das Leben wartet nicht‹ gewann er den Premio Campiello, mit ›Ich bleibe hier‹ war er nominiert für den Premio Strega. Er lebt mit seiner Familie in Mailand.



    Meine Meinung


    Das hat sie für uns getan


    Für mich war es schwierig in das Buch zu finden, denn es begann nicht mit der vermeintlichen Hauptperson, der Mutter, die ihre Familie in Rumänien zurückließ, um in Italien Geld zu verdienen, damit es den Daheimgebliebenen besser ging, sondern der Sohn Manuel bekam zuerst das Wort. Als dann die Mutter erzählen durfte sprang die Story häufig zwischen der berührenden Gegenwart und der Vergangenheit in Italien. Im dritten großen Abschnitt erhielt die Tochter Angelica eine Stimme.


    Der Klappentext hat mich neugierig auf dieses Buch gemacht. Ich wollte etwas über eine Mutter erfahren, die wegen des Geldes ihre Familie heimlich verlassen hat, nur zu kurzen Besuchen heimkehrte und die versuchte, den Kontakt bzw. die Erziehung mittels Telefon aufrecht zu erhalten. Aber natürlich interessierte mich auch das Leben der zurückgebliebenen Familienteile, die in ihrer Situation in Rumänien nicht alleine sind, nein es gab in ihrem Umfeld mehr Mütter, die zum Arbeiten nach Italien sind. Für mich kam leider kein richtiger Lesefluß zustande und die Figuren blieben mir zu distanziert. Die Erzählweise hatte mir zu viele Längen, der Part der Mutter sprang mir zuviel hin und her und trotz der momentanen schwierigen Situation traut sich keiner die entscheidende Frage zu stellen.


    Sehr gut, aufschlußreich und interessant fand ich aber das Nachwort des Autors und seine Beweggründe für diesen Roman samt der Erklärung des Italiensyndroms und der Eurowaisen. Das hat für mich mein Urteil etwas „herumgerissen“ und aus dem ganzen eine runde Sache gemacht. Nichtsdestotrotz bleibt für mich mein Lieblingsbuch des Autors „Ich bleibe hier“.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Marco Balzano - Wenn ich wiederkomme“ zu „Marco Balzano - Wenn ich wiederkomme / ‎Quando tornerò“ geändert.
  • Zerrissene Familien


    Diogenes legt uns ein schmerzhaftes Buch vor. In Osteuropa müssen viele Erwachsene ihre Kinder verlassen, entweder in der Obhut von Anverwandten oder ganz allein, und im westlichen Ausland Arbeit zu suchen. Die Probleme die sich daraus ergeben sind das Thema dieses wunderschönen doch auch schmerzhaften Romans.


    Es sind mannigfache Probleme. Im Heimatland bleiben die Kinder praktisch Waisen zurück, die paar Wochen die die Eltern im Jahr wieder zurückkehren sind viel zu wenig, um die Bindung Mutter-Kind oder Vater-Kind wieder herzustellen. Die Eltern entfremden sich von den Kindern. Schlechte schulische Leistungen, Verwahrlosung, Entwurzelung sind die Folgen auf Seiten der Kinder. Und die Eltern? Es sind hauptsächlich Frauen, die ihre Familie zurücklassen, von der materiellen Not und Arbeitslosigkeit oder zu geringer Verdienst, um die Familie durchzubringen, um in der Fremde Arbeit zu suchen. Untrainiert aber voll guten Willens, beginnen sie alte Menschen zu pflegen. Neben den körperlichen Gebrechen der Patienten, müssen sie auch mit Demenz, Alzheimer oder Krebs der Menschen die sie pflegen, fertig werden. Sie sind ungeschult, haben von häuslicher Pflege keine Ahnung, aber sie packen es an. Meistens arbeiten sie illegal, die Arbeitgeber weigern sich, diesen Frauen einen Vertrag zu geben, so können sie sich auch nicht wehren, wenn sie plötzlich entlassen werden, sei es, weil der alte Mensch stirbt, oder ins Krankenhaus kommt oder eine Äthiopierin die Pflege für weniger Geld macht. Dabei werden diese osteuropäischen Frauen ständig von Sorgen um die Familie daheim geplagt: ob die Kinder gut in der Schule zurechtkommen, ob es den Großeltern gelingt, die Kinder vor der Verwahrlosung zu bewahren, ob die Kinder nicht ins verbrecherische Milieu abrutschen, ob der Ehemann zu Hause Arbeit sucht oder das geschickte Geld versäuft, usw.


    Marco Balzano hat sich dieser Problematik angenommen, er lässt sowohl die Kinder als auch die Mutter zu Wort kommen. Wir erleben mit Daniela, die in Italien alte Menschen pflegt oder als Kindermädchen arbeitet und mit ihren Kindern, Manuel und Angelica, die in Rumänien Schule, respektive Hochschule besuchen. Alle drei erzählen ihre Geschichten unaufgeregt, leise, wie ihr Leben. Sie bäumen sich nicht auf, sie wissen alle drei, die Mutter muss im Ausland arbeiten, damit die Kinder in Rumänien gute Schulen besuchen können, damit sie studieren können, obwohl es so schwer und schmerzhaft ist, ohne Mutter zu sein. Sie bringen alle auf ihre Art Opfer, unaufdringlich, bescheiden.


    Und genau das ist es, was dieses Buch so ergreifend macht. Ohne Pathos und große Gefühle lautstark zu verkünden, lernen wir liebenswerte und liebevolle Menschen kennen, die exemplarisch für tausende Frauen aus den osteuropäischen Ländern stehen.

  • Alles für die Familie

    Daniela lebt mit ihrer Familie in Rumänien. Die Gegend ist arm, Jobs sind rar gesät. Ihr Ehemann ist seit Jahren arbeitslos, sie ist allein dafür verantwortlich, die Familie zu ernähren. In einer Nacht- und Nebelaktion verlässt sie Rumänien, um wie tausende andere osteuropäische Frauen in Italien als Altenpflegerin zu arbeiten. Vor allem ihr Sohn Manu trägt ihr dies nach. Er versteht nicht, wie die Mutter sie zurücklassen konnte, um sich -vermeintlich – in Italien ein schönes Leben zu machen. Manu, der immer ein guter Schüler war, lässt in seinen Leistungen nach. Angelica, die ältere Schwester, kommt besser mit der Situation klar. Dann macht sich auch noch der Vater auf und davon, um anderswo Arbeit zu finden. Fortan kümmern sich die betagten Großeltern, vor allem der Großvater, um die beiden Jugendlichen.


    Der erste Abschnitt des Buchs wird aus Manus Perspektive erzählt, im zweiten kommt die Mutter Daniela zu Wort. Der Leser erfährt, welch hartes Leben sie in Italien führt. Sie arbeitet schwarz und ist praktisch rund um die Uhr für den alten Mann verantwortlich, dessen Pflegerin sie ist. Das Highlight ihrer Tage sind die abendlichen Telefongespräche mit der Heimat, doch Manu wird immer einsilbiger, er „bestraft“ sozusagen die Mutter für ihren angeblichen Verrat. Daniela nimmt all die Strapazen auf sich, weil sie möchte, dass ihre Kinder es einmal besser haben sollen als sie, sie will ihnen eine gute Schulbildung ermöglichen. Angelica ergreift die Chance und studiert, doch Manu hat kein Interesse am Gymnasium, das er besucht. Er würde am liebsten auf die Landwirtschaftsschule wechseln und wie sein Großvater das Land bearbeiten. Als der Großvater stirbt, bricht Manus Welt zusammen. Dann geschieht ein Unglück und Daniela kehrt nach Rumänien zurück. Viel ist in der Zwischenzeit passiert, die Kinder haben sich von ihr entfremdet, der Mann ist weg, die Heimat fühlt sich nicht als solche an. Hat sich ihr Opfer gelohnt? War es die richtige Entscheidung, nach Italien zu gehen? Diese und viele weitere Fragen wirft dieses eindringliche Buch auf, das die Situation der vielen Pflegekräfte aus dem Osten beleuchtet. Ein ganz und gar lesenswertes Buch, das unter die Haut geht. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Entfremdung von der eigenen Familie

    Die Rumänin Daniela ist die ärmlichen Verhältnisse, in denen sie mit ihrer Familie lebt, leid und verlässt in einer Nacht- und Nebelaktion ihre Heimat, ihren Mann und ihre Kinder, um in Italien als Altenpflegerin Geld zu verdienen und somit die finanzielle Situation aufzubessern. Besonders ihre Kinder sollen davon profitieren. Zunächst läuft alles noch gut, die Kinder freuen sich über ein wenig westlichen Luxus und ihr Mann fängt an, das Haus zu renovieren. Aber schon bald verlässt auch der Vater die Familie, um im Osten Geld zu verdienen. Mehr und mehr entfremden sich die Kinder von ihrer Mutter und versagen ihr sogar weitgehend den gewünschten persönlichen Kontakt per Telefon. Was bleibt, ist nur oberflächliches Gerede.

    Zunächst wird das Leben der Kinder beleuchtet, die ohne elterliche Führung zurechtkommen müssen, wobei Sohn Manuel gerade in der Pubertät steckt und Unterstützung gebrauchen könnte. Er leidet am schlimmsten, er erscheint mir einsam und hilflos, besonders nachdem dann sein geliebter Opa noch stirbt. Ohne jegliche Zuwendung wird er depressiv und versucht, diesem Zustand zu entfliehen. Mit schrecklichem Ergebnis!

    Seine ältere Schwester Angelica erträgt die Situation besser, sie hat einen Freund und studiert, so dass sie nicht in Einsamkeit verfällt. Trotzdem wird auch von ihr viel verlangt, denn sie muss sich um alles kümmern und nebenbei studieren. So entwickelt sich ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihrer Mutter. Während sie früher ihre Vertraute in ihr sah, geht sie nun auf Abstand und nimmt ihr Lebensglück selbst in die Hand, soweit es geht.

    Im zweiten Teil sehen wir die Geschehnisse aus Sicht der Mutter, und meine Gefühle sind hier zwiegespalten. Auf der einen Seite sehe ich sie als mutige und aktive Frau, die sich für ihre Familie mancher Entbehrung unterzieht, auf der anderen Seite zeigt sich mir eine gewisse Rücksichtslosigkeit und Dominanz. Sie bestimmt über das Leben der anderen, bzw. sie möchte darüber bestimmen, denn immer klappt es nicht. Sympathisch ist Daniela mir nicht, obwohl ich ihre Beweggründe gut verstehe. Ihre anfänglichen Träume platzen, und was bleibt übrig?

    Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen, der Autor versteht es, die Emotionen der Protagonisten deutlich werden zu lassen. Man fühlt sich in diesem Roman verankert und empfindet mit den Personen, variierend zwischen Mitleid, Verständnis bis hin zur Verachtung. Auf diese Weise hat mich das Buch regelrecht gefesselt, und ich habe es als spannend und informativ empfunden. Informativ insofern, als ich einen Einblick in das schwierige Leben der Pflegekräfte aus Osteuropa bekommen habe.

    Ein sehr lesenswerter Roman!

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Der Preis für ein besseres Leben


    Heimlich verlässt Daniela ihre Familie um in Italien als Altenpflegerin zu arbeiten. Der Job soll ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen; eine gute schulische Ausbildung und ein Leben ohne finanzielle Probleme. Doch der 14-jährige Sohn Manuel und seine acht Jahre ältere Schwester Angelica können die Entscheidung ihrer Mutter nicht akzeptieren. Das Gefühl verlassen zu werden verstärkt sich, als kurze Zeit später auch der Vater weggeht, um in einem fremden Land nach Arbeit zu suchen.


    Auch Daniela ist in Italien unglücklich. Sie vermisst ihre Familie und leidet unter der spürbaren Ablehnung ihrer Kinder. Als sie vom schweren Unfall ihres Sohnes erfährt, fährt sie sofort nach Rumänien zurück.


    Im Krankenhaus weicht sie nicht vom Bett ihres schwer verletzten Sohnes ab und erzählt Manuel, der nicht ansprechbar ist, ihre Geschichte. Es ist eine bewegende Geschichte, die Danielas Beweggründe und ihre Pläne klar und überschaubar macht. Trotzdem kann mich Daniela als Mutter nicht überzeugen. Zwar kann ich ihre Gefühle und Ängste besser verstehen, aber mir fehlt das Verständnis für ihr Verhalten.


    Der Grund dafür ist mit aller Wahrscheinlichkeit der Anfang dieser Geschichte, der aus Sicht von Manuel im ersten Teil des Romans erzählt wird. Der Titel dieses Abschnitts „Wo bist du“ unterstreicht klar und deutlich, wie schmerzhaft Mutters heimliches Weglaufen für den 14-jährigen Manuel ist. Es ist der Teil des Romans, der mich am meisten berührt hat.


    Im dritten Teil des Buches kommt Angelica zu Wort. Auch bei ihr haben die Entscheidungen der Eltern tiefe Spuren hinterlassen und neue Weichen für ihre Zukunft gestellt.


    In dem Roman „Wenn ich wiederkomme“ spricht Marco Balzano einige wichtige Probleme unserer europäischen Gesellschaft an. Es ist vor allem die Migration auf der Suche nach Arbeit. Und es ist auch die immer älter werdende Gesellschaft, die Pflege und Betreuung benötigt. Diese undankbaren Aufgaben übernehmen vor allem Frauen aus den Ländern, in denen der Lebensstandard niedriger ist als in dem ersehnten „Traumland“. Im Roman von Marco Balzano ist Italien dieses Traumland. Danielas Traum vom angeblich besseren Leben in Italien bekommt den Namen „Italienkrankheit“.


    Nüchtern und kompromisslos erzählt Balzano von den schlimmen Nebenwirkungen dieser „Krankheit“, über ihre Auswirkung auf die Betroffenen und auf ihre Familien. Er skizziert schonungslose Bilder der harten Realität, bewegt zum Nachdenken und Wiedergutmachung.


    Ein bemerkenswerter Roman!

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  • Aus meiner Sicht wird dieses schlichte und unscheinbare Cover dieser berührenden Geschichte nicht ganz gerecht – auch wenn das Bild der Frau die Melancholie ausstrahlt, die das Buch auch dem Leser einzupflanzen weiß.

    Wenn ich wiederkomme handelt von einer Familie, die vom Fortgang der Mutter auseinandergerüttet wird. Daniela verlässt ihre Familie, um in Italien für wenig Geld schwere Arbeit zu verrichten. Das tut sie nur, damit es ihre Kinder besser haben, doch Manuel und Angelica hat sie nicht gefragt, was für sie besser ist. Die heranwachsenden Kinder schlagen sich von nun an ohne die Mutter durchs Leben. Was es anrichtet, bekommt man als Leser von Manuel, später von Daniela und zum Schluss von Angelica erzählt.



    Die Perspektivwechsel sind sehr gut gelungen und schaffen es, die Motive der einzelnen Protagonisten klar aufzuzeigen. Es wird nicht jede Frage beantwortet, die man sich als Leser stellt, aber das ist auch nicht nötig: Der Roman schafft dennoch eindrucksvoll, verschiedene Emotionen beim Leser hervorzurufen und ihn auf diese Weise den Charakteren näher zu bringen. Die Charaktere sind authentisch gezeichnet und man kauft dem Autor jeden einzelnen von ihnen ab.



    Der Schreibstil lässt sich unkompliziert lesen, die Handlung verfliegt ebenso schnell, wie die Jahre, die Daniela fort bleibt. Insgesamt ist das ein sehr gelungenes Werk, das ich uneingeschränkt weiterempfehle.

  • Brandaktuell, emphatisch, unaufgeregt

    Wieder hat der italienische Autor Marco Balzano ein aktuelles sozialpolitisches Thema aufgegriffen und zu einem packenden, menschlich berührenden Roman verarbeitet.
    Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass in Westeuropa die Versorgung der alten Bevölkerung zusammenbräche, wenn nicht Menschen, vorwiegend Frauen aus osteuropäischen Staaten diese Aufgaben in einer rechtlichen Grauzone übernehmen würden.
    Die weitreichenden persönlichen Konsequenzen jedoch führt der Autor dem Leser deutlich vor Augen, wenn er in der kunstvollen und unmittelbar nachvollziehbaren Komposition des Romans das Geschehen aus drei verschiedenen Perspektiven beleuchtet.
    Naturgemäß ist der erste Abschnitt aus dem Blickwinkel des pubertierenden Sohnes der emotional aufwühlendste: lebensnah, dass ein Jugendlicher am wenigsten in der Lage ist, die Herausforderungen der neuen Lebenssituation zu bewältigen.
    Im Zentrum des Romans steht die Figur der Mutter, in deren Leben sich vielfältige Frustrationen vermischen: die entbehrungsreiche und unbefriedigende Existenz in der Heimat, das verkümmerte Dasein in der Fremde und die elementare Erschütterung angesichts der Situation nach ihrer Rückkehr.
    Den Abschluss bildet die mentale Befindlichkeit der älteren Tochter, der allzu viel Verantwortung aufgebürdet, ein Teil ihrer Jugend geraubt wurde.
    Der Ausblick des Romanendes in Hinblick auf ihre Entwicklungsmöglichkeiten öffnet dem Leser höchst ambivalente Alternativen: wartet auf diese Tochter die Chance eines positiven Neuanfangs, oder geht sie womöglich in die Falle, das Dilemma der Mutter nur zu variieren?
    Großartig Balzanos Leisung, den Kontrast zwischen Ost und West atmosphärisch dicht zum Leben zu erwecken, hinsichtlich der gänzlich unterschiedlichen Schauplätze, der Gewohnheiten, Daseinsentwürfe, Wertvorstellungen.

    Mein Urteil: 4 Sterne

  • Die Hoffnung auf ein besseres Leben


    "Manchmal geht es nicht anders [...]." (S. 80)

    Daniela hat ihre Familie in Rumänien heimlich verlassen, um in Mailand als Altenpflegerin zu arbeiten. Mit dem Geld will sie ihren beiden Kindern, Angelica und Manuel, eine gute Schulbildung ermöglichen. Zurück bleiben die Kinder in der Obhut des arbeitslosen Vaters und der Großeltern. Nur sporadisch kommt die Mutter wieder zurück, verpasst das Leben der Kinder, die sich im Stich gelassen fühlen. Nichts entwickelt sich so wie erhofft und Daniela sieht sich in einer Situation gefangen, der sie nicht entkommen kann. Erst als Manuel einen Unfall hat, läßt sie alles stehen und liegen und fährt zurück in ihr kleines Dorf. Aber wird sie bleiben?


    Die Geschichte wird aus drei Perspektiven geschildert. Manuel, Daniela und Angelica erzählen jeweils aus ihrer Sicht, was die Situation mit ihnen macht und wie sie versuchen, diese zu bewältigen. Die Stimmen der Kinder umklammern dabei die Erzählung der Mutter, die im mittleren Teil über ihre Zeit in Italien berichtet. Erst in diesem Teil wird klar, wie hart die Arbeit ist und was sie mit Daniela macht, wie sehr sie ihre Kinder vermisst und warum sie doch nicht nach Hause fährt.

    Über allem schwebt eine Sprachlosigkeit, die durch Danielas Abreise ohne Abschied eingeleitet wird. Die fehlende Kommunikation sorgt dafür, dass letztlich keiner glücklich aus dieser Situation herausgeht.

    Balzano hat einen angenehmen Schreibstil, den man gut lesen kann. Er gibt den drei Ich-Erzähler*innen jeweils eine eigene Stimme: Manuels Abschnitt liest sich wie ein Jugendroman. Seine Gefühle wie Unsicherheit, Angst, Liebe etc. werden glaubhaft durch die "Jugendsprache" transportiert. Daniela erzählt ruhiger, aber auch zerrissen und erschöpft. Angelicas Teil ist eher kühl und abgeklärt.

    Marco Balzano hat für seinen Roman viel Recherchearbeit betrieben, die er in seinem Nachwort erläutert. Das Problem des Pflegenotstandes und der massenhaften Migration von Müttern aus Osteuropa als "billige" Arbeitskräfte im Pflegebereich wird am Einzelschicksal von Daniela herausgearbeitet. Erschreckenderweise gibt es für den Burnout, an dem ehemalige Pflegekräfte häufig erkranken, unter osteuropäischen Psychiatern bereits einen eigenen Begriff: Italienkrankheit. Es leiden jedoch nicht nur die Frauen an der immensen Belastung durch die Betreuungsarbeit, sondern auch die zurückbleibenden Familien, vor allem die Kinder durch die Abwesenheit der Mutter. Sie müssen ohne die engste Bezugsperson auskommen. Es gibt nur Opfer in dieser Konstellation.


    Der Roman wirft viele Fragen auf und regt zum Nachdenken über die Situation dieser Familien und die hoch aktuelle Problematik an. Eine Lösung ist nicht absehbar, angesichts der voranschreitenden Überalterung der westlichen Gesellschaft und des sich ausweitenden Pflegenotstandes. Ein wichtiges Buch, das von mir vier Sterne erhält.

  • Daniela Matei (47) steht vor einer schweren Entscheidung. In ihrem kleinen rumänischen Dorf hat ihre Familie eine schlechte Zukunftsperspektive. Ihr Mann Filip ist arbeitslos. Gute Bildung für ihre Tochter Angelica und ihren Sohn Manuel ist jedoch teuer. Und das Haus verfällt aus Geldmangel zusehends. Heimlich schleicht sich Daniela daher eines Morgens aus dem Haus, um in Mailand eine Stelle als private Altenpflegerin anzunehmen.


    „Wenn ich wiederkomme“ ist ein Roman von Marco Balzano.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus drei Teilen, die sich in unnummerierte Kapitel gliedern. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge in der Ich-Perspektive, aber aus der Sicht unterschiedlicher Personen. Dadurch entstehen einige Überlappungen, jedoch nicht zu viele inhaltliche Redundanzen.


    In sprachlicher Hinsicht ist der Roman sehr gelungen. Je nach Erzählperspektive ist die Wortwahl jugendlich oder erwachsener, mehr oder weniger umgangssprachlich. Insgesamt ist der dialoglastige Schreibstil allerdings recht einfach, was dem Bildungsniveau der Protagonisten und Protagonistinnen hervorragend entspricht und daher für mich kein Manko darstellt.


    Den meisten Raum in der Geschichte nimmt Daniela ein. Aber auch ihre Kinder Manuel und Angelica spielen wichtige Rollen. Keiner der Charaktere ist mir so richtig sympathisch - mit Ausnahme einer Nebenfigur. Sie blieben mir seltsam fremd. Gut gefällt mir aber, dass die Personen aufgrund ihrer Grautöne und Schwächen sehr lebensnah und mit psychologischer Tiefe ausgestaltet sind.


    Besonders gereizt hat mich an der Lektüre die Situation der billigen Pflegekräfte aus dem Ausland. Die Geschichte lenkt den Blick auf ein wichtiges Thema. Meine Erwartung an den Roman hat sich dahingehend erfüllt, dass die Geschichte darstellt, wie sich die zeitweise Arbeitsmigration auf die betroffenen Frauen und ihre Familien auswirkt - sowohl in sozialer als auch in psychischer Hinsicht. Der Autor hat sich intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Das geht unter anderem aus der Nachbemerkung hervor. Darin erklärt der Autor auch, dass er mit Absicht weitere Aspekte in die Geschichte aufgenommen hat. Mir hätte ein deutlicherer Fokus besser gefallen.


    Auf rund 300 Seiten kann der Roman mit mehreren Wendungen überraschen. Die Geschichte ist kurzweilig, aber konnte mich leider nicht so sehr berühren wie erhofft. Das Ende lässt einige Fragen offen und somit Spielraum für eigene Interpretationen.


    Das Cover ist hübsch, wirkt allerdings recht willkürlich. Der deutsche Titel ist erfreulicherweise wörtlich aus dem Italienischen („Quando tornerò“) übersetzt worden.


    Mein Fazit:

    „Wenn ich wiederkomme“ von Marco Balzano ist trotz seiner Schwachpunkte ein lesenswerter Roman, der Aufmerksamkeit für eine wichtige Problematik erzeugt.


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  • Für seinen neuen Roman wählt Marco Balzano ein schon seit langem aktuelles Thema, über das ich bisher noch nichts in Romanform gelesen habe. Stellvertretend für viele osteuropäische Frauen ist es hier Daniela, die ihre Familie über Nacht verlässt, weil sie keinen anderen Ausweg sieht ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Vielleicht wäre es gerade für die Kinder leichter zu ertragen gewesen, hätten sie vorher in der Familie darüber gesprochen und die Entscheidung gemeinsam getroffen. Aber so ist es nicht gelaufen und am härtesten trifft es ihren Sohn. Nacheinander verlieren Danielas Kinder ihre Bezugspersonen, fühlen sich im Stich gelassen. Die ältere Schwester Angelica kommt besser damit zurecht als ihr zwölfjähriger Bruder Manuel, der zunehmend den Halt verliert. So oder so ähnlich läuft es auch in anderen, vergleichbaren Familien, das schimmert durch. Doch die Geschichte bleibt eng an dem Schicksal von Danielas und ihrer Kinder, aus deren jeweiliger Perspektive die drei Teile erzählt werden.


    Obwohl mir die Figuren nicht nah gekommen und mir auch ihre Denk- und Handlungsweisen oft fremd geblieben sind, hat mich dieses Buch tief berührt. Weil es eindringlich erzählt wird, für meinen Geschmack manchmal etwas zu eindringlich und emotional, aber in erster Linie weil es so erschreckend aktuell ist. Und weil man bzw. ich mir bisher noch kaum Gedanken gemacht habe, welches Leid dahinterstehen kann, wenn es heißt „wir haben jetzt eine Polin…“ (die Nationalität nur als Beispiel). Sicher muss es nicht immer so dramatisch laufen wie in dieser Geschichte, aber es fühlt sich durchaus authentisch an.


    Hat es mir gefallen? Ich fand es beklemmend. So viele negative Gefühle und Bitterkeit, gerade zwischen Mutter und Tochter, die Familie und deren Zusammenhalt zerstört, jeder von jedem enttäuscht – nicht leicht zu lesen (trotz flüssiger Erzählweise), trotzdem bin ich froh es gelesen zu haben, aus den oben genannten Gründen.


    Marco Balzano hat intensiv recherchiert und viele Interviews mit Betroffenen geführt, erklärt er im Nachwort. Herausgekommen ist ein eindringlicher Roman, der sich in erster Linie auf emotionaler Ebene mit der Problematik befasst und nichts beschönigt. „Das Leben in der Fremde bricht auch dem Stärksten das Rückgrat“ heißt es an einer Stelle im Buch. Dafür gibt es sogar einen Namen – die Italienkrankheit. Und weiter im Nachwort: „Den ausgewanderten Frauen gelingt es zwar meist, die wirtschaftliche Lage der Familie zu verbessern, doch der Preis, den sie auf emotionaler Ebene zahlen, ist hoch: weil das Fortgehen die eigene Identität verändert und vor allem weil es Mütter und Kinder einander entfremdet.“ Gut, dass diesem Thema Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

  • Eigenzitat aus amazon.de


    Zum Inhalt möchte ich mich an dieser Stelle nicht groß auslassen - das ist weiter oben bereits ausgiebig geschehen.


    Zu Beginn dachte ich, es würden alle Mitglieder der Kernfamilie zu Sprechern werden, doch es sind die Mutter, der Sohn und die Schwester - die Vater bleibt außen vor - wohl auch, um sich auf die Hauptprotagonisten zu konzentrieren.


    Wer die Anzahl der osteuropäischen Hilfs-und Pflegekräfte kennt, der weiß, dass die westeuropäischen Gesundheitssysteme ohne sie kaum existieren können. Etwas, das Brexit und COVID nicht deutlicher gemacht haben. Hier begegnen wir einer kleinen exemplarischen Familie, die aus einer nahezu unmöglichen Situation durch die Selbstaufopferung der Mutter, ungeahnte Möglichkeiten bekommt - aber diese nicht unbedingt möchte.


    Eindringlich und sehr erhellend zur Situation der halb freiwilligen Mitglieder der grauen Ökonomie. Wichtig zu wissen.

  • Manchmal entscheidet man sich zu bleiben, um Widerstand zu leisten: Marco Balzano - Ich bleibe hier / Resto Qui , und manchmal scheint es keine andere Lösung zu geben als zu gehen. Was sehen wir in unseren Ländern von den "Gastarbeitern", Migranten, oder, wie hier, den Pflegekräften, die UNS so unersetzbar sind, und die wir händeringend suchen? Warum? Weil wir diese Arbeiten fÜr DAS Geld nicht übernehmen wollen und uns die Hände freihalten für anderes. Insofern Zeichen unserer Ansprüche und auch Ungerechtigkeiten. Denn was macht dieses "System" möglich? Die unterschiedliche Bewertung, Vergütung von Dienstleistungen. In unseren Ländern werden Pflegeleistungen einfach nicht zur Genüge vergûtet. Es bedarf einer wahrhaft heroischen Motivation, manchmal, dass man sich bei dem Gehalt für manche Berufe entscheidet. Und wenn ich da von den in unseren Ländern herrschenden Kluften spreche, so gilt doch Ähnliches für die Kluft zwischen Ländern. Würde es in manchen Ländern wirtschaftlich anders aussehen, wäre das Weggehen nicht die scheinbar einzigste Alternative.


    Balzano beschreibt beides: das Leben der Mutter im Aus-, Gastland, das Leben der zurückgebliebenen Kider in der Heimat. Entfremdung, finanzielle Erwartungen und Leben mit Illusionen.


    Prima Buch, das ich gerne weiter empfehle!