Zur Autorin (Quelle: amazon):
Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs. Slimani, 1981 in Rabat geboren, wuchs in Marokko auf und studierte an der Pariser Eliteuniversität Sciences Po. Ihre Bücher sind internationale Bestseller. Für den Roman »Dann schlaf auch du« wurde ihr der renommierte Prix Goncourt zuerkannt. »All das zu verlieren«, ebenfalls preisgekrönt, erscheint in 25 Ländern. Ihr jüngster Roman »Das Land der Anderen« ist der erste Teil einer Romantrilogie, die auf der Geschichte ihrer eigenen Familie beruht. In den Essaybänden »Sex und Lügen« und »Warum so viel Hass?« widmet Leïla Slimani sich dem Islam und dem Feminismus sowie dem zunehmenden Fanatismus. Sie lebt mit ihrer Familie in Paris.
Klappentext:
Mathilde, eine junge Elsässerin, verliebt sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in Amine Belhaj, einen marokkanischen Offizier im Dienst der französischen Armee. Die beiden heiraten und lassen sich in der Nähe von Meknès nieder, am Fuß des Atlas-Gebirges, auf einem abgelegenen Hof, den Amine von seinem Vater geerbt hat. Während er versucht, dem steinigen Boden einen kargen Ertrag abzutrotzen, zieht Mathilde die beiden Kinder groß. Voller Freiheitsdrang hatte sie den Aufbruch in ein neues, unbekanntes Leben gewagt und muss doch bald ernüchternde Erfahrungen machen: den alltäglichen Rassismus der französischen Kolonialgesellschaft, in der eine Ehe zwischen einem Araber und einer Französin nicht vorgesehen ist, die patriarchalischen Traditionen der Einheimischen, das Unverständnis des eigenen Mannes. Aber Mathilde gibt nicht auf. Sie kämpft um Anerkennung und ihr Leben im Land der Anderen.
Mein Lese-Eindruck:
Leila Slimani erzählt nach eigenen Angaben hier die Geschichte ihrer Großeltern, und das vorliegende Buch ist der 1. Band einer geplanten Trilogie.
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Mathilde und Amine: ein ungleiches Paar, dessen Ungleichheit sich nach der Übersiedlung in die Heimat des Mannes deutlicher zeigt. Mathildes Hoffnungen, auf einem arabischen Vollblut durch ihre blühenden Plantagen zu reiten, ihre Hoffnungen auf mondäne Feste und elegante Kleider – all das muss sie sich schnell abschminken: auf der abgelegenen Farm ihres Mannes erwartet sie unfruchtbarer Boden, Wassermangel und sengende Hitze.
Es erwartet sie aber auch ein Land im Umbruch. Das Leben ist schwierig: die marokkanische Nationalbewegung erhebt sich zunehmend gewalttätiger gegen die französische Kolonialmacht. Mathilde und Amine erleben, dass sie nirgendwo dazugehören: weder zu den Marokkanern noch zu den Franzosen, wobei die städtischen Franzosen sich wiederum distanzieren von ihren Landsleuten, die das Land kolonisieren. Statt mit Glanz und Gloria muss Mathilde, aber auch Amine, mit sozialer Ächtung, mit Einsamkeit und rassistischer Diskriminierung klarkommen.
Interessant fand ich hierbei die Position der Tochter (der Mutter der Autorin?): sie wird in einer französischen Schule erzogen, wo sie aber immer die Außenseiterin ist. Sie leidet unter ihrer Herkunft, und so lässt sie es beispielsweise es zu, dass man ihren Vater für den Chauffeur der Mutter hält - und sie freut sich, als schließlich die französischen Nachbarfarmen, die Farmen „der Anderen“ in Flammen aufgehen: sie hat ihre Zugehörigkeit gefunden.
Das Buch erzählt aber nicht nur die äußeren Umbrüche, denen sich das Paar gegenübersieht, sondern auch interne Umbrüche. Amine fällt zurück in die Rolle des Patriarchen, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt und über das Leben seiner Familie verfügt. Umgekehrt verbleibt auch Mathilde in ihrem rassistisch-kolonial geprägten Überlegenheitsgefühl gegenüber der einheimischen Bevölkerung, auch in ihrer Verweigerung der Assimilation.
Leila Slimani stellt dem Leser ein weitgefächertes Kaleidoskop an einzelnen Bildern vor. Zunächst vermisst man einen in sich logischen Handlungsstrang, aber es wird schnell klar, dass der innere Zusammenhang die Darstellung von Selbstbestimmung, von Zerrissenheit, von Nicht-Dazu-Gehören, von Rassismus und Kolonialismus, von Ächtung und Verachtung ist. Die Autorin beurteilt jedoch niemals und wertet nicht, sie verteilt keine Sympathien und ermöglicht es dem Leser auch nicht, sich mit ihren Figuren zu identifizieren. Sie stellt nur vor, in einer nüchternen Sprache, die die Distanz des Lesers verstärkt. Hier hätte ich mir etwas mehr Herzblut gewünscht.
Ein weiterer Kritikpunkt:
Mathilde empfindet Gewalt offenbar als sexuelles Stimulanz. Das Sirenengeheul vor einem drohenden Bombenangriff treibt sie nicht wie die anderen in den Luftschutzkeller, sondern in ihr Bett. Ähnlich empfindet sie einen üblen gewalttätigen Übergriff ihres Mannes, der sie sexuell hoch aktiviert.
Das befremdet mich, aber ich kann nicht mitreden. Ich habe weder den Krieg erlebt, noch hat mir mein Mann jemals die Zähne ausgeschlagen.
Fazit: ein lesenswertes Kaleidoskop, ein Roman über das Nicht-Dazu-Gehören.