Claudia & Nadja Beinert - Ärztin in stürmischen Zeiten

  • Kurzmeinung

    Rapunzel
    Leider nicht mehr so gut wie der erste Band. Viele Wiederholungen zum ersten Teil, manchmal langatmig.
  • Kurzbeschreibung (Quelle: Amazon)
    Würzburg Ende des 19. Jahrhunderts
    Ebenso wie ihre Großmutter Viviana Winkelmann kämpft Henrike für das Recht der Frauen auf ein selbstbestimmtes Leben – und die Zulassung zum Medizinstudium: Ihr Wunsch zu heilen ist so stark, dass sie heimlich als Reserve-Wärterin in der Irrenanstalt des Juliusspitals arbeitet, das dieser Tage wegen der Entdeckung der „Zauberstrahlen“ von Professor Röntgen kopfsteht. Ihr Traum ist es, als Irrenärztin das Leid der Geisteskranken zu lindern und bei dem vielgerühmten Professor Rieger im Spital zu studieren. Als Henrike sich jedoch in einen französischen Medizinstudenten verliebt, kommen ihre Geheimnisse ans Licht. Kurz darauf wird Würzburg von der Tuberkulose heimgesucht, und plötzlich geht es für Henrike um Leben und Tod. Ihr Traum von der Medizin und die Abschaffung des Immatrikulationsverbotes für Frauen rücken in weite Ferne.


    Autorinnen (Quelle: Amazon)
    Dr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Würzburg und Leipzig.
    Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause.


    Allgemeines
    Zweiter Teil der Reihe „Das Juliusspital“
    Erschienen am 3. August 2020 bei Knaur als TB mit 512 Seiten
    Gliederung: Personenverzeichnis – Drei Hauptteile mit insgesamt 45 Kapiteln – Nachwort
    Erzählung in der dritten Person aus wechselnden Perspektiven
    Handlungsort und -zeit: Würzburg, 1896 bis 1903


    Inhalt und Beurteilung
    Der zweite Roman um das Juliusspital Würzburg knüpft mit großem zeitlichen Abstand an den ersten Band „Ärztin aus Leidenschaft“ an, den man idealerweise zuvor gelesen haben sollte. Viviana Winkelmann-Staupitz, die Protagonistin des ersten Bandes, ist inzwischen eine Großmutter in den Sechzigern, sie ist jedoch immer noch an der Seite ihres Mannes Dr. Richard Staupitz als Ärztin (ohne formellen Abschluss) tätig. Ihre Enkelin Henrike Hertz entdeckt ebenfalls die Leidenschaft für die Medizin in sich, wobei ihr Interesse hauptsächlich der Psychiatrie gilt. Doch noch immer ist es Frauen in Bayern nicht erlaubt, sich an der Universität zu immatrikulieren, sie können im besten Fall einen Antrag auf Gasthörerschaft stellen, dem nur selten stattgegeben wird. Dass Henrikes Vater Anton ein verbohrter, rückständiger Mann ist, von dem keine Unterstützung zu erwarten ist, sorgt nicht nur für Konflikte mit Henrike, sondern auch mit seiner Ehefrau Ella und seiner Schwiegermutter Viviana.


    Auch der vorliegende zweite Band beschäftigt sich mit medizingeschichtlichen Themen, darunter in besonderem Maße der Entdeckung der X-Strahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen und den neuen psychiatrischen Ansätzen des Prof. Konrad Rieger, außerdem wird hier erneut der Kampf um akademische Frauenrechte thematisiert, denn selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind die bayerischen Universitäten den Frauen immer noch verschlossen.
    Das erste Drittel des Romans beginnt etwas zäh, es wird zu viel über die Familien Winkelmann-Staupitz und Hertz und deren gesellschaftliches Leben berichtet, wobei einige Informationen zum ersten Band wiederholt werden. Auch die - zunächst nur in Henrikes Kopf stattfindende - Liebesgeschichte mit dem französischen Medizinstudenten Jean Pierre Rousel ist sehr ermüdend, Henrike kann offenbar an nichts Anderes als an diesen Mann denken und steigert sich in ihre Einbildungen hinein, was dem Leser viel zu intensiv aufgetischt wird. Sobald der medizinhistorische Aspekt jedoch in den Vordergrund rückt, nimmt die Geschichte Fahrt auf und bietet fesselnde Einblicke in den Stand der Medizin um die letzte Jahrhundertwende. Es gibt erste Ansätze, Karzinome mit Röntgenstrahlung zu bekämpfen, man versucht, die Ausbreitung der Tuberkulose mit gezielten Maßnahmen zu bremsen und in der psychiatrischen Behandlung der „Irren“ werden neue, wesentlich humanere, Wege beschritten. Auch der Kampf um die (akademischen) Frauenrechte wird gut recherchiert beschrieben. Zu den zahlreichen historischen Persönlichkeiten und ihren Aktivitäten gibt es ein umfangreiches und informatives Nachwort.
    Wenn man sich durch das erste Drittel durchgebissen hat, kann man sich auf gut recherchierte und fesselnde Unterhaltung freuen.


    Fazit
    Ein lesenswerter Roman mit Längen im ersten Drittel, für medizinhistorisch interessierte Leser empfehlenswert!

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:


    ( <-:bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: erstes Drittel, :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: zweites Drittel)

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Danke für Deine sehr interessante Rezension. Das Juliusspital ist übrigens noch heute eine angesehene, jüngst modernisierte Klinik mit angegliedertem Weingut samt Weinstube. Alles noch unter einem Dach wie zur Zeit des Stifters Julius Echter zu Mespelbrunn. (Fürstbischof 1545- 1617). Die medizinische Fakultät in Würzburg ist ebenfalls noch immer angesehen. Dort gibt es heute im Übrigren mehr weibliche als männliche Studenten. Tempora mutantur!

  • wie zur Zeit des Stifters Julius Echter zu Mespelbrunn. (Fürstbischof 1545- 1617).

    Dann hat dieser Hexenphobiker und -jäger wenigstens auch etwas Sinnvolles getan.:wink:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
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  • Julius Echter hat alle seine Stiftungen mit Lehen und Pfründen ausgestattet, welche eine gewinnträchtige Bewirtschaftung garantierten. Das sicherte die eigene Hausmacht und schmiedete die Speerspitze der Rekatholisierung gegen die abweichenden Sprengel Frankens. Der Wein war Ware und Zahlungsmittel in Echters Zeit, somit ein Machtfaktor. Der" Malleus Maleficorum" der Hexenpater Jakob Sprenger und Heinrich Institoris war zur Echterzeit das anerkannteste juristische Werk zu diesem Thema. Somit sah sich der Bischof in der Pflicht. Er tat dann allerdings weit mehr, als nötig gewesen wäre und betrieb die härteste '"Hexenverfolgung" im damaligen Reich. Da gebe ich Dir durchaus Recht. Aber als grosser Stifter ging er in das Bewusstsein der Bevölkerung ein bis heute. Aber das ist ja oft so:wink:

    wie zur Zeit des Stifters Julius Echter zu Mespelbrunn. (Fürstbischof 1545- 1617).

    Dann hat dieser Hexenphobiker und -jäger wenigstens auch etwas Sinnvolles getan.:wink:

  • Julius Echter hat alle seine Stiftungen mit Lehen und Pfründen ausgestattet, welche eine gewinnträchtige Bewirtschaftung garantierten.

    Er mag ja clever und geschäftstüchtig gewesen sein, aber vermutlich auch psychisch "gestört".

    Er tat dann allerdings weit mehr, als nötig gewesen wäre und betrieb die härteste '"Hexenverfolgung" im damaligen Reich.

    Falls er nicht psychisch gestört gewesen sein sollte, dann war vielleicht sogar sein unseliges Wirken in der Hexenverfolgung ein weiteres Zeichen seiner Geschäftstüchtigkeit, schließlich wurden die Vermögen der Hingerichteten - es waren ja auch durchaus wohlhabende Bürger darunter - eingezogen und nicht den Hinterbliebenen als Erbe übertragen. (Sofern es überhaupt Hinterbliebene gab und nicht gleich die ganze Familie ausgerottet wurde.)

    Auch der Fürstbischoff Johann Georg II Fuchs von Dornheim in Bamberg war so ein extrem mörderischer Geselle. Was Institoris betrifft, so bin ich überzeugt, dass es bei ihm weniger um Berechnung als um einen kompletten Dachschaden ging. Ein Psychiater könnte vermutlich eine sehr umfängliche Diagnose stellen.

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  • Absolut, das System funktionierte auch nur, weil sich jeder Dorfschulze, jeder Hexenrichter und Schöffe gleich mit bereichern konnte. Jeder mit Ausnahme der Betroffenen profitierte dabei. Zu dem wurde unliebsame Konkurrenz beiseite geschafft und alte Rechnungen beglichen. Nur von oben hätte die Verfolgung niemals so flächengreifend funktioniert. Dazu kam auch, dass die Menschen im sechzehnten Jahrhundert tatsächlich meist an Hexen, böse Geister und Zauberei glaubten, nicht alle waren Heuchler. Selbst Friedrich Spee von Langenfeld stellte die Existenz von Hexen selbst zunächst nicht in Zweifel.

    Die Zeit der Aufklärung lag eben noch in weiter Ferne. Wir heutigen Betrachter müssen das im Auge behalten, dieses Phänomen ist nicht leicht zu beurteilen nur unter Gesichtspunkten der modernen Psychologie und Psychiatrie.

  • Zu dem wurde unliebsame Konkurrenz beiseite geschafft und alte Rechnungen beglichen.

    Ersteres dürfte im Fall der Kölner Postmeisterin Katharina Henot, die der Thurn und Taxis-Post ein Dorn im Auge war, zutreffend sein, letzteres bei Dietrich Flade, der selbst genügend "Hexen" auf den Scheiterhaufen geschickt hatte.
    Auch Katharina Kepler musste wohl dafür büßen, dass sie sich bei ihren Nachbarn mit ihrem grantigen Wesen nicht sehr beliebt gemacht hatte.

    Selbst Friedrich Spee von Langenfeld stellte die Existenz von Hexen selbst zunächst nicht in Zweifel.

    Aber er war wenigstens lernfähig und lernwillig, als er im Laufe seiner Aktionen des seelischen Beistands merkte, dass die erpressten Geständnisse immer gleich klangen und als die "Hexen" aussagten, dass sie lieber ein falsches Geständnis ablegen wollten als bis zum Sankt Nimmerleinstag gefoltert zu werden. Die Regel aus der Carolina, dass nach drei peinlichen Befragungen ohne Geständnis die Freilassung angesagt sei, wurde auch nicht mehr umgesetzt.

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  • mit angegliedertem Weingut samt Weinstube. Alles noch unter einem Dach wie zur Zeit des Stifters Julius Echter zu Mespelbrunn. (Fürstbischof 1545- 1617).

    Wieder ein Grund mehr, Würzburg mal einen ausgiebigen Besuch abzustatten. Bisher bin ich immer nur durchgefahren.

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Wieder ein Grund mehr, Würzburg mal einen ausgiebigen Besuch abzustatten.

    Unbedingt, das ist eine sehr schöne Stadt! Wir waren vor zwei Jahren zuletzt da - es gibt übrigens auch einen schönen großen Hugendubel.:wink:

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  • Stimmt, der ist leider momentan zu und das Juliusspital ist bei weitem nicht die einzige verboten gemütliche Weinstube. Die Stadtgeschichte ist auf der Festung Marienberg sehr gut dokumentiert.

    Wieder ein Grund mehr, Würzburg mal einen ausgiebigen Besuch abzustatten.

    Unbedingt, das ist eine sehr schöne Stadt! Wir waren vor zwei Jahren zuletzt da - es gibt übrigens auch einen schönen großen Hugendubel.:wink:

    (Da oben gibt es natürlich ebenfalls eine Weinstube) Also immer los, ich mache gerne mal ein bisschen Reklame.:wink:🍷

    (Übrigens: P. Friedrich Spee ist für mich eine der erfreulichsten Gestalten der deutschen Geschichte, ich beschäftige mich schon lange mit ihm und teile die positive Einschätzung völlig.)

    Tipp:

  • und das Juliusspital ist bei weitem nicht die einzige verboten gemütliche Weinstube.

    Das weiß ich.:drunken: In meinen Studienjahren (in Regensburg) hatte ich eine gute Freundin, die in Würzburg studierte. Bei jedem meiner Besuche in Würzburg haben wir die Weinstuben aufgesucht...:anstossen:Die Residenz haben wir natürlich auch besucht, mir persönlich ist es dort allerdings zu barock.

    Übrigens: P. Friedrich Spee ist für mich eine der erfreulichsten Gestalten der deutschen Geschichte, ich beschäftige mich schon lange mit ihm und teile die positive Einschätzung völlig.)

    Ich gehöre ebenfalls seinem Fanclub an. Im Museum von Rinteln, das auch eine Hexenausstellung beherbergt(e?), habe ich ein Exemplar seiner Cautio Criminalis bewundert.

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  • Möchte ich auch mal sehen! In Köln gedenkt man ihm mit einem Medaillon am Portal der ehemaligen Jesuitenkirche (Marzellenstrasse), wo Spee im früher angrenzenden Gymnasium unterrichtete.

    Interessant auch die Spee - Gruft in Trier mit Versen aus seinem " Gotteslob". Die Residenz ist tatsächlich auch für mich sehr barock, der Residenzbiergarten war dagegen Semesterpflichtschein.:drunken:

  • Portal der ehemaligen Jesuitenkirche (Marzellenstrasse), wo Spee im früher angrenzenden Gymnasium unterrichtete.

    In Köln war ich leider (noch) nie, aber über Spees Tätigkeit im Jesuitenkolleg wird man im ersten Band der "Hexentrilogie" von Wolfgang Lohmeyer anschaulich informiert.

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  • Die Residenz haben wir natürlich auch besucht, mir persönlich ist es dort allerdings zu barock.

    Dort wohnen wollen würde ich auch nicht :D Aber als Kulisse fürs Mozartfest ist das schon toll. Und die Kapelle hat auch eine phantastische Akustik. (OK, da bin ich parteiisch, wir haben da geheiratet :wink: )

  • :)Doch, diese Trilogie kenne ich, sie stellt für mich die wohl beste Spielart des historischen Romans dar, die es geben kann.

    Eine Werbung für dieses Genre das zum grossen Teil so trostlose Blüten treibt.

    Ich finde es gut, wenn Du diese Bücher noch einmal erwähnst, das sind auch Jugenderinnerungen. Wie enttäuscht ich war, als ich das Henotsche Haus in der Sternengasse in Köln nicht mehr finden konnte, immerhin aber die Strasse.:wink: Tja, sit transit...

    Portal der ehemaligen Jesuitenkirche (Marzellenstrasse), wo Spee im früher angrenzenden Gymnasium unterrichtete.

    In Köln war ich leider (noch) nie, aber über Spees Tätigkeit im Jesuitenkolleg wird man im ersten Band der "Hexentrilogie" von Wolfgang Lohmeyer anschaulich informiert.

  • Eine Werbung für dieses Genre das zum grossen Teil so trostlose Blüten treibt.

    Das trifft den Nagel auf den Kopf! :wink:

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