Thomas Mullen - Die Stadt am Ende der Welt / The last town on earth

  • Kurzmeinung

    Emili
    Die Kurzbeschreibung in diesem Fall war spannender als das Buch selbt. Wichtiges Thema, doch langatmig erzählt
  • Neuausgabe, die ebook-Ausgabe erscheint am 14.9., die Print-Ausgabe am 22.9.2020


    Klappentext/Verlagstext
    Herbst 1918: Die Spanische Grippe wütet allerorten - doch die Einwohner der Holzfällerstadt Commonwealth beschließen, sich zu schützen: Sie stellen die Gemeinde unter Quarantäne und riegeln die einzige Zufahrtsstraße ab. Als ein Hilfe suchender Soldat von einem Wachposten erschossen wird, um ihn am Betreten der Stadt zu hindern, breiten sich innerhalb des Ortes Angst, Argwohn und Hysterie aus.


    Der Autor
    Thomas Mullen wurde 1974 in Rhode Island geboren und lebt mittlerweile mit seiner Familie in Atlanta. Der erste Band seiner ›Darktown‹-Reihe (2015) stand auf der Shortlist für den Los Angeles Times Book Prize, den Southern Book Prize und den Indies Choice Book Award und war für zwei CWA Dagger Awards nominiert. „Am Ende der Welt“ ist Mullens Romandebut und erschien auf Deutsch bereits 2007 (engl. 2006) bei Hoffmann und Campe.


    Inhalt
    Charles und Rebecca Worthy gründeten Anfang des vorigen Jahrhunderts mit dem Sägewerk von Commonwealth im Pazifischen Nordwesten der USA ein tatsächlich alternatives Projekt. Bei Worthy erhielten die Arbeiter gerechte Löhne und bauten gemeinsam menschenwürdige Arbeiterhäuser. Worthys Konkurrenten hatten für ihn nur ein müdes Lächeln übrig; denn wie konnte ein Sägewerk Gewinn abwerfen, das nördlich von Seattle fern der Transportwege irgendwo im Wald lag und angemessene Löhne zahlte? In amerikanischen Kleinstädten war zur Zeit des Ersten Weltkriegs das Sägewerk die Lebensader des Ortes. Es war der Ort. Der Betrieb bot nahezu alle Arbeitsplätze, erzeugte alles Brenn- und Bauholz und ernährte durch den Konsum der Arbeiter weitere Berufe. Als die Leute von Commonwealth von der im nächsten Ort grassierenden Spanischen Grippe erfahren, beschließen sie, ihren Ort abzuriegeln und keinem Fremden den Zutritt zu erlauben. Quarantäne bedeutet für Commonwealth bald: keine Waren für den Laden, kein Verkauf und Transport des gesägten Holzes, nichts außer den Vorräten in den Häusern. Zusätzlich belastend ist die Ungewissheit über das Schicksal der jungen Männer, die gerade im Ersten Weltkrieg kämpfen. Im Mittelpunkt der Handlung um eine der bekanntesten Pandemien der Weltgeschichte stehen zwei junge Männer. Graham hat nach einem harten Leben mit Mitte 20 in Worthys Projekt Arbeit und privates Glück gefunden. Der 16-jährige Philip, der wie ein jüngerer Bruder zu Graham aufsieht, ist durch einen schweren Unfall in seiner Kindheit körperbehindert und wurde von Charles adoptiert.


    Als die beiden jungen Männern an der Zufahrt zum Ort gemeinsam Wache schieben, stehen sie vor der Entscheidung, ob sie auf einen Menschen schießen würden, um ihr Leben und die Gesundheit der Bewohner zu schützen. Philip muss diese Entscheidung schon bald treffen – und prompt hat der Ort einen Fremden unterzubringen, der die tödliche Infektion nach Commonwealth bringen könnte. In zahlreichen Szenenwechseln erfährt man die Vorgeschichte der Personen, lernt Rebeccas Aktivitäten gegen den Krieg und für Frauenrechte kennen und folgt dem altersgebeugten Dr. Banes zu seinen Patienten. Banes hat sich auch im abgelegenen Pazifischen Nordwesten stets fortgebildet. Er weiß, dass die Spanische Grippe einen Menschen innerhalb von 24 Stunden töten kann und Ärzte wie pflegende Familienangehörige hochgefährdet sind. Und doch kann der Arzt nach Tagen der Quarantäne nicht jede Erkrankung zu einer Infektionsquelle zurückverfolgen. Dr. Banes Vorgehen fand ich hochinteressant, wie auch die Entwicklung einer Gemeinschaft in der Krise. Die Bewohner müssen zwischen dem Überleben der Stärkeren und Worthys sozialem Weg wählen, der theoretisch erfolgreicher sein könnte. In der Folge stellen sich zeitlose ethische Fragen zu sinnvollem contra moralisch korrektem Handeln, zu eigenen Grenzen in der Krise und wie man eigentlich Informationen von Gerüchten unterscheidet.


    Für einen Debutroman finde ich Mullens Erstling außerordentlich klug konstruiert und genau recherchiert. Wer sich für die ungeschminkte Darstellung der Arbeitswelt und des Pionierdaseins an einem abgelegenen Ort interessiert, wird hier fündig. Mullen erzählt im Nachwort, dass er das Thema Spanische Grippe aufnahm, weil er sich nicht erklären konnte, wie die Pandemie aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden konnte. Vermutlich konnten Zeitzeugen die grauenhaften Erlebnisse nicht anders als durch Verdrängung ertragen. Mullen richtet sich mit dem erweiterten Nachwort der Neuauflage direkt an Leser während der aktuellen Pandemie. Im Erscheinungsjahr 2006 hätte ich „Die Stadt am Ende der Welt“ vermutlich allein mit der Frage im Hinterkopf gelesen, ob ein Projekt wie Commonwealth eine globale Krise erfolgreicher bewältigen kann als die übrige kapitalistische Welt – und ob die Hauptfiguren überleben werden. Im Jahr 2020 der Corona-Pandemie ergeben sich dazu - erschreckend vertraute - Momente, die mich zusammenzucken lassen, als z. B. im Ort die ersten Verschwörungstheorien die Runde machen und sich jemand damit rechtfertigt, er würde das Gesagte selbst nicht glauben, sondern nur erzählen, was geredet wird. Nach Mullens Roman sollte niemand mehr behaupten können, man hätte über Pandemien nichts gewusst ...


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Robert Mullen - Die Stadt am Ende der Welt / The last town on earth“ zu „Thomas Mullen - Die Stadt am Ende der Welt / The last town on earth“ geändert.
  • Der sehr schönen Rezension von Buchdoktor habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen. Auch mir hat dieses Buch gut gefallen, selbst wenn ich gelegentlich Pausen brauchte, wenn mir die Brutalität ( z.B. der selbsternannten Rekrutierungsschläger sowie beim Umgang mit Kriegsdienstverweigerern) zuviel wurde.

    Die Wieder-Auflage in diesem Jahr ist sehr passend, der Leser erkennt Parallelen zur heutigen Situation. Dass es nicht für alle Romanfiguren ein glückliches Ende gab, finde ich traurig, aber realistisch. An manchen Stellen (z.B. Gefangenschaft Philips mit dem Soldaten Frank) hätte der Autor die Erzählung ein bisschen raffen können.

    Ich vergebe :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: und eine Leseempfehlung.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Ich fand den Roman alles andere als spannend erzählt, eher durchschnittlich. Ich habe weit bessere Bücher zu dem Thema gelesen. Mich hat die Geschichte stellenweise einfach nur gelangweilt, auch wenn der Autor sehr wichtige und interessante moralischen Fragen in der Story aufwirft. Die psychologischen Aspekte dabei waren wahrscheinlich noch am interessantesten zu beobachten. Ich fand auch, dass die Handlung kaum Tempo hat, und leider auch vorhersehbar ist. Man hätte viel mehr aus der Thematik und dem Plot machen können. Mehr Leben in die Geschichte einhauchen können. In dem Fall "Die Stadt am Ende der Welt" fand ich die Kurzbeschreibung spannender als das Buch selbst. Leider.

    Sehr interessant fand ich hingegen das Nachwort des Autors, wo er sein Interesse an der Thematik einer Pandemie erklärt. Auch gute Entscheidung des Verlags das Buch im Jahr 2020 neu aufzulegen. Die Parallelen zu unserer momentanen Situation sind enorm groß und sehr beunruhigend.

    2024: Bücher: 100/Seiten: 43 976

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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