Klappentext/Verlagstext
Iris Wolff erzählt die bewegte Geschichte einer Familie aus dem Banat, deren Bande so eng geknüpft sind, dass sie selbst über Grenzen hinweg nicht zerreißen. Ein Roman über Menschen aus vier Generationen, der auf berückend poetische Weise Verlust und Neuanfang miteinander in Beziehung setzt.
Hätten Florentine und Hannes den beiden jungen Reisenden auch dann ihre Tür geöffnet, wenn sie geahnt hätten, welche Rolle der Besuch aus der DDR im Leben der Banater Familie noch spielen wird? Hätte Samuel seinem besten Freund Oz auch dann rückhaltlos beigestanden, wenn er das Ausmaß seiner Entscheidung überblickt hätte? In »Die Unschärfe der Welt« verbinden sich die Lebenswege von sieben Personen, sieben Wahlverwandten, die sich trotz Schicksalsschlägen und räumlichen Distanzen unaufhörlich aufeinander zubewegen. So entsteht vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblocks und der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts ein großer Roman über Freundschaft und das, was wir bereit sind, für das Glück eines anderen aufzugeben. Kunstvoll und höchst präzise lotet Iris Wolff die Möglichkeiten und Grenzen von Sprache und Erinnerung aus – und von jenen Bildern, die sich andere von uns machen.
Die Autorin
Iris Wolff, geboren 1977 in Hermannstadt/Siebenbürgen. Studium der Germanistik, Religionswissenschaft und Grafik & Malerei in Marburg an der Lahn. Langjährige Mitarbeiterin des Deutschen Literaturarchivs Marbach; 2013 Literatur-Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg.
Inhalt
Florentine und Hannes leben Anfang der 70er des vorigen Jahrhunderts in einem klassischen, von einer Mauer umgebenen Pfarrhof im Banat/Rumänien. Ein riesiger Garten versorgte in Anwesen wie diesem traditionell große Familien samt Gesinde. Mauern schützten die Menschen vor Fremden, ihre Nutztiere vor Beutegreifern. Hier sind die Winter kälter, die Stürme schneidender als anderswo. Als die junge Pfarrersfrau mitten im Winter ins Krankenhaus gebracht werden muss, erlebt sie die Reise in die Stadt Arad mit Pferdegespann, Bahn und Taxi als Odyssee. Florentines Krankenzimmer wird zum Symbol eines Vielvölkerstaates, dem Frauen möglichst viele Kinder gebären sollen, und der sie als Schwangere und Mütter entwürdigend behandelt. Das Drama ungeplanter Schwangerschaften unter dem Ceausescu-Regine entfaltet sich hier um Nika, die bei einer illegalen Abtreibung stirbt.
Untrennbar von den miteinander verknüpften Schicksalen mehrerer Paare aus drei Generationen, laufen Herkunft und Nationalität der Figuren wie ein Synchrontext immer mit. Ob jemand aus Siebenbürgen stammt, als Zigeuner bezeichnet wird, ob Ungarisch, Slowakisch oder Hochdeutsch gesprochen wird, bleibt selten unerwähnt. Eine besondere Rolle spielt daher Florentines und Hannes Sohn Samuel, dessen Sprachentwicklung mit Argusaugen beobachtet wird. In eine beinahe archaische Lebensweise dringen Bendedikt und Lothar ein, Besucher aus der DDR, die sich in dem arbeitsreichen Haushalt wohl zu fühlen scheinen und die selbstverständliche Gastfreundschaft des Pfarrhauses ungewöhnlich lange ausnutzen. Hannes wird wegen seiner Besucher prompt zur Polizei vorgeladen – und ihm ist klar, wer ihn denunziert hat. Für Florentine wird der gastfreundliche Haushalt inzwischen immer mehr zur Last. Das Ausmaß sozialer Kontrolle auf dem Dorf war ihr vermutlich vorher so wenig bewusst, wie der Rollenwechsel, den Hannes im Talar vollziehen würde. Ob das junge Paar aus der Stadt hier sesshaft werden kann, scheint zu Beginn des Romans zweifelhaft.
Fazit
Der von Mauern geschützte Pfarrhof, der seine Bewohner nicht vor einer Diktatur und ihren Spitzeln schützen kann, wirkt in Iris Wolffs Episodenroman besonders eindringlich. Kriege und Regimes kommen und gehen. Auch wenn seine Bewohner flüchten, wird der Hof sie alle überdauern, wenn nur jemand das Dach repariert. In ein Netz von Familie und Freundschaft knüpft die preisgekrönte Autorin brennend aktuelle Konflikte um, Migration, Flucht und Vielvölkerstaaten. Ein zeitloser, sprachlich herausragender Roman, der auch verdeutlicht, wie Migration uns prägt …