Steve Sem-Sandberg – Der Sturm / Stormen: en berättelse

  • Verlagstext

    Eine atmosphärisch dichte Familiengeschichte auf einer abgelegenen Insel Norwegens – mit sezierender poetischer Erzählkunst gelingt es Sem-Sandberg, das Schweigen über die Vergangenheit zu brechen.

    Norwegen, Ende der 1990er: Andreas kehrt zurück auf die Insel, auf der er seine Kindheit verbrachte, um das Anwesen seines verstorbenen Adoptivvaters Johannes aufzulösen. Mitten im Durcheinander findet er Spuren, die auf die bewegte Vergangenheit der Insel hinweisen und mit seiner nicht begleichbaren Schuld im Zusammenhang stehen. »Der Sturm« von Sem-Sandberg besticht durch seine einnehmende, poetische, kristallklare Sprache.

    Andreas war noch klein, als er mit seiner Schwester Minna zu Johannes ins Gelbe Haus kam, das auch als Totes Haus beschimpft wurde. Warum, das wusste er nicht. Es wurde ja nichts wirklich ausgesprochen auf der Insel. Aber der Argwohn nistete überall. Johannes nahm sich der beiden Kinder an, nachdem ihre Eltern auf mysteriöse Weise verschwanden. Ein Flugzeugabsturz, munkelte man. Auch Johannes erzählte ihnen stets von der Tragödie, die sich über dem Meer abgespielt haben soll. Doch Andreas forschte nach. Und wird fündig, als er Jahre später an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt. Nach und nach erfährt er die Wahrheit über seinen Ursprung, der eng mit der Geschichte der Insel zusammenhängt, auf der die faschistische Quisling- Regierung zuließ, dass eine Kolonie für arme Kinder entstand. Dabei muss er sich auch mit seiner rebellischen Schwester auseinandersetzen, die er so sehr liebte, dass er Schuld auf sich lud, mit der er schließlich von ihr alleine gelassen wurde.


    Der Autor

    Steve Sem-Sandberg, geboren 1958, ist einer der renommiertesten schwedischen Autoren. Für den Roman »Die Elenden von Lódz« bekam er den schwedischen August-Preis verliehen. Er lebt in Stockholm.


    Inhalt

    Andreas hat als Kind bei Johannes im gelben Haus gelebt. Als Erwachsener kommt er auf die Insel zurück und bemerkt, dass die Welt der Kindheit mit dem eigenen Erwachsenwerden kleiner zu werden scheint. Früher kontrollierte der Gutsbesitzer Kaufmann, wer seine Insel betrat, heute dürfte es schwieriger sein, Kaufmanns ehemaliges Imperium zu kontrollieren. Johannes existierte in seinen letzten Lebensjahren körperlich geschwächt, blind, verwahrlost und misstrauisch gegen andere im gelben Haus. In den 40er Jahren hatte er Andreas und seine Schwester Minna aufgenommen, nachdem die Eltern auf dem Weg auf die Insel Opfer eines Flugzeugabsturzes wurden. Dass ein alleinstehender Mann zwei fremde Kinder adoptierte, muss schon damals als skandalös empfunden worden sein. Was Andreas über die Insel weiß, stammte lange allein von Johannes, einige Geschichten erzählte auch Minna. Der Icherzähler scheint sich in seinen Erinnerungen anfangs von Loch zu Loch zu hangeln. Ich fragte mich, wer in der Geschichte mit wem verbunden ist und worum es überhaupt geht.


    Die Kaufmanns hatten offenbar einen großen Gutshof und die Insel muss zum großen Teil ihr privater Besitz gewesen sein. Johannes war zur Zeit der deutschen Besetzung Fahrer des alten Kaufmann, der wiederum Beziehungen zum faschistischen Ministerpräsidenten Quisling pflegte. Andreas ist auf den Spuren seiner Eltern in die USA gereist, hat über die 40er in Norwegen recherchiert und setzt nun Erinnerungen und die Fakten aus den Akten des Kaufmann-Hofes zu einem Bild zusammen. Sein Adoptiv-Vater muss jede Quittung und jeden Brief säuberlich abgelegt haben und Johannes gräbt sich darin durch Streitigkeiten um Grenzen und Bootsanleger. Alte Geschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus verbinden sich mit Interessen an wertvollen Insel-Grundstücken. Jede Antwort scheint sofort eine neue Frage aufzuwerfen. Warum organisierte Kaufmann während der Besetzung eine Kinderkolonie auf einer Nachbarinsel und welche Rolle spielte dabei Andreas Vater als Amerikaner mit norwegischen Wurzeln? Warum wurde die temperamentvolle Minna damals zu Pflegeeltern gegeben? Je weiter Andreas vordringt, umso stärker bezweifelt er, was man ihm und Minna als Kindern erzählte und umso deutlicher wird, dass Minna ihn belogen und manipuliert hat. Die Grenzen seiner Vorstellungskraft begrenzen, was ich als Leser von Andreas erfahren werde. Beim Lesen wurde ich den Eindruck nicht los, dass die Lücken in Johannes Erinnerungen fließend in Vermutungen übergehen und er sich auf seiner Spurensuche in der eigenen Geschichte verliert.


    Fazit

    Steve Sem-Sandbergs Icherzähler fühlt sich zweifach verlassen, von seinen verschwundenen Eltern und von seiner älteren Schwester. Seine Spurensuche führt ihn am Beispiel einer kleinen Insel tief in Norwegens Geschichte während des Nationalsozialismus. Was prägt einen Mann wie Johannes, was macht ein Bruder-Schwester-Verhältnis aus, all das erzählt der schwedische Autor so intensiv, dass beim Lesen höchste Aufmerksamkeit erforderlich ist.


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Buchdoktor

    Hat den Titel des Themas von „Steve Sem-Sandberg – Der Sturm 7 Stormen: en berättelse“ zu „Steve Sem-Sandberg – Der Sturm / Stormen: en berättelse“ geändert.