Norbert Scheuer – Winterbienen

  • Kurzmeinung

    BarbSie
    Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig, die Geschichte teils sehr bitter, Aber dennoch ein beeindruckendes Buch!
  • Verlagstext

    Januar 1944: Während über der Eifel britische und amerikanische Bomber kreisen, gerät der wegen seiner Epilepsie nicht wehrtaugliche Egidius Arimond in höchste Gefahr. Er bringt nicht nur als Fluchthelfer jüdische Flüchtlinge in präparierten Bienenstöcken über die Grenze, er verstrickt sich auch in Frauengeschichten. Mit großer Intensität erzählt Norbert Scheuer in "Winterbienen" einfühlsam, präzise und spannend von einer Welt, die geprägt ist von Zerstörung und dem Wunsch nach einer friedlichen Zukunft.


    Der Autor

    Norbert Scheuer, geboren 1951, lebt als freier Schriftsteller in der Eifel. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise und veröffentlichte zuletzt die Romane "Die Sprache der Vögel" (2015), der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, und "Am Grund des Universums" (2017). Sein Roman "Überm Rauschen" (2009) stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und war 2010 "Buch für die Stadt Köln".


    Inhalt

    Egidius Arimond lebt in den 40ern des vorigen Jahrhunderts als Imker in der Eifel, nahe der belgischen Grenze. Seine Bienen hat er vom Vater übernommen, zusammen mit der Familiengeschichte, die sich auf den Vorfahren Ambrosius Arimond bezieht, der aus den italienischen Alpen stammte. Egidius hat - aufgrund seiner politischen Einstellung - unter dem Nationalsozialismus seine Stelle als Latein- und Geschichtslehrer verloren; er wurde als Epileptiker und damit „nicht lebenswerter Volksschädling“ bereits interniert und zwangssterilisiert. Egidius' Epilepsie hat sich nach einer langen Latenzphase in letzter Zeit verschlimmert. Ohne regelmäßig Medikamente zu nehmen, wird sein Leben bald ein Ende haben. Geht Egidius zum Arzt - bedeutet das Deportation. Der Mann hat nur so lange überleben können, weil sein Bruder Alfons (als hochdekorierter Bomberpilot unangreifbar) ihn mit Medikamenten versorgt – und weil Egidius sich dafür bezahlen lässt, dass er Flüchtlinge verbirgt und in seinem Fuhrwerk zum Transport von Bienenkästen über die Grenze nach Belgien bringt. Zu Beginn der Handlung 1944 versorgt Egidius seine Bienen, übersetzt Dokumente seines Vorfahren Ambrosius (um 1489) aus dem Lateinischen und führt ein geheimes Tagebuch, in dem er auch Informationen verbirgt, die nichts mit der Imkerei zu tun haben. Der dramatische Countdown in Form chronologischer Einträge steht in bedrückendem Verhältnis zu Egidius nüchternem Chronisten-Ton.


    Mit dem Wissen des Lesers, dass vor dem chronisch Kranken noch ein Jahr liegt, bevor der Zweite Weltkrieg beendet sein wird, laufen die Handlungsfäden um die Wette: Wird Egidius das Kriegsende überhaupt erleben, wird er sich während eines Anfalls selbst verraten, wird ihn einer seiner Flüchtlinge in Panik verraten? Oder wird ein amerikanischer Soldat aus einem abgeschossenen Flugzeug, der sich offensichtlich in der Gegend versteckt, Egidius Tod bedeuten, der dessen Anwesenheit ahnt und den Mann nicht denunziert? Der Chronist wird sicher von Eintragung zu Eintragung damit gehadert haben, dass sein Tod zugleich den Tod seiner Bienenvölker bedeuten wird, wenn sich in den Kriegswirren niemand ihrer annimmt.


    Egidius schreibt in sachlich-nüchternem Ton Tagebuch und stellt allerlei Analogien zwischen Bienenvölkern, kriegführenden Staaten, dem Klosterleben und Bibliotheken her. Allein sein Imker-Wissen empfinde ich als beeindruckendes Erlebnis, von seiner Orts-Kenntnis der Eifel, seinem historischen Wissen, seiner Arbeit über Cusanus (Nikolaus von Kues) und den Erinnerungen an seine Berufstätigkeit in Ägypten ganz zu schweigen.


    Fazit

    Ein beeindruckender Roman, dem ich alle denkbaren Literaturpreise wünsche …


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Die Bienen als bessere Gesellschaft

    Klappentext:

    Januar 1944: Während über der Eifel britische und amerikanische Bomber kreisen, gerät der wegen seiner Epilepsie nicht wehrtaugliche Egidius Arimond in höchste Gefahr. Er bringt nicht nur als Fluchthelfer jüdische Flüchtlinge in präparierten Bienenstöcken über die Grenze, er verstrickt sich auch in Frauengeschichten

    Meinung:

    Diese Tagebuchform verführt zu mehr lesen, denn die kurzen Kapitel vermitteln eins geht noch, dann machst du was anderes.Gleichzeitig kann man leichter über das Gelesene nachdenken denn es sind nicht zuviel Informationen auf einmal

    Die Mischung aus dem Tagesgeschehen vom 1944 und den Textfragmenten aus dem Kloster machen es interessant,obwohl es ein ruhiges Buch ist, trotz des Krieges und die Angst wegen der Epilepsie ermordet zu werden. Gleichzeitig erfährt man vom Ich-Erzähler viele Einzelheiten über die Bienenzucht und das Verhalten der Tiere. Tatsachen die anscheinend so alt wie die Menschheit sind.

    Eine Randnotiz ist für mich persönlich dass mir die Bienen sympathisch geworden sind obwohl ich eine sehr starke Allergie gegen Insektenstiche habe und daher viel Angst vor stechenden Insekten.

    Solche Bücher gibt es viel zu selten. Es nimmt den Leser mit in eine andere Umgebung mit anderen Menschen die aber trotzdem nicht fremd sind.

    Es beschreibt eine grauenhafte Zeit ohne erhobenen Zeigefinger oder brutale Einzelheiten. Die Beschreibung des Alltäglichen reicht aus.

    Das Buch ist zu Recht auf der Shortlist und wäre ein würdiger Preisträger gewesen

    5 Sterne

  • 1944. Während der zweite Weltkrieg wütet, ist der Imker Egidius Arimond als einer der wenigen Männer in seinem Dorf in der Eifel geblieben. Als Epileptiker gilt er unter den Nationalsozialisten als "unwertes Leben" - Zwangssterilisierung, Verachtung und die ständige Angst, denunziert und abgeholt zu werden, das sind für ihn die Folgen dieses Denkens. Dass Egidius' Bruder seinerseits als Flieger zu einem gefeierten Helden wird, rettet ihm so manches Mal das Leben. Doch hinter dem schweigsamen Mann, der sich nur bei seinen Bienen richtig wohl zu fühlen scheint, steckt mehr, als gedacht: in seinen Bienenstöcken transportiert er immer wieder Flüchtlinge bis an die Grenze und rettet ihnen damit das Leben.


    Es ist keine einfache Geschichte, die Norbert Scheuer hier erzählt. Das liegt womöglich auch daran, dass sie wahr ist. In einem Bienenstock wurden einige der Tagebuchaufzeichnungen des echten Egidius gefunden, der sich übrigens als entfernter Verwandter des Autors herausstellen sollte. Aus diesen Aufzeichnungen ist die Handlung von "Winterbienen" gestrickt und so mischen sich oft ellenlange Abhandlungen über die Bienenzucht mit beinahe lapidaren Berichten über die Grauen des Krieges. Auch Egidius Frauengeschichten sind immer wieder Thema, ist er doch als einer der wenigen Männer im Dorf, noch dazu sterilisiert, ein perfekter Partner für sexuelle Eskapaden. Als er jedoch eine regelrechte Besessenheit für die Frau eines hohen Tieres in der NSDAP entwickelt, beginnt die Handlung zu entgleisen.


    In einfacher und dennoch bewegender Sprache schildert der Autor hier das Leben eines Ausgestoßenen in Zeiten des Krieges. Durch die Wahl der Tagebucheinträge als Erzählform ist man als Leser immer ganz nah am Geschehen. Und so erfährt man unmittelbar, was der Krieg aus den Menschen macht: Mitläufer zum Beispiel, wie Egidius' Bruder, der doch eigentlich nur Fliegen will. Oder Charaktere wie den Apotheker, die solch grausame Zeiten nutzen, um sich an anderen zu bereichern und ihre Macht zu demonstrieren. Da macht es Hoffnung, dass zumindest der Protagonist sein Möglichstes tut, um zu helfen, auch wenn er am Ende ebenfalls nicht schuldlos bleibt.


    Fazit: Ein bewegendes Buch, dessen Nominierung für den Deutschen Buchpreis gut nachvollziehbar ist :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Ich habe den Roman gern und mit Interesse gelesen, bin aber dennoch mit einigen Punkten unzufrieden.


    Zum einen hätte ich mir gewünscht, dass anhand der Aufzeichnungen des Vorfahren Ambrosius Aramond auch einige Informationen zur spätmittelalterlichen Imkerei einfließen und nicht nur der Transport des Herzens von Nikolaus von Kues geschildert wird.

    Generell haben die Details zum Transport der Flüchtlinge in den Magazinbeuten bei mir einige Fragen aufgeworfen, die ich bei einem so faktenorientierten Roman auch schwer ignorieren oder im Bereich des Fiktionalen belassen konnte.

    Vor allem aber haben mich die häufigen Wiederholungen der Situationen beim Apotheker gestört. Es mag sein, dass ein Mensch so etwas wiederholt in sein Tagebuch notiert. Aber dies ist doch ein Roman? :lol:


    Manche Charakterzüge der Hauptfigur fand ich nicht unbedingt sympathisch, muss das aber auch nicht. Interessanter war es für mich, mal einer Figur zu begegnen, die nicht aus purem Altruismus jüdischen Flüchtlingen über die Grenze geholfen hat, sondern


    Und am Ende


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: gibt es von mir.

    :study: I. L. Callis - Doch das Messer sieht man nicht

    :study: Nadia Murad - Ich bin eure Stimme

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Das liegt womöglich auch daran, dass sie wahr ist.

    Über die Richtigkeit dieser Aussage grüble ich seit ich das Buch zugeklappt habe.


    Möglichkeit 1: Tatsächlich hat sich das beschriebene Tagebuch im Bienenstock gefunden, und es gelangte auf dem geschilderten Weg in Scheuers Hände. Dann fragt man sich jedoch: Was hat Scheuer tatsächlich geschrieben? Hat er Arimonds Tagebuch nur in eine sprachlich verständliche Form gebracht? Falls er es jedoch wortwörtlich übernommen hat: Warum steht nur Scheuers Name auf dem Cover, und warum kommt dieses Buch unter seinen Namen auf die Liste zum Deutschen Buchpreis?

    Möglichkeit 2: Der Autor bedient sich eines alten literarischen Tricks, um Realität und Glaubwürdigkeit zu verstärken (zumal bei einem Thema, dessen Hintergrund so real und so grausam ist): Er gibt an, ein Manuskript aus der besagten Zeit gefunden zu haben und es dem Leser vorzulegen.


    Ich tendiere übrigens zu der zweiten Meinung, dass es sich um ein fiktives Tagebuch handelt, wenngleich Handlungen und historische Ereignisse sich tatsächlich zu jener Zeit an diesem Ort zugetragen haben. Scheuer schildert sie mit wachsender Spannung und Emotionalität für den Leser in einer Sprache, die gleichzeitig einfach und präzise wirkt.

    Die eingestreuten Übersetzungen Arimonds über die Rettung des Herzens Nikolaus von Kues machen nur anfangs den Eindrucks eines Fremdkörpers. Erst wenn man die Erlebnisse des jungen Ambrosius gedanklich mit denen des Protagonisten verbinden kann und auch hier wieder den realen historischen Kontext betrachtet, ergänzen sich beide Stränge.


    "Winterbienen" wäre in meinen Augen ein verdienter Gewinner des Deutschen Buchpreises gewesen. Auf meiner Bestenliste 2019 steht es ziemlich weit vorne.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Klappentext:

    Januar 1944: Während über der Eifel britische und amerikanische Bomber kreisen, gerät der wegen seiner Epilepsie nicht wehrtaugliche Egidius Arimond in höchste Gefahr. Er bringt nicht nur als Fluchthelfer jüdische Flüchtlinge in präparierten Bienenstöcken über die Grenze, er verstrickt sich auch in Frauengeschichten.


    Autor:

    Norbert Scheuer, 1951 im rheinland-pfälzischen Prüm in der Westeifel geboren, machte eine Lehre als Elektriker und studierte dann physikalische Technik in Iserlohn und Philosophie an der Universität Dortmund. 1993 erschien sein Erzählband "Der Hahnenkönig", 1997 sein Gedichtband "Ein Echo von allem", 1999 sein Roman "Der Steinesammler" und 2003 der Roman "Flußabwärts". Norbert Scheuer erhielt mehrere Literaturpreise. Neben seiner Tätigkeit als Autor arbeitet er als Systemprogrammierer. Scheuer lebt in Keldenich/Kall in der Nordeifel.


    Allgemeines:

    Erscheinungsdatum: 27. September 2019

    Seitenanzahl: 319

    Verlag: C.H. Beck


    Es fällt mir wahnsinnig schwer eine Rezension über das Buch zu schreiben. Denn einerseits hat mir die Sprache sehr gut gefallen. Es ist ruhig aber schön erzählt. Es liest sich wie ein Tagebuch und das hat mir auch gefallen. Allerdings hat mich die Geschichte selber kaum packen können. Dabei finde ich es schon sehr interessant, was der Protagonist über sein Leben erzählt. Gerade auch wenn man von der Rettung der Juden liest und wie er dazu beiträgt. Doch so richtig mitgenommen hat mich das nicht.

    Man erfährt sehr viel über das Imkern und das Leben und Arbeiten der Bienen. Was auch interessant zu lesen ist. Ich glaube allerdings, dass mich die Kombination dieser beiden Komponenten eher gestört hat. Denn es springt sehr oft zwischen den beiden Strängen hin und her. Natürlich hängen beide Stränge zusammen, aber ich konnte mich nicht einfinden in diese häufigen Wechsel.

    Über diese komischen Liebesbeziehungen möchte ich am Liebsten gar nicht reden, da wusste ich jetzt gar nicht was das sollte…


    Fazit: Für mich war es okay zu lesen. Doch es hätte entweder ein geschichtlicher Roman oder ein Sachbuch über Bienen sein können. Beides zusammen sein wollen hat zumindest für mich nicht funktioniert. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Auch dieses Buch von Scheuer ist im Urftland angesiedelt, in und bei Kall. Damit nahezu heimischer Boden für mich und ein positiver Vorbehalt.

    Das Tagebuch des Egidius Arimond beginnt im Januar '44 und hört auch nahezu - von epilogischen Seiten abgesehen - Ende '44 auf. Die Einträge sind meist ein bis zwei Seiten lang.

    Thematisch finden wir einige Dinge regelmässig wieder, mE zu regelmässig und sich wiederholend:

    - die langsame Steigerung der Kriegsverhältnisse und -unterdrückung

    - das Leben und Verhalten von Bienen

    - das Leben des Egidius mitseiner Epilepsie

    - sein Liebesleben (?) mit diversen Frauen

    - sein Fluchthelferdasein, das jedoch bei Weitem nicht idealisierbar ist, sondern in mancherlei Hinsicht relativ egoistisch und eigennützig ist

    - die Rückblicke durch die übersetzten Dokumente in das Leben seiner Vorfahren zu Cusanus' Zeiten


    So manche Szene könnte gestraffter daherkommen über die Seiten gesehen.


    Insgesamt gesehen hat mich das Buch nicht so beglückt wie ich mir vorgestellt hatte.