Ralf Rothmann - Im Frühling sterben

  • Dieses Buch ist mein erstes Buch von Ralf Rothmann, und das bedauere ich

    inzwischen sehr und werde das bald ändern.


    Mich hat die Erzählweise Rothmanns über alle Maßen beeindruckt. Das Thema "Krieg" und "Traumatisierung" ist nicht neu, und dem Erzähler gelingen hier gewaltige, fast apokalyptische Bilder, die mich an expressionistische Bilder von Otto Dix u. a. oder z. B. an "Grodek" von Georg Trakl denken ließen.


    Dazu kommt der nüchterne, immer beschreibende, fast chronikhafte Stil, mit dem auch die schrecklichsten Dinge wiedergegeben werden. Niemals - zumindest erinnere ich mich nicht - erfahren wir etwas über die Gefühlslage des Protagonisten, der Erzähler hält sich streng an die Außensicht. Und damit verlagert er die Innensicht in die Vorstellungswelt des Lesers, der auf diese Weise aktiviert wird und das Geschehen emotionalisiert verfolgt. Ich finde es meisterhaft, wie Rothmann diese leseraktivierende Erzählweise durchhält und dadurch jede Larmoyanz, jedes Zerreden vermeidet.


    Der Erzähler erspart dem Leser nichts. Ausgesprochen quälend ist die Darstellung des Hinrichtungs-Procedere, wo der Erzähler in durchaus lyrischen Bildern, aber in Zeitdehnung das Sterben des Jugendfreundes schildert.


    Und diesem Ereignis folgt die Sprachlosigkeit, in der sich die Traumatisierung des Protagonisten niederschlägt und die erst von seinem Sohn, dem Erzähler, gebrochen wird. Dasselbe Muster wie bei "MAUS" von Art Spiegelmann...

    Da fällt einem nur das Alte Testament ein, nach dem die Schuld der Väter die Kinder verfolgt bis ins 3. oder 4. Glied.


    Ein beeindruckendes Werk.


    Zur Hörbuchversion:

    Das Werk wurde eingelesen von Thomas Sarbacher, mit dessen leicht einschläfernder Leseweise ich zunächst Probleme hatte. Im Fortgang der Handlung sah ich das anders: zu der nüchternen Erzählweise passt auch eine nüchterne Vortragsweise. Aber muss sie sooo glatt und platt sein? Einen Satz an den anderen reihen? Ohne Pause, ohne leichte Stimmvariationen?

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Mario

    Hat das Label Roman/Erzähl. hinzugefügt.
  • Im Frühling sterben ist die Geschichte von Walter Urban und Friedrich »Fiete« Caroli, zwei siebzehnjährigen Melkern aus Norddeutschland, die im Februar 1945 zwangsrekrutiert werden. Während man den einen als Fahrer in der Versorgungseinheit der Waffen-SS einsetzt, muss der andere, Fiete, an die Front. Er desertiert, wird gefasst und zum Tod verurteilt, und Walter, dessen zynischer Vorgesetzter nicht mit sich reden lässt, steht plötzlich mit dem Karabiner im Anschlag vor seinem besten Freund.


    „Unser Führer sagte es ja schon: Ein Soldat kann sterben, doch ein Deserteur aber muss sterben.“


    In intensiven Bildern erzählt Ralf Rothmann vom letzten Kriegsfrühjahr und den ersten Wochen eines Friedens, in dem einer wie Walter nie mehr heimisch wird.


    Meine persönlichen Höreindrücke

    Gleich vorweg: mit der Stimme von Thomas Sarbacher komme ich lange nicht zurecht. Sie ist einfach zu glatt, zu neutral, zu nüchtern und wäre nicht diese einzigartige tiefsinnige und eindringliche Erzählung von zwei unschuldigen jungen deutschen Männern kurz vor Kriegsende, ich hätte wahrscheinlich abgebrochen.

    Ralf Rothmann erzählt mit seinem Roman Im Frühling sterben von zwei Freunden, die eigentlich mit dem Krieg nichts zu tun haben. Sie sind noch nicht volljährig und der Krieg fast verloren. Der Russe rückt von Osten, der Amerikaner von Westen an. Doch die Rekrutierung aller Wehrfähigen ging unvermindert weiter.


    Da aber trat ihm ein SS-Mann in den Weg, ein breitschultriger mit einem Ehrendolch am Gürtel, und sagte: „Nach vorn, Kamerad. Du gehst gefälligst nach vorn!“


    So finden sich beide Freunde im Krieg wieder, den keiner wollte und der den Tod bedeuten wird. An diesem Punkt wird die Sinnlosigkeit des Krieges auf einem kalten Tablett präsentiert und hier, genau hier, ist Sarbachers Vorlesestil genau richtig. Nur so, und nicht anders kann, muss man lesen! Es gibt keine andere Möglichkeit, die Intensität dieser Situation vorzulesen und der Verzweiflung des Freundes Gehör zu verschaffen.


    „Er ist mein Freund, Herr Domberg, ich meine Sturmbannführer, ein wirklich wertvoller Mensch. Es wird alles wiedergutmachen.“


    Die Brutalität kann man schreien, aber wenn man sie still vorträgt, dann erst entfaltet sie ihr gesamte Macht. Und während ich zuhöre, denke ich an meinem Stiefvater, der mir einmal gesagt hatte: Davor wurde ich verschont, aufgrund meiner schlechten Augen musste ich nie antreten. Er hatte über den Krieg kaum gesprochen, vielleicht war das Trauma doch nicht überwunden – ich habe ihn niemals gefragt.


    Und dieser Mann, auf dessen Koppelschloss wie bei uns allen Meine Ehre heißt Treue steht, hat das Schlimmste getan, was ein Soldat tun kann: Er war nicht feige vor dem Feind, oh nein! Das ließe sich unter Umständen noch verstehen. Er war feige vor dem Freund!


    Fazit

    Im Frühling sterben hinterfragt Ralf Rothmann den Sinn des Krieges und zeigt die Brutalität der Kriegsmaschinerie, die selbst vor den eigenen jungen Menschen keinen Halt machte. An den ungleichen Freunden zeigt er die enorme Stärke Atas, die aber an der Härte der Realität zerschellt, und er zeigt die fast schon verträumte Welt Fietes, der das schlechtere Los zog und an der Ostfront den lebenserhaltenen Gehorsam verliert.


    Im Krieg kommt es nicht darauf an, was jemand wünscht, fühlt oder denkt, im Krieg zählt allein, wie jemand handelt – das werden Sie doch schon erfahren haben, oder?