Stephan Thome - Gott der Barbaren (Start: 03.11.2018)

  • Es gibt ja hier auch den Thread zum 1. Satz eines Buches und ich hab mich oft gefragt, was für die Menschen daran so interessant ist. Ich glaube, für mich braucht es mehr als nur einen Satz, um mich abzuholen.

    Ich meine weniger die Schönheit (was immer das ist) des ersten Satzes oder auch Absatzes (das seh ich nicht so eng), sondern eher das Handwerkliche. Welche Informationen bekomme ich zum Setting? Und warum diese Informationen und keine anderen? Was stellt der Autor/Erzähler mit mir an? Welche Erwartungen soll ich entwickeln? Wird mir vielleicht gleich ein Raum vorgestellt? Oder sofort die Hauptperson oder sonst wer?

    Hier sind es die "sie" - eine unbestimmte Masse, die offenbar die Hauptperson ist.


    Und ich stoße auf viele viele Fragezeichen.


    Na ja, jeder hat seinen Tick :)

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • seine Rolle als Missionar doch eher spontan

    Jedenfalls hat das mit religiöser Überzeugung kaum was zu tun!

    Das geht ja auch ganz geschäftsmäßig: das Spendensammeln des Gützlaff oder die Bewerbung bei der Baseler

    Gesellschaft. Fand ich interessant.

    Da wird in ein fremdes Land gefahren und erwartet, dass die Einheimischen sich von ihrem Glauben und Traditionen verabschieden und einen fremden Glauben annehmen. Wie bescheuert ist das bitte?

    Das ist ein großes Thema, ein Dauerbrenner in der Geschichte, und die Motivation war nicht immer die Sicherung des Seelenheils... Ich denke, dass das

    in dem Buch auch ein großes Thema werden wird, ähnlich wie bei uns die Bauernkriege, wo sich Religion und sozialer Aufstand ja auch vermischt haben.

    Wir werden sehen.

    Inhaltsverzeichnis und Personenregister vorne anstatt hinten

    Geht mir genau so, ich hätte auch die Karten lieber so, dass ich parallel zum Lesen draufschauen könnte, vielleicht zum

    Aufklappen.


    Ansonsten geht es mir wie Euch: das Buch liest sich doch bisher ganz gut? Oder, um im Bild zu bleiben: der Beginn des Aufstiegs zum Dreitausender-Gipfel

    ist recht angenehm.

    Noch :)!

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ich weiß, was Missionieren bedeutet und habe auch schon einiges dazu gelesen, allerdings wurde mir hier noch einmal bewusst, wie dreist und verabscheuungswürdig eine Mission ist. Da wird in ein fremdes Land gefahren und erwartet, dass die Einheimischen sich von ihrem Glauben und Traditionen verabschieden und einen fremden Glauben annehmen. Wie bescheuert ist das bitte?

    Zur damaligen Zeit wird Mission wohl immer so gelaufen sein, ich persönlich habe zumindest nichts anderes gelesen (was jedoch nichts heißen will). Per se ist Mission ja jedermanns Sache, wenn sie angemessen durchgeführt wird. Vor Jahrzehnten, in meiner ersten Wohnung, kam immer eine junge Zeugin Jehovas (mit wechselnden Begleitungen) zu mir zum Diskutieren. Das ist ja prinzipiell auch Missionieren. Aber die junge Frau hat argumentiert, meine Meinung respektiert, mich respektiert, und damit waren es interessante Diskussionen mit einem geschulten, intelligenten Geist. Hat Spaß gemacht, auch wenn sie ihr Ziel nicht erreichte. Wen Mission in dieser Form abläuft, mit Respekt, hab ich persönlich nichts dagegen. Nur werden wir dieser Form wohl nicht in dieser Geschichte begegnen. :-?

    Morgen lese ich dann Kapitel 2. Mehr als ein Kapitel pro Tag schaffe ich wahrscheinlich nicht. I

    Nur keinen Stress, wir haben doch Zeit :friends: Und Du hast ja auch ein Mini-Häschen zu versorgen. :wink:

    sondern eher das Handwerkliche. Welche Informationen bekomme ich zum Setting? Und warum diese Informationen und keine anderen? Was stellt der Autor/Erzähler mit mir an? Welche Erwartungen soll ich entwickeln? Wird mir vielleicht gleich ein Raum vorgestellt? Oder sofort die Hauptperson oder sonst wer?

    Das sind aber viele Fragen auf einmal :lol: Die hab ich mir tatsächlich noch nie gestellt, ich fang ganz einfach unbedarft an zu lesen und schau, wie mich die Geschichte einfängt.

    Jedenfalls hat das mit religiöser Überzeugung kaum was zu tun!

    Nicht das geringste. In gewissem Sinn zweifelt er ja auch an seinem Glauben, so wie ich manche seiner Sätze interpretiere. Irgendwo heißt es ja "mein Gott ist einer, der Jungen erblinden und dann wieder sehen lässt, wenn sie aufhören zu beten" - das hört sich nicht nach einem guten Verhältnis zu seinem Gott an. :scratch:

    Fand ich interessant.

    Da ich schon jetzt das Gefühl habe, dass der Autor sehr gut recherchiert hat, finde ich das auch total spannend. Es klingt für mich realistisch, auch wenn ich dafür keinen Beleg anführen kann. Viele Informationen find ich grad total spannend. Ich bin da ein wenig ein Nerd, ich liebe das :loool:

    Ansonsten geht es mir wie Euch: das Buch liest sich doch bisher ganz gut? Oder, um im Bild zu bleiben: der Beginn des Aufstiegs zum Dreitausender-Gipfel

    ist recht angenehm.

    Die Seilbahn läuft gut gefedert und die Sitze sind gepolstert :lol:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Zur damaligen Zeit wird Mission wohl immer so gelaufen sein,

    Ich weiß es einfach nicht. hasewue sagte ja schon, dass er sich eher als Entwicklungshelfer sieht: er hilft den Leuten, kleidet sich wie sie, bietet

    Kommunikation und unterhält später (im 2. Kapitel) eine Art Suppenküche. Er ist mir in seiner nüchternen Art auch nicht unsympathisch.

    In gewissem Sinn zweifelt er ja auch an seinem Glauben,

    Ich befürchte, er zweifelt mal nicht - er hat einfach keinen :)! Er ist Missionar geworden, weil er damit seinen Lebensunterhalt sichert und der Restauration in Deutschland entkommen will oder muss. Außerdem entstammt er einer Schicht, dem Kleinbürgertum der Handwerker, die Mitte des 19. Jhdts durch die

    aufkommende Industrialisierung nicht viel zu lachen hatte - und kaum was zu beißen.

    Mir gefällt dieser Pragmatismus, den der Autor seiner Figur gibt.

    Die Seilbahn läuft gut gefedert und die Sitze sind gepolster

    Ja, finde ich auch!

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ich habe noch einen kleinen Nachklapp zu Kapitel 1.


    Hier spricht der Ich-Erzähler Schillers Don Carlos an, diesen gefährlichen Satz. Er meint natürlich den Satz Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire, den

    Marquis Posa zum spanischen König sagt. Der Ich-Erzähler zitiert ihn aber nicht - d. h. die Zensur der Restauration und ihre schrecklichen Auswirkungen wirken bei ihm immer noch nach, obwohl er Tausende von Kilometern entfernt ist.


    Das erinnert mich an Aufführungen von Schillers Wilhelm Tell im III. Reich. Da geht es ja um die Berechtigung des Tyrannenmords, und weil bei einer bestimmten Zitat (das mir einfach nicht mehr einfällt), die Leute im Publikum heftig klatschten, gab es erstmal den Befehl, an dieser Stelle das Licht anzuschalten, damit die

    Klatscher identifiziert werden konnten. Das ließ sich so aber nicht durchhalten, und schließlich wurden alle Aufführungen von Wilhem Tell vom Führer selbst

    verboten.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • drawe Beim Unterrichts- und Aufführungsverbot von Schillers Wilhelm Tell durch Hitler ging es eher darum, dass sich im Drama ein deutschsprechender Volksstamm von Deutschland lossagt. Schon für Bismarck war der Tell eine Geschichte des Separatismus.


    Die von Dir erwähnte Annekdote des Klatschens im Theater ist eine Geschichte. Hitler war zu Beginn der 1940er Jahre im Inland der beliebteste deutsche Politiker, auf der Höhe seiner kriegerischen Erfolge. Wer soll da vom damaligen Theaterpublikum einen Tyrannenmord beklatscht haben?

  • Beim Unterrichts- und Aufführungsverbot von Schillers Wilhelm Tell durch Hitler ging es eher darum, dass sich im Drama ein deutschsprechender Volksstamm von Deutschland lossagt. Schon für Bismarck war der Tell eine Geschichte des Separatismus.

    Meines Wissens ist das die eine Hälfte der Begründung; Hitler mochte ja die Schweizer nicht.

    Die andere Hälfte ist die Sache mit dem Tyrannenmord.


    Statt im Fachbuch habe ich einfach mal gegooglet :pale::

    https://diepresse.com/home/zei…m-Vor-zum-Feindbild-wurde

    Die von Dir erwähnte Annekdote des Klatschens im Theater ist eine Geschichte. Hitler war zu Beginn der 1940er Jahre im Inland der beliebteste deutsche Politiker, auf der Höhe seiner kriegerischen Erfolge. Wer soll da vom damaligen Theaterpublikum einen Tyrannenmord beklatscht haben?

    Ach - es gab hinreichend Gegner. Kurz vor dem Verbot (1941) gab es mehrere Attentatsversuche auf Hitler, die mit einer Hinrichtung endeten.


    Aber Du meinst, dass das nur eine Art Treppenwitz ist? Ich habs in einem Lehrbuch gelesen?(, lass mich aber

    gerne belehren.


    Ich find's schön, dass Du mitliest :friends:

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ach - es gab hinreichend Gegner.

    Ach, ja? Das kann ich so nicht stehen lassen, Du hast pn, um hier nicht off-topic zu schreiben.

    Kurz vor dem Verbot (1941) gab es mehrere Attentatsversuche auf Hitler, die mit einer Hinrichtung endeten.

    Der Attentatsversuch fand 1938 statt. Der versuchte Attentäter (Hitler hatte das Lokal schon vorher verlassen) war ein Theologiestudent aus der Schweiz, Maurice Bavaud. Seine Inhaftierung und das Todesurteil wurden geheimgehalten, er wurde im Frühjahr 1941 hingerichtet. Auf die zeitliche Nähe zwischen dieser Hinrichtung und dem Tell-Verbot wurde von Rolf Hochhuth aufmerksam gemacht. Hochhuth hat über das Leben Bavauds recherchiert.

    Es war ein Einzelner.

  • Huhu, bin auch wieder da - gestern war ich durch Diverses zu abgelenkt. :wink:

    allerdings wurde mir hier noch einmal bewusst, wie dreist und verabscheuungswürdig eine Mission ist.

    In Kapitel 2 ist da eine Szene, die mich auch echt noch zum Nachdenken gebracht hat (S. 63, 2. Absatz): unser Protagonist erklärt, warum genau es Waisenhäuser nur für Mädchen gibt - aus Heiratsgründen für bekehrte männliche Chinesen. Ich hab noch nie über genau diesen Aspekt nachgedacht, ich kann auch nicht sagen, inwieweit das Spekulation des Autoren ist oder ob er dafür irgendwo Belege gefunden hat. Aber diese Interpretation macht für mich einen erschreckenden Sinn und macht mich nachträglich tatsächlich noch wütend. Da geht es nicht um Glauben und Mission, sondern um Kuppelei als Endzweck. :shock: Mir ist das auch erst im Nachhinein, im Nachdenken über das Gelesene so richtig aufgefallen, was Thome da schreibt. Das dauert bei mir manchmal etwas länger, das sackt so langsam durch - erst recht, wenn wir hier so unsere Gedanken austauschen.


    Er ist mir in seiner nüchternen Art auch nicht unsympathisch.

    Ganz im Gegenteil - das Pragmatische, wie Du es bezeichnest, gefällt mir sehr gut an ihm. :wink:

    Ich befürchte, er zweifelt mal nicht - er hat einfach keinen

    Da bin ich mir nicht so sicher -ich weiß nicht, inwieweit grad die Menschen aus seiner Schicht so einfach ihren Glauben ablegen konnten, waren sie doch alle in aller Regel sehr kirchengläubig erzogen. Aber zumindest stellt er ihn in Frage. Ich lass mich mal überraschen, was da noch kommt. :wink:


    Hier spricht der Ich-Erzähler Schillers Don Carlos an, diesen gefährlichen Satz. Er meint natürlich den Satz Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire, den

    Marquis Posa zum spanischen König sagt. Der Ich-Erzähler zitiert ihn aber nicht - d. h. die Zensur der Restauration und ihre schrecklichen Auswirkungen wirken bei ihm immer noch nach, obwohl er Tausende von Kilometern entfernt ist.

    Ich muss mich outen: ich hab es nie gelesen, das ist mir also nicht aufgefallen. :pale:


    Eine für mich auffallende Szene ist auch am Ende des 2. Kapitels: in den Engländern der London Missionary findet Philipp ja Weggefährten (Freunde wäre vielleicht etwas zu viel gesagt?). Hong Jin ist dort auch durchaus angesehen als gebildeter Mann, der die Hakka mit seinen fesselnden Reden anzieht und die Säle füllt. Aber dann kommt der Moment, wo er mit traditioneller Akupunktur Elisabeth helfen will und schon kommen alle Vorurteile zum Vorschein. Soweit reicht die Akzeptanz also nicht - weder die Akzeptanz der TCM und dann auch noch deren Anwendung an einer europäischen Frau. Das hatte ich richtig als Bild im Kopf, diese Empörung, dass ein Chinese Hand an eine Europäerin legen will. Die einzige, die damit gar kein Problem hat, ist Elisabeth selbst, da ist sie die einzige Pragmatikerin und aufgeklärte, im Sinn von für das Fremde offene, Person im Raum.


    Ab Kapitel 3 kommt die nächste wichtige Person ins Spiel: Lord Elgin, Diplomat, hochkarätiger uralter Adel mit direkter Abstammung von Robert the Bruce. Und ich finde es spannend, wie Thome Lord Elgin darstellt - wie zwiespältig, denn einerseits ist er ein typischer Hochadliger, auf der anderen Seite sieht er sehr deutlich all die Fehler, die das Empire hier in China durch seine Verbohrtheit begeht und worauf das Ganze zielt. Und er ist damit überhaupt nicht einverstanden, kann aber nicht wirklich etwas dagegen tun. Sehr spannend :lechz:


    Für mich entwickelt sich das Buch zum Pageturner, ich finde es richtig klasse. Nur leider fällt mein Pageturner auseinander :shock: Habt Ihr auch Probleme mit der Bindung oder hab ich ein Montags-Exemplar in Bezug auf die Bindung erwischt? Ich bin echt am Überlegen, in die Buchhandlung zu gehen - ein Hardcover, das die Bindung verliert, und das für diesen Preis, das sollte der Händler doch zurückgeben können? :-k

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Habt Ihr auch Probleme mit der Bindung

    Ich auch. Es fällt allerdings noch nicht auseinander, aber die Bindung löst sich.

    Finde ich nicht gut.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • unser Protagonist erklärt, warum genau es Waisenhäuser nur für Mädchen gibt - aus Heiratsgründen für bekehrte männliche Chinesen.

    Das fand ich auch interessant. Ich habe es allerdings so aufgefasst, dass diese "christlichen" Mädchen dafür sorgen, dass ihre künftigen Ehemänner sich ebenfalls "bekehren", also eine Art indirekte Mission stattfindet. Bekehrung scheint also kein inneres Geschehen zu sein, sondern lediglich eine äußere, nummerische Tatsache.

    da ist sie die einzige Pragmatikerin und aufgeklärte, im Sinn von für das Fremde offene, Person im Raum.

    Eine spannende Szene. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Behandlung von den anderen wie so eine Art Entweihung betrachtet wurde - vielleicht ist es aber auch nur die Angst vor dem Ungewohnten, sicherlich vor dem Hintergrund des sicheren Bewusstseins, dass die Weißen die Krone der Schöpfung sind. Dieses Bewusstsein bröckelt ja schon ein bisschen. Jedenfalls bin ich neugierig, wie das Thema des Rassismus weiter entwickelt wird.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ich muss mich outen: ich hab es nie gelesen,

    Gemeinsam ist man stark :wink::wink:.

    Frag mich lieber nicht, was ich alles nicht gelesen habe...

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Habt Ihr auch Probleme mit der Bindung

    Ich auch. Es fällt allerdings noch nicht auseinander, aber die Bindung löst sich.

    Finde ich nicht gut.

    okay, dann gehen wir wohl beide zum Umtausch in die Buchhandlung. Bei mir hat sich der Block der ersten gut 100 Seiten komplett vom Rücken gelöst und man kann darauf warten, dass sich daraus die Seiten lösen. :roll:

    Das fand ich auch interessant. Ich habe es allerdings so aufgefasst, dass diese "christlichen" Mädchen dafür sorgen, dass ihre künftigen Ehemänner sich ebenfalls "bekehren", also eine Art indirekte Mission stattfindet.

    Da werde ich die Szene nochmal nachlesen... vielleicht hab ich was überlesen? Oder vielleicht ist es ja auch zweideutig :-k

    Ich hatte auch den Eindruck, dass die Behandlung von den anderen wie so eine Art Entweihung betrachtet wurde - vielleicht ist es aber auch nur die Angst vor dem Ungewohnten, sicherlich vor dem Hintergrund des sicheren Bewusstseins, dass die Weißen die Krone der Schöpfung sind

    Ich hatte das Gefühl als seien die anderen Europäer inklusive Philipp schlicht entsetzt, dass ein Chinese sich erdreistet, eine Europäerin überhaupt nur anzufassen. Wie kann er nur - Entweihung passt also durchaus, nur irgendwie noch gröber, härter....

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • der Block der ersten gut 100 Seiten komplett vom Rücken gelöst

    Unmöglich! Hast Du schon reklamiert?

    Oder vielleicht ist es ja auch zweideutig

    … und jeder kann das auffassen, wie er meint.

    Was meinst Du: wird Sex hier zum Missionierungsinstrument?

    Ist es so, dass die Heiratskandidaten

    aus lauter Gier (pardon...) das Christentum annehmen? Oder das Mädchen heiraten und dann von ihr quasi infiltriert werden (so hattest Du das aufgefasst)?

    Ich habe keine Ahnung von chinesischen Heiratssitten - es kommt mir aber merkwürdig vor, dass die jungen Männer frei wählen, und ein Waisenmädchen hatte doch bestimmt keine guten Karten auf dem Heiratsmarkt?


    In unserer Regionalzeitung war gestern ein Bericht, der mich an das Thema erinnert: die Landfrauen aus einem Dorf neben haben für "die Mission" gesammelt, immerhin an die € 1.000,-- Ich will nicht wissen, wieviele Strümpfe die Frauen dafür gestrickt, wieviele Kräuterbuschen sie gebunden und Plätzchen gebacken haben... Jedenfalls wurde das Ganze an eine Nonne übergeben.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Hast Du schon reklamiert?

    Das mache ich morgen - da hab ich schon sehr früh Feierabend und muss eh noch einiges in der Stadt besorgen. Wobei das kein Problem wird, meine Buchhändlerinnen kennen mich gut und man sieht ja am Buch, dass es an der Bindung und nicht am Leser liegt. Ich gehör zu den Menschen mit sog. Buchhändlergriff und die meisten Bücher liegen eh auf meinen Beinen wenn ich lese :wink:

    Was meinst Du: wird Sex hier zum Missionierungsinstrument?

    Nein, ich denke es ist die Ehe, die instrumentalisiert wird.

    Die Mädchen per se sind uninteressant - das typische Frauenbild: Frauen zählen nicht, die muss man auch nicht missionieren, und an die chinesischen Frauen kommen die Europäer sowieso nicht ran, die sind in den Häusern der Familie hinter Schloss und Riegel.

    Ich verstehe die Szene so: kein männlicher Chinese wird sich taufen lassen wenn das für ihn bedeutet, dass er keine Ehefrau mehr findet und ehelos bleiben muss. Und kein chinesisches Familienoberhaupt alten Glaubens wird seine Tochter einem Christen zur Frau geben, denn Christen opfern nicht den Ahnen, so wie es der alte Glaube gebietet. Also müssen christliche chinesische Frauen her - und das geht nur, wenn man die Waisenmädchen vor dem Verhungern rettet und sie gleichzeitig durch ihre Erziehung zu passenden Frauen für getaufte Chinesen macht. Nur so kommt man zu den gewünschten Missionierungen, die ja nur nach getauften Köpfen gezählt wird.:roll:


    Ich weiß nicht, wie weit Ihr im Pensum seid, ich hab das Ende von Kapitel 4 erreicht. Die beiden Kapitel drehen sich um Lord Elgin, einen sehr interessanten Mann. Thome schildert ihn sehr facettenreich - es würde mich jetzt echt interessieren, anhand welcher Dokumente er ihn so darstellt. Ich könnte mir vorstellen, dass es genügend Belege für seinen Charakter gibt. Aber ich möchte jetzt noch nicht zu viel erzählen um Euch nicht den Spaß zu verderben. Aber er ist ein richtig guter Typ für damalige Zeit und bietet genügend Gesprächsstoff. Und sein Sekretär Maddox noch mehr :mrgreen:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier



  • Ich weiß nicht, wie weit Ihr im Pensum seid, ich hab das Ende von Kapitel 4 erreicht. Die beiden Kapitel drehen sich um Lord Elgin, einen sehr interessanten Mann. Thome schildert ihn sehr facettenreich - es würde mich jetzt echt interessieren, anhand welcher Dokumente er ihn so darstellt. Ich könnte mir vorstellen, dass es genügend Belege für seinen Charakter gibt. Aber ich möchte jetzt noch nicht zu viel erzählen um Euch nicht den Spaß zu verderben. Aber er ist ein richtig guter Typ für damalige Zeit und bietet genügend Gesprächsstoff. Und sein Sekretär Maddox noch mehr :mrgreen:

    Ich bin auch mit dem ersten Leserundenabschnitt durch. Kapitel 3 und 4 habe ich an einem Stück gelesen.


    Eine für mich auffallende Szene ist auch am Ende des 2. Kapitels: in den Engländern der London Missionary findet Philipp ja Weggefährten (Freunde wäre vielleicht etwas zu viel gesagt?). Hong Jin ist dort auch durchaus angesehen als gebildeter Mann, der die Hakka mit seinen fesselnden Reden anzieht und die Säle füllt. Aber dann kommt der Moment, wo er mit traditioneller Akupunktur Elisabeth helfen will und schon kommen alle Vorurteile zum Vorschein. Soweit reicht die Akzeptanz also nicht - weder die Akzeptanz der TCM und dann auch noch deren Anwendung an einer europäischen Frau. Das hatte ich richtig als Bild im Kopf, diese Empörung, dass ein Chinese Hand an eine Europäerin legen will. Die einzige, die damit gar kein Problem hat, ist Elisabeth selbst, da ist sie die einzige Pragmatikerin und aufgeklärte, im Sinn von für das Fremde offene, Person im Raum.


    Ab Kapitel 3 kommt die nächste wichtige Person ins Spiel: Lord Elgin, Diplomat, hochkarätiger uralter Adel mit direkter Abstammung von Robert the Bruce. Und ich finde es spannend, wie Thome Lord Elgin darstellt - wie zwiespältig, denn einerseits ist er ein typischer Hochadliger, auf der anderen Seite sieht er sehr deutlich all die Fehler, die das Empire hier in China durch seine Verbohrtheit begeht und worauf das Ganze zielt. Und er ist damit überhaupt nicht einverstanden, kann aber nicht wirklich etwas dagegen tun. Sehr spannend :lechz:

    Mit Philipp kann ich aktuell mehr anfangen als mit Lord Elgin bzw. werde mit ihm eher warm. Er tat mir deshalb auch sehr Leid, als er von Elisabeth den Korb bekam. Abwarten, wie sich das zwischen den beiden noch entwickelt und ob sie ihre Meinung noch ändert.:wink:

    Dennoch finde ich beide Charaktere (Philipp und Lord Elgin) und ihre Rollen interessant. Vor allem, ob sie etwas und wenn ja, was sie bewirken.


    Ich komme nun langsam richtig ins Buch rein und finde es nach wie vor angenehm und interessant zu lesen. Wie schon Squirrel treffend bemerkt hat, fällt manches erst hier bei der Diskussion auf, deswegen finde ich das Buch als Leserundenbuch richtig gut.:thumleft:

  • Nein, ich denke es ist die Ehe, die instrumentalisiert wird.

    Das, was Du schreibst, erscheint mir absolut schlüssig.

    Das ist ja irgendwie merkwürdig - das "Heranzüchten" von weiblichem Heiratsmaterial … Vielleicht bin ich zu streng. Immerhin werden die

    Babies versorgt. Die Alternative stelle ich mir lieber nicht vor.


    Ich bin auch mit dem ersten Leserundenabschnitt durch.

    Ich bin noch nicht so weit - aber heute Nachmittag habe ich Zeit.

    Ihr habt mich neugierig gemacht mit Euren schottischen Herren.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).