Mario Vargas Llosa - Die Enthüllung / Cinco esquinas

  • Allgemeines:

    301 Seiten

    Suhrkamp Verlag 2016

    Originaltitel: Cinco esquinas

    Aus dem Spanischen übersetzt von Thomas Brovot


    Klappentext (Quelle: amazon):

    Enrique ist glücklich verheiratet, beruflich erfolgreich und hat ein Riesenproblem: Er wird erpresst. Von Garro, dem Besitzer eines Boulevardblatts, der belastende Fotos hat und Enrique zwingen will, in die strauchelnde Zeitschrift zu investieren. Enrique sucht Rat bei Luciano, seinem alten Weggefährten und Anwalt, verliert jedoch im entscheidenden Moment die Nerven und bietet dem Erpresser offen die Stirn. Der bringt darauf die Fotos und wird kurze Zeit später tot aufgefunden, brutal ermordet. Enrique, geschäftlich wie moralisch ruiniert, glaubt, das sei das Ende. Doch es ist erst der Anfang. Denn während die Polizei ihn der Bluttat verdächtigt und er in undurchsichtige Machenschaften gerät, die aus den allerhöchsten Regierungskreise gesteuert scheinen, kommen sich seine und Lucianos Frau mehr als nur freundschaftlich nahe...


    Zum Autor bzw. zu den autobiografischen Bezügen:

    Mario Vargas Llosa, geb. 1936 in Peru, lebt heute in Spanien. In den 80er Jahren engagierte er sich politisch (nach eigener Aussage ist er liberaler Demokrat) und ließ sich schließlich als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten aufstellen. In einer Stichwahl verlor er gegen seinen Gegenkandidaten Fujimori (inzwischen verurteilt und inhaftiert), der das Land mit Korruption, Gewalt und einem allgegenwärtigen Spitzelsystem in eine Diktatur verwandelte. Diese zeitgeschichtlichen Ereignisse bilden die Hintergrundfolie für den Roman.

    Der Roman erschien übrigens in Peru mitten im Präsidentschaftswahlkampf, den Fujimoris Tochter führte und – nicht zuletzt durch dieses Buch – verlor.


    Eine zweite, sehr persönliche Erfahrung fließt m. E. auch in das Buch ein, und zwar Vargas Llosas Erfahrungen mit der Regenbogenpresse, nachdem er sich nach fast 50 Jahren Ehe von seiner Frau getrennt und eine ehemaliges Model geheiratet hatte.

    Vargas Llosa erhielt 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis für Literatur.


    Mein Leseeindruck:

    Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei befreundete Ehepaare der peruanischen Oberschicht: ein Ehemann, Enrique, ist ein führender Industrieller des Landes, der andere Anwalt, ihre Ehefrauen vertreiben sich die Zeit mit Shopping in Miami und Yoga-Kursen. Der Roman beginnt mit einer Liebesszene zwischen den beiden Frauen, und damit ist quasi ein Grundakkord des Buches angeschlagen: es geht ständig um Sex, und der Erzähler gefällt sich darin, die Sexszenen zu beschreiben.


    Enrique gerät wegen anrüchiger Fotos in die Fänge der Klatschpresse, wird erpresst, verweigert sich der Erpressung und wird mit der Veröffentlichung der pikanten Fotos konfrontiert. Dieses Vorgehen ist für den Autor nichts Ungewöhnliches, er sagt dazu: "Im Fall der Diktatur von Fujimori … hatte es System, mithilfe der Klatschpresse politische Gegner einzuschüchtern, zu bestrafen, durch den Dreck zu ziehen. Meistens ging es um Sexskandale, die in 90 Prozent der Fälle erfunden waren.“

    Der Journalist wird ermordet aufgefunden, und Enrique ist nun beschäftigt, die Folgen dieser Enthüllung zu bekämpfen. Auch die beiden Damen sind damit beschäftigt, eine Enthüllung ihrer Beziehung zu verhindern.

    Schließlich nimmt Enrique an ihren pikanten Treffen teil – und das letzte Kapitel bietet eine Enthüllung der ganz besonderen Art, die den Leser verblüfft zurücklässt.


    Das Buch ist also ein Sittenroman, aber man tut ihm Unrecht, wenn man seinen Inhalt auf die erotischen Spielereien reduziert. Angst und Schrecken des blutigen Regimes sind allgegenwärtig. Denunziantentum, Entführungen, Erpressungen, Ausgangssperre, Falschaussagen, gekaufte Journalisten, staatlicher Terror und Gegenterror privater Banden gehören zur Tagesordnung.

    Die Dekadenz der beiden Paare, d. h. ihre zynische Ignoranz angesichts dieser Zustände ist erschreckend. Sie und ihre Schicht ziehen sich in die innere Emigration des privaten Luxus zurück.


    Auch die Darstellung der Journalisten lässt einen gruseln: ein schmieriger Harlekin und eine Zwergin im Dienst des Diktators und des Geheimdienstes. Ihre Zeitung lebt von Enthüllungen und Pikanterien, und je nach Auftrag „erledigen“ sie jeden bis dato unbescholtenen Bürger: „Der Artikel ist fertig, Chef, die Einäugige ist im Arsch.“

    Beide wirken wie Karikaturen –

    und diese Eindimensionalität hat mir nun weniger gefallen.


    Nicht nur bei den beiden Journalistenfiguren. Alle Figuren sind merkwürdig leblos, klischeehaft und einseitig gezeichnet. Auch die Sprache unterstützt dieses Einseitige; die Beschreibungen der erotischen Szenen sind eigenartig hölzern, irgendwie akademisch, und von Redundanzen geprägt. Mag sein, dass damit die politischen Absichten dieses Buchs stärker heraustreten sollen – aber das Buch verliert damit an psychologischer, menschlicher Tiefe. Aber vielleicht ist das ja auch so gewollt…?


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Mario Vargas Llosa - Die Enthüllung“ zu „Mario Vargas Llosa - Die Enthüllung / Cinco esquinas“ geändert.