Der kleine Trommler

Buch von Dai Sijie, Eike Findeisen

Bewertungen

Der kleine Trommler wurde insgesamt 7 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 3,7 Sternen.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Der kleine Trommler

    Klappentext:
    Nach dem Welterfolg von »Balzac und die kleine chinesische Schneiderin« neue Geschichten aus dem heutigen China: ein Junge, der zum Zirkus will, die Tochter des Stauseewächters, der Sohn der Schmiedin – drei wahrhaft tragikomische Leben, geschildert mit bezaubernder Leichtigkeit.
    Der Kantinendirektor kauft den dreizehnjährigen Neffen der Stummen für einen monströsen Plan … Die kleine Eistänzerin ist überzeugt davon, dass ihr Vater, der Wächter des Stausees, ihre Mutter ermordet hat … Die alte Schmiedin schürt noch einmal das Feuer, um eine Kette herzustellen, mit der sie ihren Sohn an einen Baum fesseln kann …Auf der Insel der Edlen gibt es eigentlich nur Müll und die Ärmsten der Armen, die versuchen, durch »Wertstoffgewinnung« ihr Leben zu bestreiten. Vor dieser sehr realen Kulisse, die dennoch jedem Science-Fiction-Film zur Ehre gereichen würde, spielen drei gespenstisch gute Geschichten, in denen Dai Sijie dem modernen China ein unvergessliches Gesicht gibt. (von der Verlagsseite kopiert)
    Zum Autor:
    Dai Sijie, geboren 1954 in der Provinz Fujian in China, wurde von 1971 bis 1974 im Zuge der kulturellen Umerziehung in ein Bergdorf verschickt. Nach Maos Tod studierte er Kunstgeschichte und emigrierte 1984 nach Paris. »Balzac und die kleine chinesische Schneiderin«, sein erster Roman, wurde ein großer internationaler Erfolg und in einer französisch-chinesischen Produktion erfolgreich verfilmt. Zuletzt erschien von ihm auf deutsch »Wie ein Wanderer in einer mondlosen Nacht«. (von der Verlagsseite kopiert)
    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Trois vies chinoises
    Erstmals erschienen 2011 bei Flammarion, Paris
    Aus dem Französischen übersetzt von Eike Findeisen
    3 Erzählungen auf 151 Seiten
    Eigene Meinung / Bewertung:
    Erste Erzählung „Ho Chi Minh“ (S.7-52)
    Der Chef einer Gefängniskantine kauft einer stummen Tofuhändlerin, mit der er seit langem Geschäftbeziehungen pflegt, ihren 12jährigen, an Progerie (Info dazu) leidenden Neffen ab. Warum?
    Der Junge wird in eine bewachte Lagerhalle gebracht, bekommt Hand- und Fußfesseln und muss auf Geheiß seines Käufers Texte von einer Kassette auswendig lernen. Dem Jungen gefällt dies alles sehr gut, und er strebt ehrgeizig danach, die Wünsche des Kantinenchefs zu erfüllen, denn er träumt davon, dass er zum Zirkus geschickt oder als Schauspieler auftreten wirdl.
    Auch wenn die Erzählung einen anderen Titel hat, ist das Buch dennoch nach dieser Geschichte benannt, denn die Tofuverkäuferin trommelt bei ihren Straßenverkäufen, um die Kunden auf sich aufmerksam zu machen; von ihr lernt es der Junge, und leider trägt dieses Können zu seinem Schicksal bei.
    Der Leser besitzt zwar nicht mehr Informationen als der Junge, doch er ahnt, was geschehen wird. Und immer näher und immer bedrohlicher sieht er seine Ahnung bestätigt, bis hin zur Pointe, die, obwohl erwartet, dennoch erschreckt. Glücklicherweise wird der endgültige Schluss nicht geschildert, sondern nur für den Kopf des Lesers vorbereitet.
    Eine Erzählung, die zu Sijies Thema „Umerziehung“ passt: - Gib einem Menschen etwas, das seine Träume füttert, und du kannst ihn lenken. Lass ihn an etwas glauben, das seinem Leben Sinn gibt, und er hinterfragt dich nicht.-
    Zweite Erzählung „Der Bogart vom Wasserreservoir“ (S.55-113)
    „Bogart“ nennt man den Vater der Ich-Erzählerin, eines jungen Mädchens, weil er seine Zigarette so in der Hand hält wie der Hauptdarsteller von „Casablanca“. Er arbeitet als Wächter eines Stausees und trainiert seine Tochter zu einer Eiskunstläuferin. Als Folge einer Bleivergiftung durch ihre Arbeit in einer Recycling-Werkstatt verliert die Mutter des Mädchens ihr Gedächtnis und verschwindet eines Tages. Nach dem Fund eines Schuhs und eines Knochens unter dem Eis verdächtigt das Mädchen seinen Vater, die Mutter umgebracht zu haben, und flüchtet von Zuhause nach einer folgenschweren Handlung.
    Grauenvoll sieht es auf der Insel aus, auf der Bogart und seine Familie leben. Vegetation und Wege sind unter Elektroschrott verschwunden, der in der Werkstatt zur Wiederverwertung auseinandergebaut wird. Unzählige Unfälle, Krankheiten und Umweltzerstörung sind die Folge. Nur Bogarts Stausee scheint davongekommen, und sein Haus ist eine Oase inmitten von Dreck, Gestank und Wracks.
    Es könnte eine zauberhafte Liebesgeschichte sein, die Bogart und seine Frau erleben, eine Ehe, die nicht mit Blumenkränzen oder Ringen besiegelt wird, sondern mit zwei Patronenhülsen, die das Besondere ausdrücken, was die beiden trotz ihrer Unterschiedlichkeit verbindet.
    Dennoch gelingt der Rückzug in ein privates Glück nicht, der Zustand der Umgebung holt die Familie ein. Die Gifte zerfressen zuerst das Gehirn der Mutter, bis sie nicht einmal mehr in der Lage zu kleinen alltäglichen Arbeiten ist, und sie zerfressen das Vertrauen der Tochter in den Vater, dessen Augapfel sie ist. Und am Ende töten sie – wenn auch indirekt.
    Darüber kann das unerwartete, überraschende Happy End nicht hinwegtrösten.
    Dritte Erzählung „Der Gepanzerte, der Berge durchquert“ (S.117-151)
    Eine Mutter zweier Söhne führt nach dem Tod ihres Mannes dessen Schmiedewerkstatt weiter, bis sie von Staats wegen geschlossen und in einen Recyclingbetrieb für Elektroschrott umgewandelt wird. Durch die Gifte in der Werkstatt erkrankt der ältere Sohn psychisch schwer und müsste eigentlich in eine Heilanstalt, die sich die Familie nicht leisten kann. Die Mutter muss sich etwas einfallen lassen, zumal der jüngere Sohn zum Kunststudium von Zuhause weggeht. Er muss sein Studium durch Arbeit in einem Restaurant finanzieren, die Kunst bleibt ihm weitestgehend verschlossen, weil er sich eher für medizinische Fragen, v.a. für Vergiftungen interessiert. Nur eine Zeichnung, immer wieder radiert, überarbeitet und neu konzipiert, gelingt. Wieder zuhause muss er erleben, wie seine Zeichnung zu dem grässlichsten Opfer, das seine Mutter für den älteren Sohn bringt, korrespondiert.
    Kann man in den ersten beiden Geschichten trotz der Tragik poetische Momente und unbeschwerte Passagen entdecken, fehlen sie hier völlig. Sogar die Studentenzeit des jüngeren Sohnes, weit ab von den Katastrophen und Problemen im Elternhaus, enthalten bedrückende, schwer erträgliche Episoden.
    Auch ist hier die Kritik an der chinesischen Industrie am deutlichsten und lautesten, weil über den exemplarischen Fall der Personen hinaus sachliche Informationen eingestreut sind.
    Die literarischen Verbindungen zwischen dem Titel der Erzählung, dem Ereignis im Restaurant und der Schlusspassage sind ebenso meisterhaft wie unerträglich.
    Fazit:
    Glänzend aufgebaute Handlungen – wunderschön erzählt – beeindruckend, berührend und bedrückend.
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Ausgaben von Der kleine Trommler

Taschenbuch

Seitenzahl: 160

Hardcover

Seitenzahl: 160

Der kleine Trommler in anderen Sprachen

  • Deutsch: Der kleine Trommler (Details)
  • Französisch: Trois vies chinoises (Details)

Besitzer des Buches 8

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