Dahinter das offene Meer

Buch von Ben Smith, Werner Löcher-Lawrence

Bewertungen

Dahinter das offene Meer wurde insgesamt 2 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4 Sternen.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Dahinter das offene Meer

    Der Autor (Quelle: Liebeskind): Ben Smith, 1985 in der Grafschaft Warwickshire geboren, ging in Stratford-upon-Avon zur Schule und studierte anschließend Literaturwissenschaften in Exeter. Heute lehrt er Kreatives Schreiben an der Universität von Plymouth, wo er an mehreren Projekten zum Thema Klimawandel arbeitet. Sein Debütroman „Dahinter das offene Meer“ ist sein erster Roman.
    Klappentext (Quelle: Liebeskind): Was kommt nach dem Klimaschock? Ben Smiths packender Roman ist ein Kammerspiel über das Leben in einer versehrten Welt – und eine Parabel auf unsere zusehends selbstvergessene Gegenwart. Ein Buch, das durch seine klare, poetische Sprache eine fast archaische Wucht entwickelt.
    Der Junge und der alte Mann leben auf einer Plattform in der Nordsee, inmitten eines riesigen Windparks, der langsam verfällt. Es gibt kein Stück Horizont ohne Windräder, doch der Park läuft nur noch mit neunundfünfzig Prozent Leistung, manchmal mehr, manchmal weniger. Öl und Schmierfett lecken aus den Rädern, die von Rost überzogen sind, manche neigen sich leicht zur Seite, die Fundamente zerfallen. Der Junge und der alte Mann sollen mit ihrem Wartungsboot den Park instand halten. Aber mit den ihnen zur Verfügung stehenden Werkzeugen und Ersatzteilen können sie immer nur notdürftige Reparaturen vornehmen. Übersetzungsräder austauschen, Risse schweißen, Kabel neu verlegen. Alle drei Monate bringt ein Versorgungsschiff neue Ersatzteile, meist jedoch nicht …
    Der Junge wurde von der "Firma" auf die Plattform geschickt, um den Platz seines Vaters einzunehmen, der einst spurlos verschwunden ist. Der alte Mann hüllt sich darüber in Schweigen. Als der Junge durch Zufall ein zweites Wartungsboot findet, zusammen mit einer Karte vom Festland, beginnt er seine Flucht zu planen. Zwischen dem Jungen und dem alten Mann beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel.
    Englische, niederländische und deutsche Ausgaben:
    Die englische Originalausgabe erschien im April 2019 unter dem Titel „Doggerland“ als Hardcover im Verlag 4th Estate in London (248 Seiten), neuaufgelegt als Paperback im Februar 2020 ebendort.Die niederländische Übersetzung von Kees Mollema erschien im April 2019 unter dem Titel „Doggerland“ bei Uitgeverij Atlas Contact in Amsterdam (264 Seiten).Die deutsche Übersetzung aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence erschien im Februar 2020 unter dem Titel „Dahinter das offene Meer“ als Hardcover mit Schutzumschlag und E-Book in der Verlagsbuchhandlung Liebeskind in München (254 Seiten).
    Meine Einschätzung:
    Der deutsche Titel betont den Wunsch des jungen Mannes, von der Plattform in der Nordsee, von wo aus er zusammen mit dem alten Mann die maroden Windräder des gewaltigen Offshore-Windparks repariert, wegzukommen: mit dem Boot die Grenzen des Parks verlassen, ab in das offene Meer. Der englische Titel betont dagegen den Ort, wo die Handlung spielt, Doggerland, das heute überflutete Land, das noch in der Steinzeit die britischen Inseln mit Skandinavien und Kontinentaleuropa verband. Gewissermaßen spiegelt sich in dem englischen Titel eher der Wunsch des alten Mannes, der in die Tiefe spürt, Dinge heben möchte, im Meeresboden stochert, ob er nicht Relikte der Vergangenheit findet. Die beiden haben ja so viel Zeit bei ihrem eintönigen Job. Man stochert, man träumt, man hält eine Angelschnur ins Wasser, an die nie ein Fisch anbeißt; wahrscheinlich gibt es keine Fische mehr im Meer ...
    Überhaupt scheint mir der Roman eine Geschichte über Zeit zu sein. Wie wenig sich verändern kann. Wie schleichend ein sozialer Wandel ablaufen kann, so dass man ihn kaum merkt – tatsächlich spielt der Roman in einer kaum skizzierten, desolaten Nahzukunft, in der bestimmte Lebensmittel dem jungen Mann schon nicht mehr bekannt sind, zivilisatorische Standards gesenkt zu sein scheinen und die politische Ordnung entweder kaum existent oder in den Händen von zu Wasserköpfen angewachsenen Mega-Firmen zu liegen scheint: Der Verfall wird verwaltet. Wie das Gefühl heißt, auf eine Verbesserung in der Zukunft zu hoffen, hat der junge Mann inzwischen fast vergessen. Allerdings versucht er, dem Beispiel seines Vaters nachzueifern, dem vielleicht die Flucht mit dem Boot in die Freiheit des offenen Meeres gelang. Der alte Mann würde sagen, seine Flucht wäre verantwortungslos, da er dadurch seinen Sohn dazu verpflichtete, den unliebsamen Montagejob an seiner Statt anzutreten. Aber wahrscheinlich ist er ja sowieso gescheitert!
    So wirklich wird der Leser „die Wahrheit“ allerdings gar nicht erfahren, da es Ben Smith weniger um eine dystopische Heldenreise geht, in deren Verlauf interessante Hindernisse, Konflikte und Entdeckungen bewältigt werden müssen. Nein, dem an Klimapolitik interessierten Lyriker geht es um eine Metapher für das Leben und wie der Mensch mit dem existenziellen Schrecken, das die Zeit vergeht, zurechtkommt. Ausgesetzt den Urkräften der Natur: Wie das Wasser beständig daran arbeitet, an festen Körpern das Eckige abzurunden, Kanten abzutragen. Festigkeit ist nichts anderes als eine Unterbrechung des permanenten Fließens, ein Hindernis, das das Wasser wieder zu verflüssigen versucht. Der Roman ist im Grunde ein Schwanengesang auf die Eitelkeit menschlichen Strebens: Alles was der Mensch in Gang setzt, baut und errichtet, alles, was er für wichtig hält, ist belanglos im Vergleich zum Alter des Wassers.
    Bedenkt man den limitierten Schauplatz und die Beschränkung auf drei Figuren, ist der Roman erstaunlich abwechslungsreich und spannend zu lesen. Smith‘ Stil ist nicht aufgesetzt verdüstert, sondern sehr pointiert und von einer poetischen Bildhaftigkeit, die ein Genuss ist. Eine tiefere Charakterisierung oder Vorgeschichte der Figuren wäre dann und wann vielleicht wünschenswert, hätte allerdings auch das Schwebende, Metaphorische der Handlung zu Gunsten einer an Plot Points interessierten Dystopie verraten. Das, was Smith meiner Ansicht nach zum Ausdruck bringen will, erreicht er auf dem Weg, den er einschlägt: Das Ende der Geschichten im Angesicht einer existenziellen Lebenssituation.
    Aber Leser des Romans sollten wissen, dass sie am Ende nicht mit einer ausgefuchsten Geschichte belohnt werden: „Dahinter das offene Meer“ ist reine Stimmung, ein Gefühl – oder eher noch die Ahnung eines Gefühls, das man schon längst vergessen hat. Die Erinnerung zweier Männer aus einer postindustriellen Zeit des gesellschaftlichen Niedergangs an die Steinzeit, als Aufbruch noch möglich war.
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Ausgaben von Dahinter das offene Meer

Hardcover

Seitenzahl: 256

E-Book

Seitenzahl: 256

Besitzer des Buches 3

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