Julian Barnes - Lebensstufen / Levels of Life

  • Original : Englisch, 2013


    INHALT :
    In « Levels of Life » (also ungefähr : « Lebensebenen »)stellt uns Barnes in drei Kapiteln verschiedene Assoziationen, Zusammenstellungen von Dingen und Personen vor :
    - Da ist zunächst Nadar, der Ballonpionnier und gleichzeitig Photograph der ersten Luftaufnahmen. Er brachte diese beiden Dinge zusammen und führte zu neuen Erkenntnissen, Ausblicken.
    - Im zweiten Teil werden uns Colonel Fred Barnaby, ebenfalls ein lebenslustiger Bohémien, Ballonfahrer, Soldat und Sarah Bernhardt in ihrer Liebschaft vorgestellt. Sie endet für den einen katastrophal : als ob man auf verschiedenen Ebenen und Erwrtungshaltungen kommuniziert hätte.
    - Schließlich spricht Barnes im dritten, persönlichsten Teil von seiner eigenen Trauer, « seinem Höhenverlust » durch Verlust der dreißigjährigen Ehefrau Pat, 2008.


    BEMERKUNGEN :« You put together two things that have not been put together before. And the world is changed. » Zwei Dinge, oder Personen... Das Buch beginnt mit kleinen Ausflügen in die Geschichte der Luftfahrt, von eindrücklichen Ballonfahrten : sprechendes Symbol für den Willen des Menschen, sich zu erheben, um die Welt von oben zu betrachten. Diese kleinen Schilderungen sind sicherlich sachlich exakt, aber mit viel Humor erzählt. So british ?!
    Besonders betrachtet Julian Barnes nach mehreren kurzen Vorstellungen das Leben von Nadar, der 1858 aus Ballons die ersten Luftaufnahmen realisierte.

    Der zweite Teil geht näher auf einen weiteren Pionnier und Abenteurer ein, Fred Barnaby, beschäftigt sich aber vor allem mit seinem Verhältnis mit verschiedenen Erwartungshaltungen zu Sarah Bernhardt, dem steigenden Stern am Schauspielerhimmel.


    Doch der dritte Teil ist bei Weitesten der persönlichste, markierendste : Circa vier Jahre vor Niederschrift dieses Buches (abgeschlossen im Oktober 2012) hatte Juklian Barnes seine langjährige Ehefrau Pat verloren. Und nun erzählt er von diesem Verlust, auch « Höhenverlust » : etwas von ihm selbst ist gegangen, er ist ohne sie unvollständig. Hinter all seinen Beschreibungen erahnt man die Tiefe einer glücklichen, dreißigjährigen Ehe. Angesichts seiner teils harten Reaktionen auf die dummen Bemerkungen auch nächster Freunde zu seiner Trauer (nun, jetzt hast Du das ja überwunden ! Etc), mag man selber kaum etwas hinzusetzen, aus Furcht, auch nur Bockmist zu sagen. Eines aber ist auffallend : Julian Barnes geht von der definitiven, endgültigen Trennung aus, es gibt keine Hoffnung, keine Vertröstung auf ein « Danach ».
    Dies fordert den Respekt, denn Barnes erscheint konsequent in den daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen. Ich folge ihm nicht darin in allen Dingen, so sehr ich auch manche Dinge verstehe und ähnlich empfinden mag. Manchmal erschien mir dann die Lektüre als knallhart (bei aller ausgedrückten Liebe) und eventuell schwere Kost für den unvorbereiteten und unsicheren Leser.


    Aber welche Kraft die Schreibe von Barnes doch hat ! Hut ab !


    Ich habe es in der sehr lesbaren englischen Originalausgabe gelesen. Man könnte dieses Buch wohl auch unter Sachbuch oder Biographie, bzw Autobiographie einordnen. Die Zuteilung fällt schwer.


    AUTOR :
    Julian Patrick Barnes (* 19. Januar 1946 in Leicester; als Pseudonym gelegentlich Dan Kavanagh) ist ein englischer Schriftsteller². Er arbeitete nach einem Sprachenstudium und einem anschließenden Jurastudium als Lexikograph und Journalist. Seit etwa 1980 ist er als Schriftsteller tätig.

    Unter dem Pseudonym Dan Kavanagh (Familienname seiner Frau!) schrieb Julian Barnes in den 1980er Jahren vier Kriminalromane. Etwa gleichzeitig mit dem ersten publizierte er das Buch Metroland, eine Novelle über einen jugendlichen Großstädter und seine Reiseerlebnisse in Paris und London. Es folgten zahlreiche weitere Romane, Erzählungen und Essays. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit machte er sich einen Namen als Übersetzer französischer Literatur, etwa von Alphonse Daudet und Gustave Flaubert. Barnes gilt als Vertreter der Postmoderne. Er gewann 2011 den Man Booker Prize für « The sense of an ending ».

    1979 heiratete Barnes seine damalige Agentin Patricia Olive Kavanagh, die aus Südafrika stammte. Ihr sind auch die meisten seiner Werke gewidmet hat. Sie starb am 20. Oktober 2008 an den Folgen eines Gehirntumors.

    Julian Barnes lebt in London. Er ist der jüngere Bruder des Philosophen und Philosophiehistorikers Jonathan Barnes. Er bezeichnet sich selbst als glücklichen Atheisten.


    Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
    Verlag: Jonathan Cape (4. April 2013)
    Sprache: Englisch
    ISBN-10: 0224098152
    ISBN-13: 978-0224098151

  • Klappentext:
    Julian Barnes’ neues Buch handelt von Ballonfahrt, Fotografie, Liebe und Trauer. Davon, dass man zwei Menschen oder zwei Dinge verbindet und sie wieder auseinanderreißt. Einer der Juroren für den Man Booker Prize nannte Julian Barnes einen »beispiellosen Zauberer des Herzens«. Das vorliegende Buch bestätigt dies. Julian Barnes schreibt über die menschliche Existenz – auf der Erde und in der Luft. Wir lernen Nadar kennen, Pionier der Ballonfahrt und einer der ersten Fotografen, die Luftaufnahmen machten, sowie Colonel Fred Burnaby, der zum eigenwilligen Bewunderer der extravaganten Schauspielerin Sarah Bernhardt wird. Und wir lesen über Julian Barnes’ eigene Trauer über den Tod seiner Frau – schonungslos offen, präzise und tief berührend. Ein Buch über das Wagnis zu lieben. (von der Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:
    Julian Barnes, geboren 1946, erhielt zahlreiche europäische und amerikanische Literaturpreise, 2011 wurde er mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Er hat ein umfangreiches erzählerisches Werk vorgelegt, u.a. die Romane Flauberts Papagei, Darüber reden und Arthur & George. Sein Roman Vom Ende einer Geschichte verkaufte sich über 130.000 Mal. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Levels of Life
    Erstmals erschienen 2013 bei Jonathan Cape, London
    Aus dem Englischen übesetzt von Gertraude Krueger
    Drei Teile:
    > Die Sünde der Höhe
    > Auf ebenen Bahnen
    > Der Verlust der Tiefe
    Die ersten beiden Teile aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers und Berichterstatters, dritter Teil als Ich-Erzählung
    142 Seiten


    Persönliche Meinung:
    In „Die Sünde der Höhe“ erzählt Barnes von den Anfängen der Ballonfahrt, den Erfindern und Abenteurern, spinnt das Thema in „Auf ebenen Bahnen“ weiter zu der Liebesgeschichte zwischen der Schauspielerin Sarah Bernhardt und dem Vorreiter der Ballonfahrt Fred Burnaby.
    Man kennt Barnes Methode zwar, eine historische Person in seine eigene Fiktion zu kleiden, dennoch fragt man sich: Was will der Autor? Dem Leser eine halb wahre / halb erfundene Geschichte erzählen? Was ist deren Sinn? Und vor allem: Wo bleibt der Barnes-typische Humor?


    Erst in „Der Verlust der Tiefe“ beantworten sich diese Fragen von selbst. Hier spricht Barnes autobiographisch von sich selbst und von seinem schlimmsten Verlust, dem Tod seiner Ehefrau Pat Kavanagh, die im Jahr 2008 an einem bösartigen Hirntumor starb.


    Er erzählt von Erfahrungen, die jeder Trauernde durchlebt: Dass man seine Freunde teilt in diejenigen, die ehrlich verstehen und da sind, und diejenigen, die sich in Phrasen ergehen und eigentlich lieber einen Bogen um den Trauernden machen würden. Dass die Umwelt kein Verständnis für die Zeit des Leids hat, dass erwartet wird, schnell schnell der Verzweiflung den Rücken zu kehren, um zum geregelten Alltag zurückzukehren. Dass Zeit nicht die Wunden und den Schmerz heilt, sondern ihn umformt.


    Barnes bleibt diskret, auch wenn er sein Innerstes öffnet. Er schreibt keine Zeile über das Siechtum seiner Frau, ihre letzten Tage und ihren letzten Atemzug. Er bleibt ganz bei sich, bei seinem Kummer und bei seinem Absturz – hier kommt das Thema des Ballonfahrens zum Tragen.
    Der Autor offenbart sich und verbirgt sich. Er durchlebt die Trauer und reflektiert sie. Dadurch drängt er dem Leser seine Erkenntnisse nicht auf, und dennoch wird derjenige, der ähnliches erfahren hat, sich verstanden fühlen.


    Endlich räumt jemand mit Nietzsches Satz auf „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“ und beweist, dass Schwachheit zur Trauer dazugehört. Schwachheit, nicht Schwäche.
    „Wenn jemand tot ist, dann heißt es zwar, dass er nicht mehr am Leben ist, aber es heißt nicht, dass es ihn nicht mehr gibt“ (S. 124), sagt der erklärte Agnostiker Barnes.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich hatte das Buch letztes Jahr auf Englisch gelesen und hier schon vorgestellt. Als die deutsche Übersetzung erschien habe ich den Titel nicht erweitern lassen, so konntest Du die Rezi nicht finden. Vielleicht kann ein Moderator hier die Freds zusammenfügen?
    Julian Barnes - Levels of Life


    Es war mir jetzt sehr hilfreich, dass Du bei Deiner Meinung andere Akzente setzt. Diese Vielfalt macht dann Reichtum der Lesarten aus. Danke!

  • Er bezeichnet sich selbst als glücklichen Atheisten.


    Heute nicht mehr. Er sagt, heute sei er Agnostiker. Nachzulesen in diesem sehr interessanten Interview, das er gab, als sein Buch "Nichts, was man fürchten müsste" herauskam.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)




  • Heute nicht mehr. Er sagt, heute sei er Agnostiker. Nachzulesen in diesem sehr interessanten Interview, das er gab, als sein Buch "Nichts, was man fürchten müsste" herauskam.


    Ja, sehr interessanter Artikel. Danke! Ich hatte das angesprochene Buch ebenfalls gelesen, doch noch distanzierter ("atheistischer") empfunden wie der Journalist hier dann aber ausführt. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ein so aufrechter Mann wie Barnes sich manchen Fragen und eben auch den Unwägbarkeiten nicht entziehen kann und insofern den starren ideologischen Atheismus eine Absage erteilt, erteilen muss.

  • Julian Barnes neues Buch „Lebensstufen“ ist ein beeindruckendes und den Lesern anrührendes Buch über das große menschliche Wagnis, zu lieben. Mit vielen Metaphern versehen erzählt Julian Barnes in drei Kapiteln zunächst wie in einem historischen Roman von Ballonfahrern des 19. und 20. Jahrhunderts und gestaltet die Geschichte als eine Metapher für das Leben.



    In einem zweiten Teil schreibt er einen sehr persönlichen Lebensbericht über den Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen, nämlich Barnes’ Ehefrau. Besonders dieser Teil des Buches, geht unter die Haut, erfordert die ganze auch seelische Aufmerksamkeit des Lesers, sonst kann man diese ernsten Gedanken über Leben und Tod weder aushalten noch in sich aufnehmen.



    Alle Menschen, die irgendwann einmal einen geliebten Menschen verloren haben, werden sich in Julian Barnes Gedanken wieder finden. Alle aber werden sich umhüllt und angerührt fühlen von einer Sprache, die ihresgleichen sucht.