T.C. Boyles erster Roman aus dem Jahr 1982 war in jedem Fall ganz anders, als ich es erwartet hätte…Nachdem ich beim Lesen von „Grün ist die Hoffnung“ vor einigen Monaten einmal an Boyles Schreibstil schnuppern durfte, wusste ich zwar, dass ich mich da auf etwas Hochwertiges freuen konnte, jedoch hatte mich der Inhalt des Nachfolgers nicht gerade vom Hocker gerissen…
Ganz anders bei „Wassermusik“!
Kennt ihr diese Momente beim Lesen, wo ihr nicht mehr das Gefühl habt, eine Geschichte `secondhand` erzählt zu bekommen, sondern selbst dabei zu sein? Ihr steht quasi neben den handelnden Personen, seht und hört ihnen zu und wenn ihr das Buch zuklappt, verbleibt ein Teil von euch bis zum Weiterlesen an Ort und Stelle?
Solche Erlebnisse hatte ich hier reihenweise…wobei der Erzählstrang um den cleveren, ständig mit dem Schicksal ringenden, von Glück und Pech gleichermaßen verfolgten Ned Rise mich deutlich mehr gepackt hat. Ned, dem das Leben von Beginn an übel mitgespielt hat, mogelt sich durch die vermeintlich fortschrittliche Londoner Gesellschaft und verschafft sich durch Trickbetrügereien mehr schlecht als recht, was ihm sein niederer Stand – sei es an Wohlstand wie auch an Gerechtigkeit- vorenthält.
Ihm gegenüber stellt der Autor eine historische Figur, nämlich die des Forschungsreisenden Mungo Park, dessen Auftrag es war, als erster Europäer den Verlauf des Nigers festzustellen. Wie historisch die Beschreibung des Entdeckers wirklich ist, bleibt offen, da T.C. Boyle klarstellt, sich einige Freiheiten erlaubt zu haben. Man weiß also nicht, ob Mungo Park wirklich der Einfaltspinsel mit fehlender Menschenkenntnis war, als der er dargestellt wird. In der Handlung jedenfalls sorgt er durch sein ungeschicktes Agieren oft für unfreiwillige Komik.
Als die Mauren, die ihn gefangengenommen haben, beabsichtigen, ihn zu foltern, bekommt er dies z.B. zunächst nicht mit und muss sich von seinem Übersetzer aufklären lassen, dass es sich hier nicht um ein ihm unbekanntes Willkommensritual handelt…
Anders jedoch als Ned Rise, der sich alleine durchschlagen muss, erfährt Mungo Park aufgrund seiner gehobenen gesellschaftlichen
Stellung immer wieder auch Unterstützung, wird nach seiner Rückkehr aus Afrika bejubelt und hofiert.
Dabei teilen sie auf unterschiedliche Weise vergleichbare Erfahrungen: dass die Welt zuweilen grausam ist, eine Idee ein Leben retten kann und es dennoch kein Recht auf ein `gutes Ende` gibt.
So ist „Wassermusik“ auch kein Buch für Leser, die sich einen netten Schluss wünschen. Mit seiner derben, aber erfrischenden, grundehrlichen Sprache nimmt Boyle der Geschichtsschreibung die Romantik. Sehr aufwändig beschreibt er auch zahlreiche Nebenfiguren, und lässt sie im Verlauf der Geschehnisse auf halber Strecke zurück.
– Aber so ist es nun mal…nicht alles im Leben macht Sinn und so mag sich jeder Leser herauspicken, was ihm an der Geschichte wichtig ist…
Bei mir war es dieses: dass eine aufgeklärte, gerechtigkeitsliebende Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist, sondern im Laufe der Geschichte durch den Wagemut und die Tapferkeit einiger weniger hart erkämpft werden musste…