Günter Grass - Die Blechtrommel

  • Inhalt (nach Wikipedia - bearbeitet)
    Der Ich-Erzähler der Blechtrommel ist der Sonderling Oskar Matzerath. Zum Zeitpunkt, an dem sein Bericht 1952 beginnt, ist er Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt und als solcher möglicherweise verrückt. Er kommt im Jahr 1924 in Danzig zur Welt. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Verstand bereits vollständig entwickelt. Da er seit seinem dritten Geburtstag nicht mehr wächst, kann er somit als scheinbar ewiges Kind aus der Perspektive von unten über die Welt der Erwachsenen berichten. Dank seiner Blechtrommel kann er sich auch Ereignisse, an denen er nicht unmittelbar beteiligt war, vergegenwärtigen und so etwa auch darüber berichten, wie seine Mutter auf einem kaschubischen Kartoffelacker gezeugt wurde. Damit wird Oskar zeitweise zu einer Art auktorialem Erzähler, der sich auch häufig in der dritten Person als „Oskar“ anspricht. Oskar sagt von sich selbst, er habe zu jenen „hellhörigen Säuglingen gehört“, deren „geistige Entwicklung schon bei der Geburt abgeschlossen ist und sich fortan nur bestätigen muss“. Er verweigert sich der Welt der Erwachsenen und beschließt im Alter von drei Jahren, nicht mehr zu wachsen. Gleichwohl fühlt er sich, da „innerlich und äußerlich vollkommen fertig“, den Erwachsenen weit überlegen. An seinem dritten Geburtstag bekommt er von seiner Mutter eine Blechtrommel geschenkt, die zu seinem ständigen Begleiter wird.


    Das Buch gliedert sich in die drei großen Abschnitte: Vorkriegsjahre in Danzig - Kriegsjahre in Danzig - Nachkriegszeit in Düsseldorf. Verfilmt wurden nur der erste und der zweite Teil, auch der Erzählstrang um Oskar als Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt wurde weggelassen.
    Oskar ist mehr als eine fiktive Figur, ich würde ihn als Kunstfigur bezeichnen: Er ist in allen Altersphasen seines Lebens gleichzeitig Kind und Erwachsener. Mit der Naivität eines Kindes betrachtet er die Welt, die Handlungen seiner Mitmenschen und auch die eigenen und reflektiert gleichzeitig darüber wie ein Erwachsener. Wie ein Kind bezieht er jedes Geschehen auf sich selbst, gibt sich z.B. die Schuld am Tod seiner Eltern, wie ein Erwachsener erkennt er Zusammenhänge und Abhängigkeiten.
    Grass lässt Oskar erzählen, plaudern, palavern, schwafeln; der Buch wirkt wie ein fast nie endender Redefluss. Dabei macht er vor nichts Halt: Liebe, Familie, Religion, Freundschaft, Tod, Oskar weiß zu jedem Thema eine Geschichte aus seinem Leben mit ironischer Zweideutigkeit zu erzählen.


    Mit einem Abstand von 25 Jahren habe ich das Buch jetzt zum zweiten Mal gelesen. Damals war Grass zwar auch kein Unbekannter mehr, inzwischen hat er den Nobelpreis bekommen. Damals kannte ich von Grass nur ein paar Eckdaten seiner Vita, inzwischen habe ich seine Autobiographie gelesen (und einges daraus in der Blechtrommel wiedergefunden). Die Unbefangenheit des ersten Mals war natürlich heute nicht mehr da.
    Geblieben ist meine Begeisterung für Grass' Sprache, auch wenn sie sich nicht einfach und auch nicht immer flüssig lesen lässt: Der oft kunstvoll verschachtelte Satzbau mit Worten, die im Zusammenhang mitunter einen neuen Klang, eine zusätzliche Bedeutung bekommen. Andererseits drückt er ganze geschichtliche Ereignisse oder längere Episoden mit ein paar Worten aus, wenn er z.B. inmitten einer Beschreibung von Kriegserfolgen Anfang der 40er Jahre lapidar sagt "Die Eisenbahn hatte zu tun." Ein kurzer Satz und jeder weiß Bescheid.


    Gegen die ersten beiden Abschnitte fällt der dritte, die Nachkriegszeit, ab, und es wirkt beinah so, als hätte Grass ihn angehängt, um zeitlich zu seiner Schreibzeit Mitte der 50er Jahre aufzuholen. Wenn Oskar seitenweise mithilfe der Trommel Ereignisse aus seiner Vergangenheit heraufbeschwört, möchte man ihm am liebsten sagen: Kennen wir doch alles schon, hast du schon mal erzählt. Man bleibt dennoch dran, weil die Antwort auf die Frage interessiert: Wie kommt es, dass Oskar, der sein Leben als Handwerker und als Musiker im Griff hat, in eine Heilanstalt (hieß damals eher: Irrenhaus) eingeliefert wird. Hier gibts noch ein bißchen Krimi als Zugabe.


    Wenn ich auch das Buch jedem empfehlen kann, der sich für die Geschichte der Zeit zwischen 1920 und 1950 interessiert, und der bereit ist, mit dem Lesen zu "kämpfen", so rate ich von einem ab: Von der 1974er Luchterhand-Taschenbuchausgabe. 700-800 Seiten lassen sich nicht ungestraft auf 490 zusammenstauchen; der Druck ist extrem eng, die Buchstaben sehr klein, und ich bin ständig in den Zeilen verrutscht.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Die ersten zwei Teile des Buches habe ich regelrecht verschlungen, doch den dritten Teil habe ich nur mit Verwunderung gelesen. Hatte Grass da Langeweile? Wusste er nicht weiter? Ich weiß es leider nicht. Nur die Szene im Zwiebelkeller fand ich klasse. Dort, wo der Wirt Zwiebeln für seine Gäste vorbereitet, damit sie endlich mal richtig heulen können. Die Idee fand ich klasse. Uff, am liebsten würde ich das Buch auch zum zweiten Mal lesen, doch wann soll ich die Zeit finden, es zu tun? Dank für die Rezi, sie erinnerte mich an ein Buch, das ich alles in allem toll fand.

    Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beissen. Das ist der Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
    Zitat: Mark Twain

  • Vielen Dank für deine Vorstellung, Marie! :thumleft:


    Ich habe die Blechtrommel vor etwa 10, 11 Jahren verschlungen. Damals fand ich das Buch atemberaubend.Wenn ich darüber nachdenke, fand ich den dritten Teil...irgendwie "fremd". Ich stelle außerdem gerade fest, das mein Gedächtnis anscheinend jetzt schon nachläßt: an einen Zwiebelkeller kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. :uups:


    Auf jeden Fall werde ich das Buch in einigen Jahren noch einmal lesen.

  • Ich habe den Film bestimmt schon 5 Mal gesehen und war total begeistert.
    So, wie Ihr das Buch beschrieben habt, scheint es sich zu lohnen, es zu kaufen und zu lesen...:-)
    Ich hoffe es ist genauso gut wie der Film? (meistens sind die Bücher ja immer besser als die Filme)

  • Hallo Annett
    Der Film besteht aber nur aus den ersten zwei Teilen des Buches. Den letzten teil des Buches hat sich der Schlöndorff verkniffen. Man kann sich vorstellen, warum. :)

    Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beissen. Das ist der Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
    Zitat: Mark Twain

  • Na endlich hat mal jemand den berühmtesten Roman unseres Nobelpreisträgers vorgestellt und damit eine peinliche Lücke im Forum geschlossen. Ein Heiligenbildchen für Marie!


    Als ich das Buch in jungen Jahren gelesen habe, war ich nicht so hundertprozentig begeistert, obwohl ich es dann doch mit einer 2 bewertet habe. Die volle Punktzahl hat es in meinen Augen auch nicht verdient, weil, wie Ihr schon festgestellt habt, der dritte Teil einfach zu stark abfällt. Warum ich es nicht als so großes Leseerlebnis empfunden habe, kann ich nicht mehr genau sagen. Vielleicht lag es daran, dass alle Figuren etwas Künstliches hatten und mir nicht nahe kamen. Auch der Stil wirkte auf mich teilweise zu manieriert. Aber damals hatte ich sowieso eine Aversion gegen die deutsche Nachkriegsliteratur, die mir oft zu verkopft und moralisierend vorkam. Tatsächlich habe ich seitdem nie wieder etwas von Günther Grass gelesen. Ob ich mir die „Blechtrommel“ noch mal vornehme, bleibt dahingestellt (der Sand in meinem Stundenglas läuft immer schneller durch), aber die beiden anderen Bände der “Danziger Trilogie“, die Novellen „Katz und Maus“ und „Das Treffen in Telgte“ will ich in den nächsten Monaten unbedingt lesen.


    Gruß mofre

    :study: Denis Diderot- Jakob und sein Herr

    :study: Franz Kafka - Erzählungen

    :study: Reiner Stach - Kafka. Die Jahre der Entscheidungen

    :study: James Wood - Die Kunst des Erzählens















  • Nur die Szene im Zwiebelkeller fand ich klasse


    @ Ralf, das war auch für mich die beste Passage im dritten Teil.


    Ich hoffe es ist genauso gut wie der Film?


    @ annett, es konsumiert sich nicht so leicht wie der Film, klar. Und der Film kann natürlich nur die Handlung wiedergeben, die zwar auch schon originell und absurd genug ist und Zeugnis gibt von Grass' Phantasie, doch um Grass' gewaltige Sprache zu erleben, muss man das Buch lesen.


    Ein Heiligenbildchen für Marie!


    @ mofre, nehm ich doch gern - bekanntlich kann man 5 Heiligenbildchen gegen ein Buch eintauschen. :cheers:
    Ich habe auch noch diverse Grass-Bücher auf dem SUB - darunter Katz und Maus - , aber nach der Zwiebel und der Blechtrommel hintereinander brauche ich eine Pause vom großen Meister.


    Marie

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  • Vielen Dank. Falls ihr eine Auswahl braucht. :pray:


    Morgen schicke ich dann folgende Botschaft los:
    Lieber Günter Grass,
    sicher freut es Sie zu hören, dass ich für eine Rezension zu Ihrer Blechtrommel im ... (hier kommt der Link zum Büchertreff hin) mit Heiligenbildchen belohnt werde. Da Sie für Ihre Toleranz berühmt sind, bin ich sicher, dass Sie sich mit mir freuen werden. MfG


    Marie

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  • Ich habe mich nun endlich dazu aufgerafft, "Die Blechtrommel" zu lesen. Da das Buch mein erstes von Grass war, und auch wegen der Vergleiche zu meinem Top-3-Buch "Owen Meany" ging ich mit wirklich großen Erwartungen an das Buch - und wurde maßlos enttäuscht.


    Die Geschichte an sich hat mir nicht gefallen; Oskar war mir derart unsympathisch, dass ich ihn die ganze Zeit über schütteln wollte; auch die anderen Charaktere haben mich (vielleicht mit Ausnahme von Oskars Mutter) allesamt genervt; ich habe Oskar von seinen Erzählungen kein einziges Wort geglaubt; der Stil ist mir viel zu verschachtelt und anstrengend. Ich habe mich wirklich über alle drei Teile hindurch gequält. Zwar habe ich es fertig gelesen, aber "Der Butt", der noch in meinem Regal steht, werde ich wohl nicht lesen. Günther Grass wandert auf die Liste der Autor/innen, die ich nie wieder lesen möchte.


    Natürlich gab es ein paar gute Ansätze und Ideen (Zwiebelkeller z.B. oder die Tournee mit der Bebra-Gruppe), aber das war mir für diesen Umfang einfach zu wenig. Für mehr als :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: reichts nicht.

  • Günther Grass wandert auf die Liste der Autor/innen, die ich nie wieder lesen möchte.


    "Die Blechtrommel" habe ich in jungen Jahren gelesen, nachdem ich den Film gesehen hatte. Vom Buch war ich nicht sehr begeistert, allerdings lese ich generell lieber englische Literatur als deutsche. Jedenfalls habe ich ebenfalls keine Ambitionen, weitere Bücher von Grass zu lesen, auch wenn ich damit Mut zur Bildungslücke zeige.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Auch wenn mich niemand versteht und wenn ich evtl. die einzige im Forum bin: ICH LIEBE GRASS und ich halte ihn für DEN Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. (Auch wenn mir Thomas Mann und Hermann Hesse und deren Fans jetzt mit der Faust drohen.) :!:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • (Auch wenn mir Thomas Mann und Hermann Hesse und deren Fans jetzt mit der Faust drohen.) :!:


    Es liegt mir fern, jemandem mit der Faust zu drohen, aber ich bekenne mich eher zu Thomas Mann und als ausgesprochener Buddenbrooks-Fan. :wink:

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  • Liebe Marie! Wie Du in meinem "Zurückgefunden"Thread so schön geschrieben hast, waren wir uns nicht immer einer Meinung unsere Lektüre betreffend, aber bei Günter Grass sind wir uns wohl ganz einig. "Die Blechtrommel" und auch "Der Butt" gehören zu meinen absoluten Lieblingsbüchern und sind für mich einfach geniale Werke. Ich bewundere sowohl seine Phantasie als auch seine Sprachgewalt, die Fähigkeit, Sprache wie ein Instrument zu nutzen, dem er noch die feinsten Nuancen entlockt. Allerdings haben mir seine späten Werke nicht mehr so gut gefallen, da war der Zenit wohl schon überschritten. So ergeht es mir aber auch bei anderen Autoren, bei Walser etwa oder Marquez. Und trotzdem mag ich auch Mann und Hesse, Mann noch lieber als Hesse.


    Jedenfalls interessant, die verschiedenen Meinungen zu lesen. Mir geht es auch oft mit anderen Autoren so, von denen alle begeistert sind, außer mir. Große Schwierigkeiten habe ich etwa mit John Irving, aber auch mit Milan Kundera, um nur einige zu nennen.

  • Ich möchte ja nicht behaupten, dass Grass kein guter Schriftsteller war - das würde ich mir niemals anmaßen, aber ich kann halt trotzdem nichts mit ihm anfangen. Das ist ähnlich wie bei Picasso beispielsweise. Er war ein großer Künstler und beherrschte sicher die perfektesten Techniken - und trotzdem mag ich seine Bilder nicht. Ist halt eine objektive Meinung.

  • Als Hesse-Fan hat man es schwerer in der dunklen, weiten Welt


    Glücklicherweise ist die Welt für einen Grass-Fan nur heiter und sonnig. :flower:8)


    Liebe liebe Leute,
    manchmal muss ein bißchen Provokation oder Ironie erlaubt sein. Provozieren klappt offenbar schon recht gut, bei der Ironie muss ich wohl noch was dazulernen, z.B. den Gebrauch der Smileys. :wink::lechz::geek::P:-,



    Für alle Grass-Nicht-Möger:
    Der Meister hat neulich verkündet, dass "Grimms Wörter" sein letzter Roman bleiben soll. Er fühlt sich zu alt, um noch ein umfangreiches Buch zu beginnen. :(

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  • Na bitte, ich habe das doch schon längst gewußt, Autoren erreichen irgendwann den Höhepunkt ihrer Schaffenskraft und höher geht's dann einfach nicht mehr. Wie beim Bergsteigen! Ein 80jähriger Schriftsteller kann einfach nicht mehr die sprachliche Brillanz haben wie der 40jährige, so wie es bei Grass war. Aber das tut seinen Meisterwerken keinen Abbruch. Die stehen unangetastet weiterhin am Literaturhimmel.


    Susannah, das geht mir auch immer wieder so, dass ich mit gewissen Berühmtheiten einfach nichts anfangen kann, und nicht nur mit noch Lebenden. Auch mit den bereits Verblichenen habe ich immer wieder Schwierigkeiten. :wink: Allerdings mache ich mir darüber keine Gedanken mehr, und bilde mir meine eigene Meinung.