Günter Grass - Die Blechtrommel

  • Ganz an den Anfang muss ich eine persönliche Beichte stellen: Ich habe einen Heidenrespekt vor Günter Grass. Dieser hat sich vermutlich über die Jahre wie eine kleine literarische Phobie aufgebaut, denn obwohl ich seit frühester Jugend wie besessen sowohl „Anspruchsvolles“ als auch „Unterhaltsames“ lese und obwohl ich mich im Studium mit vergleichender Literaturwissenschaft beschäftigt habe, gibt es natürlich auch in meinem (Lese)Leben ein paar Autoren, um die ich mich bisher erfolgreich herumgeschummelt habe. Und einer davon ist eben dieser Günter Grass. Ich habe ihn vor vielen Jahren bei einer Lesung erlebt, als er Teile aus „Mein Jahrhundert“ gelesen hat – und zwar meisterlich. Es ist selten, dass ein Autor seine Werke selbst so herausragend vortragen kann. Grass konnte es, aber schon damals hatte ich den Eindruck, dass Zuhören bei ihm wohl leichter sei als selbst lesen.


    Bei dieser Einschätzung blieb es und der einzige Roman, den ich von ihm besitze, blieb ungelesen im Regal. Bis heute. Doch als ich dann die „Konzertlesung“ der „Blechtrommel“ entdeckte, packte mich der Mut. Einfach mal probieren! Ausgewählte Szenen aus dem Roman werden vom Schauspieler Devid Striesow vorgelesen, dazu gibt es musikalische Interpretationen des Perkussionisten (logo) Stefan Weinzierl. Das Ganze in nur einer Stunde und vierzig Minuten. Was kann da schon schiefgehen? Selbst, wenn es schlecht ist, hat man nicht viel Lebenszeit investiert. Und wenn es gut ist, ist es vielleicht ein kleiner Schritt auf dem Weg, die Grass-Phobie abzubauen.


    Und es ist gut, das kann ich schon einmal sagen. Für die Lesung wurden Szenen aus einem Roman ausgewählt, der selbst ja mit über 800 Seiten zu Buche schlägt. Klar, dass die Konzertlesung nur Schlaglichter werfen kann – mehr will sie auch gar nicht leisten. Natürlich weiß ich, worum es so ungefähr in dem Roman geht: Oskar Matzerath, der nicht wächst, und seine Trommel, das Danzig vor und nach dem Krieg. Wenn man mehr nicht weiß, wird auch die Konzertlesung diese Bildungslücken nicht füllen. Man darf sich also nicht einbilden, hier Cliff Notes vor sich zu haben, nach deren gehörter Lektüre man auf magische Art und Weise plötzlich schlauer ist als zuvor. Das leistet dieses Projekt nicht, will es auch nicht. Stattdessen werden einzelne Szenen vorgetragen (die jeweils für sich stehen können und keines Kontextes bedürfen), die entweder durch Percussion untermalt oder umrahmt werden. Dabei bekommt man allerhand Schlaginstrumente zu hören, von denen man vermutlich die wenigsten tatsächlich benennen kann. Das Zusammenspiel von Sprache und Klang jedenfalls ist ein sehr bereicherndes. Mit sind die knapp zwei Stunden keinesfalls lang geworden!


    Die Auszüge aus der Blechtrommel haben mir noch einmal vor Augen geführt, was für ein großartiger literarischer Handwerker Günter Grass doch ist. Da steht jedes Wort am rechten Platz, die Beschreibungen sind gleichermaßen plastisch wie originell. Gerade, wenn es um das Körperliche geht, wird er sehr eindrücklich. Das ist sowohl eklig als auch faszinierend – eine wahrliche Gratwanderung. Erneut hatte ich den Eindruck, dass man diese bis ins kleinste ausgearbeiteten Sätze hören muss, weil man beim Lesen wohl die Hälfte der Kniffe schlicht übersieht. Devid Striesow liest pointiert und genau – man bekommt also genug Gelegenheit, den Grass-Sound zu genießen. Gepaart mit Stefan Weinzierls „Soundtrack“ ergibt sich so ein Gesamtkunstwerk, dem ich gern gelauscht habe.


    Für Grass-Unbeleckte wie mich ist diese Konzertlesung sicherlich ein „niedrigschwelliger“ Einstieg. Für Grass-Kenner kann er eine Bereicherung ihrer bisherigen Lektüre sein, die neue Schlaglichter auf bestimmte Szenen wirft. Wo auch immer man als Leser steht – diese Konzertlesung bietet Vergnügen auf den verschiedensten Ebenen. Und wer beim Hören denkt: Das muss man doch live erleben, der hat recht. Devid Striesow und Stefan Weinzierl sind mit diesem Projekt auch auf deutschen Bühnen unterwegs. Ein paar Termine kann man auf der Website http://www.dieblechtrommel.de schon sehen – so Corona will, kommen sicherlich weitere hinzu. Und sollte es sie mal in den Osten der Republik verschlagen, bin ich auch gern dabei.


    „Die Blechtrommel. Konzertlesung nach Günter Grass“

    Mit Devid Striesow und Stefan Weinzierl

    ISBN 9783868475982

    2 CD, 1 Std 38 min

    Buchfunk Verlag