Klappentext (dtv): "Schlachthaus Familie. Christina Steads großartiges Porträt eines Tyrannen ist eine historische Fallstudie von prophetischer Bedeutung. ... Dass selbst ein Lyriker von so radikalem Anspruch wie Robert Lowell diesen Roman als 'ein Buch wie ein schwarzer Diamant' pries, leitet sich sicher mehr noch als von dessen Stoff-Fülle von dessen Sprachgewalt ab, die eine Art schmerzhafter Besessenheit ausstrahlt, der man als Leser nicht immer freudig, sondern öfter auch verzweifelt verfällt - aber eben doch verfällt." (Peter Hamm in 'Die Zeit')
"Der Mann, der seine Kinder liebte", ein Familiendrama von geradezu epischen Ausmaßen, das in Washington und in Baltimore spielt, zählt zu den hierzulande noch kaum bekannten Klassikern des 20. Jahrhunderts. Henrietta Pollit, das Mädchen aus der besseren Gesellschaft, fühlt sich nach etlichen Schwangerschaften und ausufernden Alltagsarbeiten vorzeitig gealtert und von ihrer Ehe enttäuscht. Sam, ihr Mann, ist in seiner weltfremden, ehrgeizdurchtränkten Selbstverliebtheit völlig unfähig, auf seine Frau einzugehen. Auch eine Liebschaft hilft Henny nicht über ihr Los hinweg, und so wird aus dem Ehe-Drama am Ende eine offene Auseinandersetzung. Henny und Sam kommunizieren nurmehr über ihre Kinder, die wie atemlos zwischen den verschiedenen Welten ihrer Eltern hin- und hergeworfen werden.
"Wenn man das Buch aus der Hand legt, ist es, als hätte man nicht nur die so dicht empfundene, überbordende Welt der Pollits und Collyers verlassen, sondern auch die eigene Kindheit." (Doris Lessing)
Ich bin auf den Roman der in Australien geborenen Autorin Christina Stead, den sie 1940 veröffentlichte, aufmerksam geworden, da er in einer Liste der wichtigsten 100 englischsprachigen Romane des 20. Jahrhunderts (oder so) aufgetaucht ist.
Bisher - ich bin auf Seite 220 von 580 - wird eigentlich nur gestritten in dieser dysfunktionalen Großfamilie. Mann und Frau haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Die älteste, elfjährige Tochter, die noch der ersten Ehe des Mannes entstammt, wird von ihrer Stiefmutter regelrecht gehasst. Beschimpfungen, Ungerechtigkeiten und Handgreiflichkeiten sind an der Tagesordnung. Es mangelt an Geld. Unglück über Unglück häuft sich.
Mir gefällt die Vielstimmigkeit des Romans, wie es die Autorin schafft, den vielen Kindern ein jeweiliges Profil zu verpassen. Aber vor allem gefällt mir, wie der Familienvater gezeichnet ist, da ich diese Art des Patriarchen bisher kaum irgendwo beschrieben gesehen habe. Normalerweise ist der strenge Vater und Familientyrann ein brutaler, ungerechter Haudrauf. Einer, der nur schreit und schlägt.
Aber hier haben wir es mit einem jovial lächelnden Schwätzer zu tun, einer, der sich gerne reden hört. Ein selbstgerechter Sack. Einer, der alles weiß, gegen den man argumentativ keine Chance hat. Einer, der alle lähmt mit seinem ständigen Sermon. Bei dem man sich immer klein fühlt und sich bei allen Schritten überwacht vorkommt. Wen er mag, den deckt er zu mit Koseworten. Ist immer mit Spielen und Witzen bei der Hand. Bei guter Laune benutzt er ständig Worte einer "Familiensprache" , eines lustigen Idioms, das innerhalb der Familie gesprochen wird. Bei schlechter Laune wird er ungerecht und eklig. Wen er nicht mag, deckt er mit Beleidigungen und Schmähungen zu. Ein ganz unangenehmer Tyrann, weil er zu Fremden, also nach außen, schon fast charmant und weltmännisch daherkommt. Aber wenn man ihn genauer kennt, weiß man, wie einengend und besitzergreifend er ist.
Überhaupt: Das beliebte Literaturklischee "Vater böse, Mutter gut" funktioniert hier auch nicht, sondern wird gebrochen.
Wie auch immer: Den ganzen zwischenmenschlichen Grausamkeiten und Gehässigkeiten folge ich mit einer Faszination des Schreckens...