Traut sich keiner weiterzumachen?
Dann fange ich mal an...
Kapitel 10
Mendel wird "heimisch in Amerika". Den ersten Schock hat er offenbar gut verkraftet. Vom Erzählton hat mir dieses Kapitel wieder gut gefallen. Mendel ist dei Erzählinstanz, und seine Sicht der Dinge mischt sich mit dem ironischen Unterton des Erzählers.
So lernen wir die Schwiegertochter Vega kurz kennen, aber eben nur das, was Mendel wichtig ist: sie ist blond und sanft, das reicht. Sie darf dumm sein, "Frauen brauchen keinen Verstand, Gott helfe ihr, amen!"
Menuchim ist nicht vergessen - denn Mirjam trägt das Grammophon "wie ein krankes Kind" durch die Straßen.
Mirjam arbeitet und ist mit Mac zusammen; vielleicht nicht die schlechteste Wahl, und es ist lustig, wie der Erzähler ihre Freizeitvergnügen aufzählt: "spazieren geht, tanzen geht, baden geht, turnen geht". Alles Tätigkeiten, die Mendel in keiner Weise entsprechen. Und Seidenstrümpfe trägt sie auch, ts ts ts...
Die Desilllusionierung geht weiter, wenn man liest, wie die Wohnung beschaffen ist: "schief", "schmutzig", "finster", "feucht".
Und Deborah? Trotz Seidenkleid und Kino und Theater und goldener Kette ist sie unzufrieden. Amerika ist leider nicht komplett anders als ihr Heimatdorf, kein Land, in dem Milch und Honig fließen, und sie vermisst Menuchim. Sie will zurück, und auch Mendel denkt immer häufiger an die Rückkehr zu Menuchim. Sam vertröstet sie, er wirkt großspurig. Er hat seine eigene kleine Vergangenheit offensichtlich vergessen. "Laufjungen anschnauzen, er war ein Boss." Trotzdem denkt Mendel ständig an Menuchim und sehnt sich nach einem Brief mit guten Nachrichten aus der Heimat.
Er sehnt sich so sehr nach dem jüngsten Kind, dass er eine Art Vision hat: ein Junge, "der ihm aus der Ferne bekannt erschien", steht weinend an einer Straßenecke, und beim Näherkommen erkennt er immer deutliocher Menuchim in ihm.
Was für eine tägliche Qual für Mendel!
Wieder klingt das Bild des Ahasver an, des ewig wandernden Juden, wenn beschrieben wird, dass Mendel gelernt hat, "langsam zu wandern. Also wanderte er durch die Zeit dem Greisenalter entgegen."
Und dann die schöne Nachricht: Sams Hoffnungen auf das lukrative Geschäft haben sich erfüllt. Trotzdem spricht niemand von der Reise in die alte Heimat, aber Menuchim beherrscht Mendels Denken.
Und endlich der Brief: Menuchim entwickelt sich, und er wird behandelt werden.
(Hab ich doch gewusst.)
Aber "Mendel wendete das Blatt um", der Ausdruck passt hier so schön: die gute Nachricht hat auch eine schlechte Nachricht bei sich, Sam rechnet mit Krieg und bereitet seine Eltern auf seinen Tod vor.
Dennoch: Mendel dankt Gott. "Er hatte die Gnade erfahren und die Freude. Auch über ihm wölbte sich Gottes breite, weite, gütige Hand."
Merkwürdig, dass ihn die drohende Gefahr für seinen Sohn Jonas weiter nicht bekümmert. Er hat eine Art Tunnelblick und sieht nur Menuchim.