Sarah Crossan - Eins / One

  • Worum geht es?


    "Tippi und Grace sind Zwillinge, Schwestern, die enger miteinander verbunden sind als andere Geschwister. Sie sind an der Hüfte zusammengewachsen und teilen sich einige innere Organe. Doch nicht nur körperlich sind sie eine Einheit - sie sind Seelenverwandte und ihre Herzen schlagen buchstäblich füreinander.


    Eine bewegende Geschichte, die aufzeigt, was es bedeutet, ein Individuum zu sein, und noch wichtiger, was es heißt, einen anderen Menschen zu lieben."


    Quelle: Klappentext des Schutzumschlages (Innenseite)


    Meine Bewertung


    "Eins" ist mal wieder eines dieser Bücher, bei denen ich unbedingt etwas zur Aufmachung sagen muss. Denn die Gestaltung dieses Buches hat mich sehr beeindruckt und fasziniert und als es bei mir angekommen ist, konnte ich es gar nicht fassen, wie großartig es aufgemacht ist und wie wunderschön es ist. Ich habe mich lange mit diesem Buch beschäftigt, nicht nur mit seinem Inhalt, sondern auch mit seinem Äußeren. Es ist ein echter Schatz. Der Schutzumschlag ist transparent und aus stabilem Plastik. Aufgedruckt sind auf den Innenseiten der Klappentext und die Autorenbeschreibung, auf der Vorderseite der Titel sowie in Hellblau die Umrisse des Kopfes eines Mädchens. Erst durch den weißen Einband des Buches, auf den sich der Schutzumschlag legt, werden diese Aufdrucke sichtbar und lesbar. Der Einband des Buches selbst fühlt sich wie sehr hochwertiges Leinen an. Hier aufgedruckt ist der gleiche Umriss des Kopfes wie auf dem Schutzumschlag, nur in Rosa und spiegelverkehrt. Legt man nun den Schutzumschlag um das Buch, ergibt sich ein faszinierendes Zusammenspiel der Farben. Nehmt das Buch unbedingt mal in die Hand, wenn ihr es im Buchladen beim Stöbern seht, und macht mal den Schutzumschlag ab. Ich bin wirklich begeistert von der Aufmachung!


    Und wenn ihr das Buch dann schon mal in der Hand habt, dann nehmt es am besten auch direkt mit. Denn es ist so so so lesenswert! Bücher über Zwillinge habe ich durchaus schon gelesen, auch über Geschwisterbeziehungen allgemein. Aber bislang habe ich noch kein Buch über siamesische Zwillinge gelesen, umso faszinierender fand ich dieses Werk von Sarah Crossan.


    Und aufgepasst - jetzt kommt auf den ersten Blick ein Widerspruch in sich: Selten habe ich so schnell so ein umfangreiches Buch gelesen und mich dabei doch so intensiv mit dem Inhalt beschäftigt. Denn: Mit seinen gut 420 Seiten ist "Eins" schon ein ordentlicher Schmöker, aber dennoch habe ich wohl nur drei Stunden zum Lesen gebraucht. Denn die inhaltliche Gestaltung erinnert an einen Gedichtband. Oft sind es nur wenige Zeilen, die auf die einzelnen Seiten gedruckt wurden, mit Überschriften, kurzen Zeilen und Absätzen. Beim Lesen passt man sich automatisch diesem Rhythmus an und liest in einem ganz eigenen und besonderem Tempo, was das Lesevergnügen wirklich einzigartig macht.


    Über einen Zeitraum von acht Monaten (von August bis März) begleitet man als Leser Tippi und Grace. Man erlebt ihren Alltag, man geht mit ihnen zur Schule, man sitzt mit ihnen zusammen am Frühstückstisch, man begleitet sie in ihrer Freizeit. Und dabei ist dieses Buch so viel mehr. Denn natürlich sitzen Tippi und Grace nicht einfach am Frühstückstisch. Sie benötigen dafür einen extra breiten Stuhl. Und natürlich gehen Tippi und Grace nicht einfach so zur Schule. Denn selbst die Schuluniform, die alle Schüler tragen müssen, schafft es nicht, dass Grace und Tippi so aussehen wie alle anderen. Und natürlich ist der Alltag von Tippi und Grace alles andere als normal. Denn da ist der Vater, der verzweifelt auf der Suche nach einem Job ist, um seine Familie zu ernähren, und dabei doch immer wieder scheitert und sich dem Alkohol hingibt; da ist die jüngere Schwester, die sich verbissen im Balletttraining vergräbt, um vor allem für ihre Eltern mehr zu sein als nur die Schwester von Tippi und Grace, und die dabei doch immer mehr entschwindet. Da ist zwar die Lust am Leben, aber dann ist da eben auch der Wunsch, einfach mal allein sein zu können. Da sind die Therapiestunden. Da ist die Angst vor der Zukunft.


    Ich-Erzählerin des Buches ist Grace. Sie spricht oft von einem "Wir", aber letztlich sind es ihre Gedanken, die man als Leser am intensivsten mitbekommt. Es sind sehr erwachsene Gedanken, die sie mit dem Leser teilt. Wenn sie zum Beispiel erzählt, dass es wirklich nicht so schlimm sei, mit ihrer Schwester verwachsen zu sein, denn schließlich gebe es ganz andere Fälle von siamesischen Zwillingen, die mit zusammengewachsenen Köpfen oder Herzen leben müssen oder zu zweit nur zwei Arme haben. Oder wenn sie sich fragt, ob es ihre jüngere Schwester Dragon nicht nervt, mit ihnen verwandt zu sein und ob sie das nicht auch zum Freak macht. Es sind sehr bewegende Gedanken, die tief in mir als Leserin viel bewirkt haben. Grace ist eine sehr toughe Ich-Erzählerin, die ich für ihre Einstellung zum Leben extrem bewundert habe. Es ist großartig, wie es Sarah Crossan gelingt, Grace den Lesern des Buches so nahe zu bringen, dass man sich fühlt, als wäre man selbst mit Grace verwachsen. Sie kommt dem Leser so nahe, ihre Geschichte und ihre Gedanken und Gefühle werden so lebendig, dass man gar nicht anders kann, als mit ihr zu fühlen. Man fühlt die Einschränkungen, die ihr Leben mit sich bringt, aber man fühlt auch den enormen Spaß am Leben, die Freude über Kleinigkeiten, die erste Liebe, den Wunsch, doch endlich mal ein paar Minuten für sich selbst zu haben, die Angst, als die Ärzte sie und ihre Familie vor die schwerste Entscheidung ihres Lebens stellen. Denn das Buch nimmt eine drastische Wende.


    Dieses Buch ist so viel mehr und so tiefsinnig, dass es gar nicht für eine Rezension reicht. Lest dieses Buch unbedingt selbst! Und vielleicht wisst ihr jetzt auch, warum es kein Widerspruch war, zu schreiben, dass ich noch nie so schnell so ein dickes Buch gelesen habe und dennoch so viel Zeit damit verbracht habe. Denn das Leseerlebnis war so intensiv und das Buch wirkt lange nach. Es hat gut getan, diese Rezi zu schreiben und dabei das Buch noch einmal zu durchleben.


    Mein Fazit


    "Eins" ist ein ganz einzigartiges und besonderes Buch, das nicht nur von der Aufmachung her überzeugt, was den Schutzumschlag, den Einband und den Textsatz betrifft, sondern vor allem auch durch den Inhalt, der so intensiv und bewegend ist.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • "Zusammengeklebt"


    Tippi und Grace sind Zwillinge, nicht ein- oder zweieiig, sondern siamesisch - „zusammengeklebt“, wie Grace es nennt. Sie teilen sich einen Unterleib, folglich auch Bett und Stuhl, und müssen Situationen stets gemeinsam meistern. Aufgrund ihrer Besonderheit haben sie schon Einiges durchstehen müssen: Arztbesuche, Therapien und vor allem neugierige Blicke anderer Menschen. Trotzdem fühlen und denken sie wie ganz normale 16-jährige Teenager, die eingebettet in nicht einfachen Familienverhältnissen Erfahrungen mit Schule, Freunden und der Liebe sammeln, stets zusammen und doch individuell, bis schließlich eine schicksalshafte Entscheidung von ihnen abverlangt wird.


    „Eins“ von Sarah Crossan wartet nicht nur mit einem aus der Masse herausragenden Cover auf - öffnet man den Buchumschlag, verwandeln sich zwei Köpfe in einen -, sondern auch mit einem nicht alltäglichen Schriftbild, mit dem ich mir anfangs recht schwer getan habe. Als ich nicht mehr darüber nachdachte, aus welchen Gründen wann ein Absatz folgt oder nur ein Wort in einer Zeile steht, konnte ich mich gleichermaßen auf den Inhalt einlassen.
    Grace erzählt episodenhaft in kurzen Kapiteln und einfacher Sprache eine außergewöhnliche Geschichte über sich selbst und ihre Schwester, mit der sie unweigerlich eng verbunden ist. Zwangsläufig gemeinsame Erlebnisse werden ebenso wie ureigene Gedanken und Gefühle hautnah an den Leser gebracht, fast könnte man meinen, die beiden sympathischen Mädchen gebe es wirklich. Laut Aussage von Sarah Crossan sind sie tatsächlich fiktiv. Die Autorin hat sich offensichtlich eingehend mit dem Phänomen „Siamesischer Zwilling“ auseinandergesetzt und sich am Leben berühmter Zwillinge aus der Vergangenheit orientiert. Dabei richtet sie klar ihr Augenmerk auf das Schwesternpaar im Hier und Jetzt, wohingegen sie dem Gestern und dem direkten Umfeld für meine Begriffe zu wenig Beachtung schenkt.
    Obwohl das Geschehen aus meiner Sicht ziemlich bald vorauszusehen war, habe ich mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt. Tippi und Grace sind mir nach und nach ans Herz gewachsen, ich habe mitempfunden und mitgelitten und konnte mich noch dazu mit dem Ausgang ihrer "Zwei in Einem-Geschichte" anfreunden.


    "Eins" von Sarah Crossan beschäftigt sich mit keinem leichten Thema, das zudem nicht minder leicht in ein spezielles Outfit gepackt wurde, dennoch oder gerade deswegen kann die Lektüre meiner Meinung nach eine Herausforderung und eine Bereicherung für jeden sein, nicht nur für junge Leser.


  • Eine sehr schöne Geschichte über Tippi und Grace, die als siamesische Zwillinge geboren wurden.
    Grace erzählt aus ihrer Sicht die Erlebnisse über einen Zeitraum von einem knappen 3/4 Jahr, beginnend mit einem neuen Lebensabschnitt. Die beiden sollen endlich eine Schule besuchen. Es sind Momentaufnahmen. Kein Erlebnis wird besonders ausgeschmückt oder detailliert erzählt. Aber der Schreibstil macht dieses Buch aus. Auch die Art der Gestaltung. Die meisten Seiten beinhalten nur wenige Wörter oder Sätze. Es liest sich sehr schnell und flüssig. Ein jugendlicher, aber auch anspruchsvoller Schreibstil, sehr bildhaft, manchmal sogar melancholisch.
    Es gab eine Sache, die mir persönlich nicht so 100% gefallen hat.


    Ein empfehlenswerter Roman über zwei außergewöhnliche Mädchen. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Ein berührendes Buch. Auch der Schreibstil hat mir gut gefallen, obwohl viele Situationen nur in wenigen Sätzen angerissen werden, sind diese doch sehr ausdrucksstark.
    Nicht hundertprozentig glaubwürdig fand ich die Zuspitzung zum Schluss..


    Aber auf jeden Fall sehr lesenswert.

  • Der Leser bekommt die Geschehnisse rund um die 16jährigen siamesischen Zwillinge Tippi und Grace aus der Perspektive von Grace geschildert. Auf diese Art wird man sehr tief in die Gefühls-, und Gedankenwelt der beiden Mädchen involviert. Auch wenn das Geschwisterpaar reine Fiktion ist, so bekommt man beim Lesen dennoch das Gefühl, dass sich diese Geschichte so - oder zumindest ganz ähnlich - auch in der Realität zutragen könnte.


    Man begleitet dieses so besondere Geschwisterpaar in den Monaten August bis März und erlebt quasi aus erster Hand, was es bedeutet, wenn man sich - egal wo man auftaucht - permanent beobachtet und regelrecht aussätzig vorkommt, nur weil man nicht "der Norm" entspricht.


    Der Schreibstil ist sehr gewöhnungsbedürftig und hat mich zu Beginn deutlich irritiert. Doch recht schnell merkte ich, dass durch diese vielen einfach gehaltenen Sätze und sehr kurzen Kapiteln genau das vermittelt wurde, was die Autorin wohl bezweckte: Nämlich, dass man beim Lesen in der Tat das Gefühl bekam, unmittelbar dabei zu sein. Quasi als unsichtbarer Beobachter.


    Bedingt durch den Aufbau des Buches hat man es in einigen wenigen Stunden durchgelesen. Dennoch wurde mir irgendwie eine Tiefe vermittelt, so als ob ich Tippi und Grace real kennen gelernt hätte. Mit dem Ende der Geschichte bin ich nicht gänzlich einverstanden, einiges erschien mir doch arg an den Harren herbei gezogen zu sein (ich will nicht triggern, deswegen werde ich an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen), trotzdem finde ich das Gesamtwerk durchaus empfehlens-, und lesenswert. Es regt, trotz aller Kürze, zum Nachdenken an. Und alleine dadurch hat in meinen Augen die Autorin schon ihr Ziel erreicht.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: