Klappentext:
Nach fast zwei Jahrzehnten ohne Kontakt fällt es Angelika Limacher schwer, sich nach der Begnadigung ihrer Mutter auf sie einzulassen. Zu sehr lastet die Vergangenheit auf ihrer Seele: Angefangen mit dem plötzlichen Verlust ihrer Mutter, als diese in den Untergrund ging, bis hin zum Kontaktabbruch durch ihre Mutter, als diese, im Gefängnis sitzend, von heute auf morgen ihre Tochter nie wiedersehen wollte.
Doch gleichzeitig nagen brennende Fragen an Angelika. Wie konnte ihre liebevolle Mutter nur zu einer kaltblütigen Terroristin werden? Und kann sie ihre Mutter wieder gefahrlos in den Kreis der Fmailie aufnehmen?
Aber Angelika ist nicht die Einzige, die von Fragen getrieben wird. Denn das Leid der Opfer verjährt nie, und so suchen auch die Söhne von Martinas Opfern nach Antworten: Warum mussten ausgerechnet ihre Väter sterben? Und wer genau hat bei dem Attentat auf einen Staatssekretär des Justizministeriums eigentlich auf wen geschossen? Und so müssen sich beide, Angelika und Martina, der Vergangenheit stellen.
Eigene Beurteilung/Eigenzitat aus amzon.de:
Wir leben wieder in einer Zeit, in der sich die Menschen beim Hören und Gucken der Nachrichten immer wieder fragen, was andere – zumeist junge Menschen - dazu bringt, sich zu radikalisieren und für eine politische Ideologie oder einer eine Religion andere Menschen zu töten und ihre Angehörigen ins Elend zu stoßen. Häufig bekommen wir durch die Presse dann auch die Sichtweisen ihrer nächsten Angehörigen präsentiert. Ihre Opfer – und deren Angehörige – geraten dabei meist schnell in Vergessenheit – besonders, wenn es sich um sogenannten „Kollateralschäden“ handelt oder um „legitime Sekundärziele“, wie etwa Personenschützer oder Fahrer der prominenteren „Primärziele“, deren Namen auch in der Regel im Gedächtnis bleiben und im Jahres- Fünf-Jahres-, Zehn-Jahres und so weiter-Takt wieder in den Medien erscheinen. Am Rande werden immer mal wieder die „legitimen Sekundärziele“ genannt (vielleicht sogar ihre Angehörigen), aber eigentlich stehen immer die Täter im Vordergrund der Berichtserstattung.
Im Zuge der Antwortfindung der im Klappentext genannten Charaktere wird die Geschichte der RAF aufzuarbeiten versucht und dies in erster Linie durch die Augen der zu Beginn 17-Jährigen Martina Müller, die bei einer Klassenfahrt nach Berlin den Schah und seine Frau bewundern wollte und un-versehens in eine von der Polizei verdeckten organisierten Gegenreaktion gegen Protesten gegen den Besucher im Land verwickelt wird. Die dabei erfahrene Hilflosigkeit und das Gefühl, feige gewesen zu sein, sollen danach eine der Haupttriebfedern ihres weiteren Handelns werden, bis sie eines Tages in einem palästinesischen Ausbildungscamp im Jemen erstmals eine geladene Waffe auf einen hilflosen Menschen richtet – und abdrückt.
Die Vergangenheit aufzuarbeiten ist schwierig – besonders eine Vergangenheit, die anscheinend durch die damalige Pressereaktion und die darauffolgende Geschichtsschreibung in den Medien eine wesentlich größere Dimension bekommen hat, als sie sie eigentlich haben sollte. Die hier dargestellte – und wohl ziemlich realistische – Darstellung der Gespräche und Debatten in den Kreisen der Radikalen Linken der damaligen Zeit lassen einen heutzutage nur noch den Kopf schütteln – bis man in den Nachrichten wieder einmal sieht, wie ein junger Mensch mit einer Sprengstoffweste in einen vollbesetzten Bus gestiegen ist – bzw. man sieht den Bus danach.
Wie viel politische Erzählung aus den 70er Jahren ist auch dieser Roman ein wenig zäh zu lesen – und trifft damit den Zeitgeist eigentlich ziemlich genau. Zumindest den Zeitgeist in bestimmten Kreisen, denn die RAF-Angehörigen mussten schließlich lernen, dass das „Volk“ sich durch sie nicht wirklich vertreten gefühlt hat. Wer sich in den 80er Jahren in der linken Szene und in der Dritten-Welt-Bewegung umgetan hat, der kennt die Gesprächsmuster, die hier immer wieder gezeigt werden – und mag sich ein wenig innerlich krümmen, wenn er sich daran erinnert, wie er oder sie an diesen Gesprächen teilgenommen hat.
Interessant ist auch die sehr vielschichtige und multiperspektivische Darstellung der Gefühls- und Gedankenwelt der Opfer- und Täterangehörigen gegen Ende der 90er Jahre. Hier zeigt sich neben dem Versuch, die „Altvorderen“ zu verstehen auch immer wieder ein kritisches Hinterfragen derer Aussagen, sowie die der damaligen Medien und auch der eigenen Wahrnehmungen und Empfindungen, so dass Angelika und ihre Zeitgenossen die wohl plastischsten Charaktere dieses Buchs darstellen.
Zusammen mit der in diesem Jahr erschienen GEO-Epoche zur RAF sicherlich eine sehr gute einlei-tende Betrachtung des „Deutschen Herbsts“, seiner Ursachen und Folgen.