Beatriz Williams - Das geheime Leben der Violet Grant / The Secret Life of Violet Grant

  • 1964: Vivian Schuyler ist reich, hübsch und könnte sich darauf beschränken, sich einen standesgemäßen Mann zu angeln, doch sie will frei sein. Darum arbeitet sie bei einer New Yorker Zeitung und teilt sich eine Wohnung mit einer Freundin. Dass ausgerechnet eine schnöde Abholnotiz der Post ihr Leben gehörig auf den Kopf stellen würde, hätte sie sich wohl nie träumen lassen. Doch auf dem Postamt stößt sie mit einem sympathischen jungen Arzt namens Paul zusammen und ist wie vom Blitz getroffen, als sie in seine blauen Augen schaut. Und das, was sie am Schalter ausgehändigt bekommt, ist nicht bloß ein Päckchen, sondern ein riesiger alter Koffer.



    Ein Koffer voller Geheimnisse, stellt sie bald fest, denn er gehörte ihrer Tante Violet, von der sie nie zuvor gehört hatte. Ihre Familie mauert auf Nachfragen hin, und erst ganz allmählich bringt Vivian etwas Licht ins Dunkel und findet heraus, dass Violet, Anfang des 20. Jahrhunderts unerhört für eine Frau, in England Physik studiert und sich dabei mit ihrem Professor und Mentor eingelassen hat - eine folgenreiche Affäre.



    Beatriz Williams erzählt die Geschichten der beiden Frauen ganz klassisch auf zwei Zeitebenen und wechselt kapitelweise zwischen den beiden Perspektiven Violets und Vivians hin und her. Die zwei Erzählerinnen sind ganz unterschiedliche Charaktere: Vivian ist freiheitsliebend, unbekümmert und amüsiert sich gerne (was nicht heißt, dass sie ihre Arbeit nicht ernst nähme), während Violet zurückhaltend, ernst und gerade in Liebesdingen manchmal fast ein wenig naiv daherkommt. Diese Verschiedenheit ist auch im Erzählstil der jeweiligen Kapitel spürbar. Vivians Abschnitte sind überschäumend, spöttisch, frech und, wenn sie von Paul schwärmt, leider auch oft etwas schmalzig. Violets Parts haben mir besser gefallen, der Erzählton ist ruhiger und ernsthafter und auch gefühlvolle Szenen wirken weniger kitschig.



    Überhaupt hat mich Violets Geschichte wesentlich mehr angesprochen als Vivians. Ein paar Elemente fand ich zwar ein klein wenig an den Haaren herbeigezogen, aber dennoch gefiel mir dieses Porträt einer ungewöhnlichen und unter der stillen Fassade starken Frau. Bei Vivian fand ich die dauernde Achterbahnfahrt ihrer Beziehung zu Paul irgendwann nur noch nervig, weil die Autorin immer noch eine Komplikation und noch eine Kehrtwendung eingebaut hat. Theoretisch hätte es mir auch gereicht, nur über Violet zu lesen, ohne die Rahmenhandlung um Vivian und den Koffer.



    Ärgerlich sind die immer wieder auftauchenden Fehler im Text wie "Sie/sie"-Verwechslungen oder auch schlichte Druckfehler wie "tu" statt "du". Die Übersetzung hat mich auch nicht rundum überzeugen können.



    Nachdem ich anfangs schon befürchtet hatte, das Buch sei gar nicht meine Kragenweite, weil ich Vivian zu überdreht fand und auch zu Violet keinen rechten Bezug herstellen konnte, kam ich aber trotz aller Kritik irgendwann richtig gut "rein" in das Buch und habe die zweite Hälfte regelrecht verschlungen, bis zum gelungenen Ende.

  • Ärgerlich sind die immer wieder auftauchenden Fehler im Text wie "Sie/sie"-Verwechslungen oder auch schlichte Druckfehler wie "tu" statt "du". Die Übersetzung hat mich auch nicht rundum überzeugen können.

    D.h. Du hast es auf Deutsch gelesen. Eigentlich klingt die beschreibung nicht uninteressant, aber das wäre dann wohl eher ein Fall für die Lektüre der Originalausgabe... :-k


    Nachtrag: Unsere Bücherei hat es gerade heute in ihren Bestand audgenommen, leider auf Deutsch.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • D.h. Du hast es auf Deutsch gelesen. Eigentlich klingt die beschreibung nicht uninteressant, aber das wäre dann wohl eher ein Fall für die Lektüre der Originalausgabe... :-k

    Auf jeden Fall. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ich das, was mir hier zu kitschig formuliert vorkam, im Original zumindest teilweise lieber gemocht hätte.

  • Das Buch hat mich zweifelsohne unterhalten, sonst hätte ich es nicht während eines Tages gelesen. Aber zufrieden stellen konnte es mich nicht hundertprozentig.


    Der Erzählstrang um Vivian, die sich auf die Spur ihrer verschwundenen Tante Violet begibt, erschien mir passagenweise zu überdreht, peinlich-witzig und auch kitschig, geschrieben als eine Art Chick-Lit. Eine merkwürdige Figur machen dabei Vivians Freundin und der geliebte Dr. Paul.


    Die zweite Erzählung um Violet, eine etwas spröde, distanzierte und wenig greifbare Protagonistin gefiel mir zwar besser, doch es dauerte eine Zeitlang, bis sie mir nahe kam.
    Im letzten Drittel wurde es sehr spannend, und der endgültige Schluss konnte mich dann wirklich überraschen.


    Das ständige Gezerre zwischen Männlein und Weiblein sowohl bei Vivian als auch bei Violet nervte. "Wasch-mich-aber-mach-mich-nicht-nass --- und wenn du das schaffst, darfst du mit mir gemeinsam in die Wanne hüpfen", das funktioniert literarisch anscheinend immer noch.


    Warum die alte Geschichte um Violet im Präsens, die um Vivian im Imperfekt erzählt wird, erschließt sich mir nicht.


    Nette Lektüre für einen verregneten Sonntag.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Da scheinst Du ja im großen und ganzen denselben Eindruck gehabt zu haben wie ich.


    Mittlerweile frage ich mich, ob es nicht gereicht hätte, nur Violets Geschichte zu erzählen und auf die Vivian-Rahmenhandlung komplett zu verzichten. Das Auf und Ab mit Dr. Paul war so was von nervig für mich, und einen großen Mehrwert hat das Buch durch Vivians Spurensuche nicht bekommen, im Gegenteil. Die ganze Koffersache fand ich schrecklich konstruiert, vor allem diese Episode beim Zoll!

  • Die ganze Koffersache fand ich schrecklich konstruiert, vor allem diese Episode beim Zoll!

    Ja, die fand ich auch übertrieben, und sie war überflüssig.

    Diese Wendung hätte mir nicht schlecht gefallen.

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  • Locker flockig, so habe ich den Roman im Gedächtnis behalten. Meine Schwäche für Familiengeheimnisse aller Art, hat mich neugierig auf diesen Roman werden lassen und ich bekam im Grunde genau das, was ich haben wollte. Eine unterhaltsame Sommerlektüre. Auf die nervige Rahmenhandlung rund um die Beziehung zwischen Paul und Vivian, die eh ziemlich vorhersehbar konstruiert war, hätte ich allerdings weitgehend verzichten können. Mich hätte da ihre Familie weit mehr interessiert, zu Mal ich mich eh gefragt habe, was sie an Paul so spannend findet... Schade fand ich das auch deshalb, weil Vivian meiner Meinung nach keine Liebesgeschichte gebraucht hätte. Dieser Teil wirkte auf mich sehr erzwungen.
    Ich habe mich dann lieber mit Violets Geschichte unterhalten, ihre ganze Persönlichkeit fand ich viel interessanter aufgebaut und nicht so oberflächlich. Hi und da hätte ich mir aber weniger Vorhersehbarkeit gewünscht.
    Insgesamt kommt die Autorin nicht an Autorinnen wie etwa Kate Morton heran, die meiner Meinung nach durch ihren Erzählstil Schwächen in der Handlung besser ausbügeln kann.