Louis-Ferdinand Céline - Reise ans Ende der Nacht / Voyage au bout de la nuit

  • Autor: Louis-Ferdinand Céline
    Titel: Reise ans Ende der Nacht
    Originaltitel: Voyage au bout de la nuit, erschien 1932


    Über den Autor: (Dem Klappentext von "Tod auf Kredit" entnommen)
    Louis-Ferdinand Céline (eigentlich Louis-Ferdinand Destouches) wurde am 27. Mai 1894 in Courbevoie geboren. Als Sohn armer Eltern musste er bereits mit zwölf Jahren arbeiten. 1914 meldete er sich freiwillig; er wurde schwer verwundet und mit hohen Orden ausgezeichnet. Aus dem Militärdienst entlassen, nahm er seine durch den Krieg unterbrochenen medizinischen Studien wieder auf und erwarb den Doktortitel. Danach arbeitete er als Armenarzt und an verschiedenen städtischen Kliniken. In den Jahren 1921 bis 1925 bereiste er im Auftrag des Völkerbundes als Schiffsarzt die Küsten Afrikas und Amerikas. Von 1926 bis 1936 war er in leitender Stellung an der Staatsklinik in Clichy tätig.
    Sein erster Roman "Reise ans Ende der Nacht" ( 1932 ) machte ihn mit einem Schlag berühmt; Céline galt fortan als literarischer Neuerer von der Bedeutung eines James Joyce. Dies Urteil bestätigt sein zweiter Roman "Tod auf Kredit" ( 1936 ). Nach einer Reise in die Sowjet-Union veröffentlichte Céline "Mea Culpa" ( 1937 ), eine Absage an seine kommunistischen Ideale. Mit zwei extrem antisemitischem Büchern "L'École des cadavres" und "Bagatelles pour un massacre" (beide 1938 ), geriet er ins Fahrwasser des Faschismus und musste deshalb der Vichy-Regierung 1944 nach Sigmaringen folgen. Er schilderte das Ende Hitler-Deutschlands in der Roman-Trilogie "Von einem Schloss zum anderen" ( 1957 ), "Norden" ( 1960 ), und "Rigodon" ( 1969 ) als makabre, grausige Farce. Nach der deutschen Niederlage floh Céline nach Dänemark; Frankreich forderte seine Auslieferung vergebens. Später wurde er amnestiert und kehrte in seine Heimat zurück, wo er als Armenarzt ein kümmerliches Dasein fristet. Louis-Ferdinand Céline starb am 01. Juli 1961.

    Inhalt und Eigene Meinung:
    Bei Céline ist es generell etwas schwierig von einem Inhalt eines Handlungstrangs im klassischen Sinne zu sprechen. Es gibt keine Einleitung, Spannungsaufbau, Höhepunkt und Auflösung. Ähnlich wie bei „Tod auf Kredit“ besteht der Roman aus mehreren Episoden, die sich vage biographisch am Lebenslauf von Céline orientieren: Der Medizinstudent Bardamu meldet sich freiwillig zum Einsatz im Ersten Weltkrieg. Verständlicherweise sagt ihm das Leben als Soldat trotz militärischer Auszeichnung nicht zu und er quält sich von einem Ort zum nächsten durchs Leben. Weitere Stationen sind psychiatrische Kliniken, eine Schifffahrt in die französischen Kolonien in Afrika, dort ein Kurzeinsatz für eine französische Handelsgesellschaft, dann Krankheit und Auswanderung in die USA, Fabrikarbeit in Detroit, Medizinstudium in Paris und schliesslich Armenarzt im Elendsviertel. Soweit zu den Stationen dieser „Reise“. Das Lesenswerte ist allerdings die Hoffnungslosigkeit, die Scharfsinnigkeit, die Polemik mit der Céline die entsprechenden Situationen beschreibt. Egal ob an der Front des Ersten Weltkriegs, auf dem Schiff nach Afrika, in den Kolonien, etc – überall sind die Menschen verrückt, „müssen sich gegen das Leben verteidigen“, sind nur auf ihren Vorteil bedacht:

    Zitat

    Alle würden, das ist ganz klar, immer fieser werden, während sie darauf warteten, dass das Thermometer ein bisschen runterging. Ewig und erbittert fochten sie persönliche und kollektive Feindseligkeiten aus, Militär gegen Verwaltung, diese gegen die Händler, außerdem die einen, auf Zeit vereint, gegen die anderen, dazu alle gegen die Neger und die Neger untereinander auch.
    Die wenige Energie also, die nicht von Sumpffieber, Durst und Sonne verbraucht wurde, ging durch hasserfüllte Zänkerei dahin, so verbissene und giftige, dass viele Kolonisten schließlich an Ort und Stelle krepierten, wie Skorpione am eigenen Gift verreckt.

    Es gibt absolut keine Hoffnung auf Besserung, sozialen Aufstieg oder wenigstens ein ruhiges Leben. Damals (1932) so hochgerühmte Werte wie Kolonialismus, Patriotismus, militärische Macht, Kapitalismus, etc werden als scheinheilig und wider die Menschlichkeit dargestellt.

    Zitat

    Das Sträßchen, das ich gewählt hatte, war wirklich das schmalste von allen, nicht breiter als bei uns ein besserer Bach, und elend dreckig war es eigentlich auch, sehr feucht, voller Dunkelheit, und hier gingen schon derart viele andere Leute, kleine und große, dass sie mich mitnahmen, als wäre ich ein Schatten. Sie gingen in die Stadt, wahrscheinlich zur Arbeit, die Nase zu Boden gerichtet. Es waren die Armen aus aller Welt.

    Egal ob in Europa, Afrika oder in der Neuen Welt, die Häuser mögen anders aussehen, aber den Menschen ergeht es überall gleich. So wird der Leser am Ende der Reise desillusioniert zurück gelassen, nicht nur traurig über den Lebenskampf des Protagonisten, sondern regelrecht zerschmettert ob der Hoffnungslosigkeit der kompletten Gesellschaft jeglicher Zivilisation:

    Zitat

    "Können Sie mir etwas Beruhigendes über die Zukunft unserer Vernunft sagen, Ferdinand? … Oder auch nur über die Zukunft des gesunden Menschenverstandes? … Was soll vom gesunden Menschenverstand denn übrig bleiben, wenn es so weitergeht wie bisher? Nichts! Das ist doch ganz klar! Absolut nichts! Das sag ich Ihnen voraus … Das ist ganz deutlich …"

    Übersetzung:
    Ich habe den Roman in seiner alten, gekürzten Übersetzung von Isak Grünberg gelesen. Seit 2003 gibt es aber eine vollständige, komplett neue Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel. Ohne die französische Originalfassung zu kennen, muss ich sagen, dass der “alte“ Text grandios zu lesen war. Keinerlei Langeweile, ganze Seiten die ich mit Genuss mehrmals gelesen habe, weil die Formulierungen so genial waren, einem modernen Text steht er in nichts nach – das einzig Auffällige war, dass in der Afrikapassage recht häufig der Begriff „Neger“ fiel. Allerdings hatte das nichts mit Célines Antisemitismus zu tun, sondern es war eher im damaligen Wortschatz geläufig. Ich nehme mal an, in der neueren Übersetzung hat man ein „weniger belastetes“ Wort verwendet?!
    Jedenfalls wollte ich sagen, dass man auch getrost eine alte Ausgabe erstehen kann und nicht unbedingt die längere Neuübersetzung kaufen muss, erst recht nicht, wenn man sich nicht sicher ist, ob das Buch gefällt. (Zweifellos werde ich mir im Nachhinein nun doch die Langfassung holen und die Geschichte in der neuen Übersetzung nochmals lesen)