Klappentext:
>>In meiner Vorstellung war dieser Ort seit 1986 immer eine Kulisse aus einer anderen Welt gewesen, ein bisschen Blade Runner, ein bisschen I am legend, eine apokalyptische Filmwelt irgendwoe hinter dem Eisernen Vorhang. 2003 sah ich dann die ersten Werbeanzeigen für >>All-inclusive-Zonentouren<<, und der Reaktor verwandelte sich in meinem Kopf in ein Touristenparadies, ein ukrainisches Neuschwanstein, in dem nur noch die Souvenirläden fehlten, die Aschenbecher in Reaktorenform oder Eieruhren im Geigerzähler-Design feilboten.<<
Leseeindruck:
Merle Hilbk hat mit ihrer nunmehr dritten Veröffentlichung den Versuch einer Reportage über den GAU in Tschernobyl zu verfassen gestartet. Thematisch könnte man fast meinen, dass es sich um einen Selbstläufer handelt. Menschen sind meist von unsagbaren Katastrophen fasziniert. Um sich jedoch vor der Anschuldigung einer zu großen Anbiederung zu schützen, wählte Frau Hilbk die Reportage als Format.
Der Plot:
Wie bereits erwähnt handelt es sich um eine Reportage, wobei eine schleichende Indoktrination hin zu "werdet doch alle bitte Grünen-Wähler und AKW Gegner" besonders im letzten Abschnitt des Buches mehr als nervig ist. Merle Hilbk erzählt von ihrer Reise durch das Gebiet um den havarierten Reaktor Tschernobyl. Den Beginn macht sie bei ihrem ersten Besuch in der Sperrzone, dicht gefolgt von der langatmigen Erklärung wie sie Kontakt zu Einheimischen durch Einheimische in einer Schule erhält. Immerhin gelangt die Autorin so zu den Zeitzeugeninterviews, welche durchaus so manch interessantes Detail liefern. Die Erwähnung der diversen Initiativen zur Unterstützung von betroffenen Kindern ist hierbei durchaus interessant, deren interne Zerfleischung durch Machtkämpfe hingegen hätte sie auch gerne streichen können. Gegen Ende entspinnt sich ein beinahe dekadent auffälliger Aufruf sich doch den Grünen anzuschließen oder zumindest bei AKW Demos aufzutreten. Zumindest liest sich so mancher Satz extrem in diese Richtung. Bezeichnend ist auch, dass Frau Künast ein wenig mit ihr reden darf, andere Parteien aber bitte nicht unbedingt mitreden sollen. Da rettet auch der Quoten AKW Freund nichts. Das Ende ist gekennzeichnet durch einen pseudoverschwörerischen Verdachtsmoment, der allerdings mehr als nur hahnebüchen und aufgrund der Dauer nervig ist.
Zu den Fakten:
Die kurzen Einschübe von Interviews mit Betroffenen sind äußerst interessant. Schade nur, dass sich von diesen im ganzen Buch nicht allzu viele zu finden sind. Die Beschreibung sowie die Fotografien sind ebenfalls sehr schön eingeflochten. Vor allem die Episode mit der leichtbekleideten Direktorenfreundin, die sich laziv auf hochverstrahltem Gebiet räkelt ist mehr als nur ein Schmunzeln wert. Praktisch ist auch die Zonenkarte im vorderen Buchdeckel, falls man sich selbst mal auf einen kleinen Zonentrip begeben will. Achja, und falls man sich nicht so ganz sicher ist, wie eine Bescheinigung zum Eintritt in die Zone aussieht, die wird ebenfalls fotografisch vorgelegt. Allerdings ist die kyrillische Schrift nicht so mein Steckenpferd und die Geschichte, die zu diesem Bild aufgetischt wird mehr als fragwürdig und teilweise schon ermüdend langweilig.
Fazit:
Wer sich für die Vorgänge im und um das AKW Tschernobyl interessiert, der kann sich sicherlich mit besseren Werken eindecken. Wenn man allerdings den Nerv hat sich nicht durch pathetisches Gesäusel und ständiges "Atomkraft nein danke!" Gerede abhalten zu lassen, dann kann man durchaus den Wert des Buches entdecken. Neben detaillierten und sehr schönen Beschreibungen der Landschaft, die durchaus auch amüsant sein können, liefert "Tschernobyl Baby" eine Vielzahl an interessanten Einsichten in das Gefühlsleben der wirklich Betroffenen (und der Autorin...).
Das Buch erhält von mir , denn das pathetische Geblubber war mir dann doch gegen Ende zu viel. Schade drum...