Petra Oelker - Das klare Sommerlicht des Nordens

  • Hamburg 1906. Sidonie ist eine junge verheiratete jüdische Frau, die mit ihrem Ehemann privilegiert im Hause ihrer Schwiegereltern in einer Villa an der Außenalster lebt. Eigentlich hat sie alles, was man sich wünschen kann: einen wohlhabenden Haushalt, einen liebenden Ehemann und nichts, dass sie entbehren muss. Doch sie leidet darunter, dass sie die Erwartungen der Familie und ihres Mannes nicht erfüllen und ihnen kein Kind schenken kann. Sie wird nach zwei Fehlgeburten depressiv und schwermütig. Um sie von ihrem Schmerz abzulenken, verordnet ihr Mann ihr eine vierwöchige Auszeit in einem Malkurs, denn Sidonie war schon früher eine ganz passable Malerin. Nach ihrer Rückkehr lernt sie durch einen glücklichen Zufall Dora kennen, eine Aushilfsnäherin aus ärmlichen Verhältnissen mit unbekannter Herkunft, die in Sidonies Haushalt Ausbesserungen vornehmen soll. Die beiden Frauen, so unterschiedlich sie von ihrer Herkunft sind, verstehen sich gut und jede lernt durch die andere eine neue Sichtweise auf die Welt.


    Petra Oelkers historischer Roman „Das klare Sommerlicht des Nordens“ ist ein Gesellschaftsroman der besonderen Art. Der Schreibstil ist wunderbar zu lesen, sehr bildreich und intensiv, als Leser kann man regelrecht in den Sätzen schwelgen und fühlt sich zurückversetzt in eine bereits 100 Jahre zurückliegende Zeit. Sowohl die damalige Gesellschaftsstruktur ist sehr schön herausgearbeitet als auch das in der Bevölkerung geschürte Misstrauen gegenüber Juden aufgezeigt. Die Erzählung teilt sich in zwei Handlungsstränge, in dem einen wird das Leben und die Welt um Sidonie beleuchtet, der andere befasst sich mit Dora und ihrem Umfeld. Die Charaktere der Hauptprotagonistinnen sind sehr detailliert und liebevoll gezeichnet, wirken wunderbar authentisch und lebensecht. Obwohl die beiden Frauen von ihrer Herkunft her nicht unterschiedlicher sein könnten, verbindet sie nach einiger Zeit ihres Kennenlernens eine ungezwungene Beziehung, fast könnte man es Freundschaft nennen. Während Sidonie die Sehnsucht zur Malerei und dem Gebrauch und Einsatz von Farben, Licht und Schatten verspürt, wünscht sich Dora einen eigenen Mode- und Schneidersalon, wo sie endlich nach ihren Entwürfen Kleider nähen und den Kundinnen näher bringen kann. Die unerfüllten Träume verbinden die beiden Frauen, jeder von ihnen fehlt eine Vertrauensperson, der sie sich mitteilen können und der unvoreingenommen zuhört und Rat gibt, woraus beide Kraft und Mut schöpfen, sich ihren Träumen zu stellen und womöglich andere damit vor den Kopf zu stoßen, wenn sie sich aufmachen, diese zu verwirklichen.


    Ein wunderschöner Roman über eine unkonventionelle Freundschaft, über heimliche Träume und den Mut zur Tat und dem dazugehörenden Widerstand durch die Gesellschaft und die Familie. Ein historischer Roman, der in die Tiefe geht und sich mit den Gedanken und Gefühlen der Frauen zur damaligen Zeit beschäftigt. Ein wahrer Lesegenuss, absolut empfehlenswert.


    Von mir gibt es dafür :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: .

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


    "Wissen ist begrenzt, Fantasie aber umfasst die ganze Welt."
    Albert Einstein


    "Bleibe Du selbst, die anderen sind schon vergeben!"
    _____________________________________________


    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • Danke für die schöne Rezension @dreamworx - mal wieder ist die Wunschliste reicher geworden :lol:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • mal wieder ist die Wunschliste reicher geworden


    Ich habe mir dieses Buch wegen des ansprechenden Covers vor ein paar Wochen aus der Bücherei mitgebracht und es zwei Mal angelesen, aber jedesmal schon auf den ersten Seiten gemerkt, dass dieser Erzählstil überhaupt nichts für mich ist. Allein diese überdetaillierten Beschreibungen der Klamotten! :sleep: Und dann noch die sinnentleerte Konversation der Frauen untereinander... Aufgeblasenes Wortgeblubber! :( Auf mich wirkt das Buch wie ein typischer "Frauenroman", dafür bin ich der falsche Adressat.


    Es ist natürlich möglich, dass das Buch inhaltlich im weiteren Verlauf deutlich mehr zu bieten hat, aber darauf habe ich schon nach dem schleppenden Stil der ersten Seiten keine Lust mehr. Wenn man vorher gerade einen Sansom gelesen hat, ist es allerdings schwer, etwas zu finden, das auch nur annähernd in derselben Liga spielt. :wink:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Das klare Sommerlicht des Nordens von Petra Oelker verschlägt mich in das Hamburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ich begegne zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können.
    Sidonie Wartberger ist verheiratet und führt aus materieller Sicht ein sorgenfreies Leben. Aber sie ist nicht mehr die glückliche junge Frau, die sie war, als sie ihren Mann geheiratet hat.
    Und dann ist da Dora Lenau, die in einer Näherei arbeitet und auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag durch das Hamburg kommt, das im Umbruch ist; und das nicht nur technisch und kulturell. Sie lebt mit ihrer Tante Anna Römer und ihrem Cousin Theo in einer Wohnung. Die ärmlichen Behausungen werden abgerissen und neue Wohnungen gebaut. Die Bewohner der Armenhäuser werden einfach auf die Straße gesetzt. Frauen mit Kindern, alte und kranke Leute, spielt alles keine Rolle.
    Dora will nicht ewig in der Näherei arbeiten. Sie hat ihre eigenen Träume. Sie möchte Avantgarde-Mode machen. Ihrem Chef hat sie auch schon einige Vorschläge unterbreitet, doch der bekommt sie in dieser Gegend nicht verkauft. Also träumt Dora erst mal weiter.


    (Der Hamburger Nahverkehr hat hier eine Reihe Fotos aus der Zeit von Hamburg gesammelt.)


    Es ist anfangs nicht ganz leicht, einen Leserhythmus zu finden. Denn die Geschichte, oder besser die Geschichten, springen von einer Frau zur anderen.
    Sidonie erlitt in der sechsjährigen Ehe zwei Fehlgeburten und verfällt in Melancholie, wie Schwiegermutter Esther Wartberger meint. Kein Verständnis dafür, dass sich Sidonie in ihre Traurigkeit einhüllt. Auch Viktor, ihr Ehemann, weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Einerseits versteht er sie, andererseits: Es muss doch mal wieder gut sein.
    Ich verstehe die negativen Rezis, die ich gelesen habe, nicht. Wahrscheinlich passiert anderen Lesern nicht genug. Aber es ist doch so: Meistens fließt das Leben einfach so dahin. Interessant ist aber doch, wie die Menschen damals gelebt haben, die Armen, die Mittelschicht und die Reichen, wie Politik gemacht, Städtebau betrieben wurde. Wie das mit den Standesunterschieden war, und was geschieht, wenn jemand aus dem eingefahrenen Regelwerk ausbricht.


    Auch das Thema Antisemitismus spielt hier eine nicht kleine Rolle. Besonders zu spüren in Doras kleiner Familie. Dora wurde von ihrem Arbeitgeber in einen jüdischen Haushalt ausgeliehen. Durch Zufall lernt sie Sidonie Wartberger, die Frau des Hauses, kennen. Doras Cousin (bzw. Nicht-Cousin; wie das zusammenhängt, lest selbst) Theo, der sich auf die falsche Seite schlägt, übt Druck auf sie aus und erpresst Dora, die Leute auszuspionieren.


    Ob sie das mit sich machen lässt und ob die Frauen ihren Weg finden, lest ihr am besten selbst.


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen, der Schreibstil ist einfach toll. Allerdings bin ich vom Ende des Buches ein wenig enttäuscht. Es geht nicht darum, ob es ein Happy end gibt oder nicht, aber die Geschichte endet irgendwie abrupt. Und dann tauchen plötzlich auf ein paar Seiten in einem Epilog alle Protagonisten auf und es wird kurz geschildert, was aus ihnen geworden ist.
    Das wird mich aber nicht daran hindern, weitere Bücher von Petra Oelker zu lesen.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 84 von 80 - geschafft :)