Albert Camus - Der erste Mensch/Le premier homme

  • Erste Veröffentlichung : posthum 1994, aufgrund eines beim verstorbenen Camus gefundenen Manuskriptes, einschließlich einiger Änderungen, Streichungen etc


    Übersetzung (deutsch) : Uli Aumüller, 1995


    INHALT :
    «Inszeniert wie ein Roman, enthält ‹Der erste Mensch› eine bewegende Autobiographie der algerischen Kindheit Albert Camus´: das intimste Selbstzeugnis, dass der diskrete und scheue Autor hinterlassen hat.» (Der Spiegel) «Ein überwältigendes posthumes Comeback.» (FAZ) Gespiegelt in der Figur Jacques Comery erzählt Camus von seiner Kindheit, die er mit seiner fast tauben, analphabetischen Mutter und einer dominanten Großmutter im Armenviertel Algiers verbringt. Auf der Suche nach einer Vaterfigur beginnt er, über die eigene Herkunft zu reflektieren.
    (Quelle : Beschreibung bei rowohlt)


    BEMERKUNGEN :
    Erst 34 Jahre nach dem Tode des Nobelpreisträgres wurde dieses Manuskript zur Veröffentlichung freigegeben und selbst wenn es offensichtlich ist – insbesondere durch die angebrachten, hier auch wiedergegebenen, Randbemerkungen, Notizen und Ideen – dass dieses Buch in einer fertigen Fassung anders ausgesehen hätte, dürfen wir uns nicht nur auf ein Werk des bekannten Autors freuen, sondern entdecken dort Hinweise auf seine Herkunft, sein Leben, seine Kindheit, die sein Werk und sein Leben in ein anderes Licht rücken.


    Ein großer Teil des so herausgegebenen Buches (ich las es im französischen Original) ist so wie es ist lesenswert, geradlinig und ist trotz der angesprochenen fragenden Ergänzungsmöglichkeiten oder von Camus an sich selbst gestellten Fragezeichen durchaus « rund ». Er fängt mit der Ankunft der Eltern im Osten Algeriens 1913 an. Kaum erreichen sie die Landwirtschaft muss der Vater nach einem Arzt ausschauen : der kleine « Jacques Cormery » (alter ego für Camus ; Cormery ist der Name seiner Großmutter) kündigt sich an. Diese Reise- und Geburtsgeschichte ist schlichtweg einmalig und tief berührend.


    Kein Jahr später gehört eben dieser Vater zu den ersten Opfern des Weltkrieges. Jacques wird ihn nie kennenlernen. Wie füllt man so etwas aus ? Wie wirkt sich die Abwesenheit aus ? Ist ernicht wie ein anonymer Stellvertreter für die Menge unschuldiger Opfer dieses Gemetzels ? Jacques wird der « erste Mann » sein. Es folgen Episoden der Suche des Grabes des Vaters, 40 Jahre später, in Saint Brieuc/ Frankreich. Dort gehen Jacques Gedanken über die Absurdität durch den Kopf : nun ist er, der Vierzigjährige « älter als sein Vater »... « "Ich liebe das Leben, doch es erscheint mir gleichzeitig schrecklich, unakzeptierbar... » « Es gibt in mir eine abscheuliche Leere, eine Gleichgültigkeit, die mir wehtut... » Was für eine Ehrlichkeit !


    Die fast anaphabetische, taube Mutter, die eher tyrannische Großmutter, der kaum auftauchende Bruder, aber auch der vielgeliebte Onkel Ernest leben in einem armen Stadtviertel von Algier. Die verschiedenen Kapitel sind Episoden seiner Kindheit, seines Werdeganges gewidmet : der Großmutter, der Mutter, seinem Freund, Kinderspielen, Onkel Ernest und der Jagd... Besonders herausragend ist das dem väterlichen Lehrer gewidmete : hier hat ein Kriegsveteran die Kriegswaisen nahezu adoptiert und trägt entscheidend dazu bei, wie es mit Jacques weitergehen wird. Seine ärmliche Herkunft wird Jacques nie vergessen, seines Lehrers, seiner Mutter immer gedenkend. « Es gibt Menschen, die die Welt rechtfertigen, die zu leben helfen, allein durch ihre Gegenwart. »

    Insbesondere in den angesprochenen Kapiteln atemberaubend schön, berührend, erschreckend, jedoch für viele Camusleser vielleicht eine Schlüssellektüre zum Verständnis des Autors !


    AUTOR :
    Albert Camus wurde am 7. 11. 1913 bei Annaba (Algerien) als zweiter Sohn einer europäischen Einwandererfamilie geboren. Der Vater, ein Franzose, fiel 1914 im Krieg, die spanischstämmige Mutter musste die Kinder als Putzfrau ernähren und der dominanten Großmutter zur Erziehung überlassen. Camus wuchs in einem armen Stadtviertel Algiers auf. Dort besuchte er die Ecole primaire; 1924 konnte er als Stipendiat in das Lycée von Algier eintreten. 1930 Erkrankung an Lungentuberkulose. Nach dem Abitur Aufnahme eines Philosophiestudiums, das Camus durch Gelegenheitsarbeiten finanziert. Gleichzeitig erste schriftstellerische und künstlerische Versuche. 1934 erste Ehe, die 1940 geschieden wurde. 1938-1940 Arbeit als Journalist bei der progressiven Zeitung «Alger républicain» (später «Soir républicain»). Camus` Artikelfolge über das Elend der algerischen Landbevölkerung und das Verbot der Zeitung machten ihm eine weitere berufliche Betätigung in Algerien unmöglich. Daher 1940 Übersiedlung nach Frankreich. Mit seiner zweiten Frau, Francine Faure, kehrte er 1941 nach Algerien zurück, wo beide als Lehrer arbeiteten. 1942 Kuraufenthalt im französischen Bergland. Eine Anstellung als Lektor bei Gallimard und die Zugehörigkeit als Résistance - Camus übernahm 1944/45 die Leitung der Widerstandszeitung «Combat» - banden ihn zunehmend an Paris. Freundschaftliche Beziehungen zu Sartre und dessen existenzialistischem Kreis. 1946-1952 Reisen in die USA, nach Südamerika und mehrmals nach Algerien. An der mit Härte und Leidenschaft geführten Debatte um «Der Mensch in der Revolte» (1951) scheiterte die freundschaftliche Beziehung zu Sartre. 1958 begann er mit der Arbeit an dem erst 1994 postum veröffentlichten Roman «Der erste Mensch». Am 4. Januar 1960 verunglückte Camusbei einem Autounfall tödlich. (Quelle : Biographie auf der deutschen Amazonseite.)


    Taschenbuch: 288 Seiten
    Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verl. (1997)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3499132737
    ISBN-13: 978-3499132735

  • Link zu einer französischen Ausgabe "Le premier homme":


    Poche: 380 pages
    Editeur : Gallimard (janvier 2000)
    Collection : Folio
    Langue : Français
    ISBN-10: 2070401014
    ISBN-13: 978-2070401017

  • Selten zwei so unterschiedliche Buch-Cover gesehen. Als ob es sich hier um zwei völlig verschiedene Bücher handelt.




    BEMERKUNGEN :
    Erst 34 Jahre nach dem Tode des Nobelpreisträgres wurde dieses Manuskript zur Veröffentlichung freigegeben und selbst wenn es offensichtlich ist – insbesondere durch die angebrachten, hier auch wiedergegebenen, Randbemerkungen, Notizen und Ideen – dass dieses Buch in einer fertigen Fassung anders ausgesehen hätte, dürfen wir uns nicht nur auf ein Werk des bekannten Autors freuen, sondern entdecken dort Hinweise auf seine Herkunft, sein Leben, seine Kindheit, die sein Werk und sein Leben in ein anderes Licht rücken.


    Wäre reizvoll zu wissen, wer sich dann nach dieser Zeit um eine Veröffentlichung bemüht hat.

  • Selten zwei so unterschiedliche Buch-Cover gesehen. Als ob es sich hier um zwei völlig verschiedene Bücher handelt.


    Ich bin mir nicht ganz sicher, was Du damit meinst? Das Erwachsenenbild auf der einen Ausgabe zeigt übrigens Camus selbst! Das andere ist eine nachgestellte Kinderszene: immerhin geht es sehr viel und oft um Erinnerungen n die Kindheit und Jugend. Insofern ergänzen sich diese beiden Photos und legen den Aspekt leicht anders.


    Wäre reizvoll zu wissen, wer sich dann nach dieser Zeit um eine Veröffentlichung bemüht hat.


    Zitat

    Das unvollendete Manuskript zum Roman war bereits 1960 am Ort des tödlichen Autounfalls Albert Camus' aufgefunden worden. Seine Tochter Catherine Camus hatte sich lange Zeit geweigert, das Fragment gebliebene Werk zu veröffentlichen, nicht zuletzt aufgrund des stark autobiographischen Charakters des Textes, der in der Endfassung möglicherweise gemindert worden wäre.


    (Source: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_erste_Mensch )
    Ich habe dieses Zitat so verstanden, dass die Tochter Camus' eben nach langem Zögern letztlich zugestimmt hat. Ähnliche Formulierung auch hier: http://www.dieterwunderlich.de/Camus_mensch.htm

  • @ tom leo

    Danke für die ausführliche und sehr umfassende und vor allem informative Antwort.
    Vielleicht waren nach all der Zeit einige Passagen im Buch für die Tochter nicht mehr zu persönlich. Im Alter sieht man so manchen nicht zu schlimm wie früher oder auch umgekehrt.