Fiona McFarlane - Nachts, wenn der Tiger kommt/The Night Guest

  • Kurzbeschreibung:
    Die betagte Ruth wohnt in einem entlegenen Haus am Meer. Seit dem Tod ihres Mannes ziehen ihre Tage gleichförmig dahin, allein vom Rhythmus der Wellen und dem Klang des Windes geprägt. Eines Tages steht eine vom Staat geschickte Pflegekraft vor der Tür. Die tüchtige Frida übernimmt schnell das Regime, sie kümmert sich um Geldangelegenheiten und die Medikamente, sodass die alte Dame das Haus gar nicht mehr verlassen muss. Langsam entgleitet Ruth das Gefühl für die Realität: Gegenstände verschwinden, ein leerstehendes Zimmer scheint bewohnt, nachts schleicht ein blutrünstiger Tiger durchs Haus … und ist Frida wirklich die, für die sie sich ausgibt? *Quelle*


    Zur Autorin:
    Fiona McFarlane wurde in Sydney geboren, studierte an der dortigen Universität und promovierte an der University of Cambridge. Sie hat bisher Kurzgeschichten in namhaften Zeitschriften veröffentlicht, war Stipendiatin im Fine Arts Work Center in Provincetown, Massachusetts, im St. John's College in Cambridge, England, und ist gegenwärtig am Michener Center for Writers der University of Texas in Austin. Nachts, wenn der Tiger kommt ist ihr erster Roman; er erscheint in mehr als einem Dutzend Sprachen.


    Meinung:
    Ruth lebt seit dem Tod ihres Mannes Harry allein in einem abgelegenen Haus am Meer in Australien. Mit ihren beiden Söhnen hat sie meist nur telefonischen Kontakt und daher ist sie recht einsam. Eines Nachts wacht sie auf und meint, einen Tiger im Haus herumstreunen zu hören. Sie macht sich Gedanken, ob dieser Vorfall nun der Wahrheit entspricht oder ob das Altwerden etwas damit zu tun hat.


    Dann steht plötzlich die resolute Frida vor ihrer Tür, die angeblich vom Staat geschickt wurde, um sich um Ruth und deren Haushalt zu kümmern. Am Anfang genießt Ruth den neuen Kontakt zu dieser Frau, sie fühlt sich umsorgt und ist froh, mit jemandem reden zu können. Doch Frida schleicht sich immer mehr in das Leben von Ruth ein, fängt an sie zu bevormunden und zu kontrollieren. Was hat es mit dieser geheimnisvollen Frau auf sich?


    Nachts, wenn der Tiger kommt ist der Debütroman von Fiona McFarlane. Ruth ist ein ungemein sympathischer Charakter, der sich mit der Einsamkeit im Alter arrangieren muss und den Leser durch einige skurrile Angewohnheiten anzurühren vermag. Gerne würde man ihr eine helfende Hand reichen.


    Auf der anderen Seite ist da Frida, die vermeintliche vom Staat beauftragte Pflegerin, die sich in Ruths Leben einschleicht. Dieser Aspekt hat mich dann doch etwas gestört, denn weder Ruth zweifelt den Umstand an, dass eines Tages mir nichts dir nichts der Staat eine Pflegerin vorbeischickt. Auch ihre Söhne, vor allem Jeffrey, mit dem Ruth regelmäßig telefoniert, stören sich nicht daran und lernen Frida noch nicht einmal persönlich kennen. Dies war für mich etwas unglaubhaft.


    Dass mit Frida nicht alles mit rechten Dingen zugeht, ist von Beginn an klar. Sie vereinnahmt die alte Ruth immer mehr, macht ihr Vorschriften, nistet sich in einem ehemaligen Zimmer der Söhne ein und fängt an, Ruth immer mehr zu kontrollieren und zu manipulieren. Die arme Ruth lebt immer mehr in der Vergangenheit und in Träumen, bei ihr ist eine beginnende und auch fortschreitende Altersdemenz zu erkennen und somit hat die resolute Frida leichtes Spiel mit ihr. Das Ende kann kein gutes sein und somit ist dieses zwar abzusehen, aber macht, als es eintrifft, auch sehr traurig.


    Fiona McFarlane hat einen sehr angenehmen Schreibstil, der sich wunderbar lesen lässt. Sie fängt nicht nur die Charaktere sehr gut ein, sondern auch die Szenerie des einsam gelegenen Hauses am Meer. Der Aspekt des Tigers, der laut Ruth nachts um und im Haus herumschleicht, stellte eine schöne Metapher dar, war mir aber ein wenig zu übertrieben. Trotzdem kann ich dieses Buch durchaus weiterempfehlen, denn es beschreibt die Thematik des Altwerdens in sehr schönen Worten mit einer Protagonistin, die man sofort ins Herz schließt.


    Fazit:
    Ein zeitgenössischer Roman, der sich mit der Einsamkeit im Alter beschäftigt, aber auch mit der daraus resultierenden Gutgläubigkeit anderen gegenüber und wie diese diesen Umstand schamlos für sich selbst ausnutzen. Ein gelungener Debütroman!

  • Inhalt

    Ruth Field ist überzeugt davon, dass in ihrem Haus nachts ein Tiger unterwegs ist, sie kann ihn hören und riechen. Ruths kleines Strandhaus in New South Wales wirkt in letzter Zeit fremd auf seine Bewohnerin, vertraute Gegenstände scheinen in der Nacht zum Leben zu erwachen. Erst vor kurzem waren Ruth und ihr Mann aus der Stadt ans Meer gezogen, nun ist die alte Dame verwitwet, ihre Söhne leben im Ausland. Mit magischen Verknüpfungen gibt Ruth ihrem Alltag Struktur. Immer wenn drei Spaziergänger am Strand entlang wandern oder die Wellen nach einem bestimmten Muster auf den Strand treffen, muss Ruth eine bestimmte Arbeit im Haus erledigen. Ruths zunehmende Zweifel an ihrer eigenen Wahrnehmung sind ihr ihren Söhnen gegenüber peinlich. Schließlich gibt es in Australien keine frei lebenden Tiger. Das Auftauchen des Tigers in der Nacht könnte Schlimmes symbolisieren, das auf Ruth zukommt. Ruths Söhne könnten beschließen, dass ihre Mutter wegen ihrer beginnenden Altersvergesslichkeit besser nicht mehr allein leben sollte.


    Für eine betagte alte Dame wie Ruth, deren geistige und körperliche Kräfte allmählich schwinden, scheint Frida ein Geschenk des Himmels zu sein. Die große, einschüchternde Erscheinung steht eines Tages vor Ruths Tür, stellt sich als vom Staat geschickte Betreuerin vor und putzt und kocht fortan hingebungsvoll für Ruth. Fridas Hautton erinnert Ruth an ihre Kindheit auf den Fidschi-Inseln, wo ihre Eltern in einer Missions-Krankenstation arbeiteten. Fidschi war auch der Schauplatz von Ruths unglücklicher Teenager-Liebe zu Richard, zu dem sie nun wieder Kontakt sucht. Frida mit ihrer alle paar Tage wechselnden Haarfarbe kümmert sich derweil um alles, selbst um Paulas Bankgeschäfte. Frida reagiert jedoch verschnupft, sollte Ruth ihren Vorschlägen nicht sofort folgen wollen. Ruth Field ist sich ihrer Hilfsbedürftigkeit bewusst, aber sie möchte gern im Einklang mit ihren Mitmenschen leben und sich nicht ständig mit Frida herumstreiten müssen. Wer vergesslich ist, wird leicht manipulierbar durch andere, die demjenigen einreden wollen, ein Thema wäre längst besprochen und man hätte es wohl nur vergessen. Je mehr Aufgaben Frida übernimmt, umso stärker schwinden Ruths Kontakte außerhalb ihres Hauses und ihr Urteilsvermögen. Frida überwuchert Ruths Haushalt wie eine schnell wachsende Lianenart. In das abgelegene Strandhaus kommen selten Besucher, niemand, der sich mit gesundem Menschenverstand fragen könnte, wer in Ruths Haushalt zu sagen hat und von wem Frida wohl für ihre Tätigkeit bezahlt wird.


    Fazit

    Fiona McFarlane vermittelt vor der Kulisse bewölkter Tage am Meer mit beachtlicher Einfühlung die Einsamkeit ihrer Hauptfigur im Alter. Sie nimmt ihre Leser mit in die verschwimmenden Übergänge zwischen Illusion und Wirklichkeit und balanciert mit Frida auf der dünnen Grenze zwischen Hilfe und Manipulation. Eine feine Dosis Ironie verbirgt sich hinter einem wohlwollenden Erzählton und streut schon früh Zweifel, ob sich im Strandhaus die Dinge für Ruth noch positiv entwickeln können.


    Ein großartiger Debüt-Roman mit einer beunruhigenden Botschaft. Nachdem ich das Buch zugeschlagen habe, bin ich mir nicht mehr sicher, dass es bei uns keine frei lebenden Tiger gibt ...


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Irgendwie bin ich ganz unschuldig daran, die liegen irgendwo und wispern: Nimm mich mit, lies mich ...

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