Karen Duve - Anständig essen

  • Kurzinfo von amazon.de
    „Manchmal wünschte ich, ein Hackbraten wäre wieder ein Hackbraten, ein Grillfest ein großes Vergnügen und ich könnte in eine Bratwurst beißen, ohne dass dafür an finsteren Orten wochen- und monatelang gelitten wird.“ Bestsellerautorin Karen Duve wollte herausfinden, ob man sich heutzutage noch irgendwie moralisch korrekt ernähren kann. Und so wurde sie probeweise zur Bio-Käuferin, zur Vegetarierin, Veganerin und Frutarierin und schrieb ein ebenso augenöffnendes wie eindringliches Buch darüber. Ohne Moralpredigt, dafür mit dem ganz speziellen, knochentrockenem Duve-Humor.


    Mein erster Eindruck
    Karin Duves Selbstversuch - für mich eher Meinungsbestätigungsliteratur.
    Ich bin selbst seit Jahren Vegetarier. Angefangen habe ich als dicker Teenager, fernab jeglicher moralischen Bedenken, um abzunehmen. Erst das rote Fleisch reduziert und nur Geflügel gegessen, dann Trennkost gemacht, schließlich auch das Geflügel weggelassen. Als ich gefragt wurde, warum ich eigentlich noch Fisch esse und mir darauf keine Antwort einfiel, habe ich aufgehört, Fisch zu essen. Die ethischen Überlegungen kamen erst Jahre später hinzu (wundersamerweise gleichzeitig mit einer Laktoseintoleranz), ein paar Jahre lebte ich vegan, mittlerweile esse ich wieder Eier und Milchprodukte, die nicht von Kühen stammen.
    Die verschiedenen ethischen, moralischen und ernährungswissenschaftlichen Grundlagen unterschiedlicher Ernährungsformen sind mir daher nicht fremd, ich erwarte mir von Anständig essen also keine sonderlich neuen Erkenntnisse. Bisher - bis S. 66, Duve lebt gerade Bio - habe ich die auch nicht bekommen. Dafür einige bislang ganz unterhaltsam beschriebene Überlegungen, warum Menschen eigentlich essen, wie sie essen (=Gewohnheit) und warum Menschen sich über die Tiere stellen (=Bequemlichkeit; würde man anerkennen, dass Menschen und nichtmenschliche Tiere sich nicht wesentlich unterscheiden, könnte man Tiere ja nicht mehr essen oder für Tierversuche verwenden. Verkürzt gesagt.) Soweit nichts Neues, aber bis jetzt so verpackt, dass auch überzeugte Omnivoren nicht gleich durch die dogmatische Keule abgeschreckt werden.

  • mittlerweile esse ich wieder Eier und Milchprodukte, die nicht von Kühen stammen.

    Das kann ich gut verstehen, darauf achte ich auch, dass die Eier, die ich esse, nicht von Kühen stammen :mrgreen: (sorry, das ist überhaupt nicht fies oder zynisch gemeint, das musst Du mir glauben - aber bei Deiner Formulierung konnte ich einfach nicht widerstehen, das kam mir einfach zu lustig vor :uups: )


    Ansonsten stimme ich Dir zu, dass man sich zumindest ehrliche Gedanken machen sollte bez. unserer Umwelt, in der die Fauna nun mal eine große Rolle spielt, und über die allgemeine industriell-materialistisch gedankenlose Überfluss-Kultur (die selbstverständlich auch die industrielle Produktion von Agrarerzeugnisen umfasst), in der wir leben. Wie man sich letztendlich ernährt, und ob man mit klitzekleinen Beiträgen bestimmten gesellschaftlich normierten Verhaltensweisen entgegenwirken will, das muss jeder einzelne selbst entscheiden, aber es wäre schön, wenn man nicht gedankenlos konsumiert und sich ständig ohne Hungergefühl überfrisst, sondern das Hirn dabei aktiv wenigstens ein bisschen zum Zuge kommen ließe.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Das kann ich gut verstehen, darauf achte ich auch, dass die Eier, die ich esse, nicht von Kühen stammen :mrgreen:

    :lol:
    Naja, wenn schon das mit den eierlegenden Wollmilchsäuen nicht funktioniert, warum dann nicht wenigstens eierlegende Kühe?
    (wobei ich im Moment das Modell "nicht-kotzende Katze" für die sinnvollste Innovation in Sachen Tier halte... :roll: )


    Das Schöne an Karin Duves Buch ist es, dass sie ganz selbstkritisch untersucht, warum sie bislang so gedankenlos eingekauft hat. Sie kommt zu dem Schluss, dass es eine Mischung aus Gewohnheit und Eile ist. Fleisch isst man halt, kennt man so seit frühester Kindheit, und im Supermarkt hat man selten Zeit, um sich kritisch mit den Lebensmitteln auseinanderzusetzen.
    Ebenfalls schön: Es liest sich recht zügig. Ich bin mittlerweile bei April und damit bei Duves vegetarischer Phase.
    Weniger schön aus meiner Sicht: Die dogmatische Keule kommt dann doch noch. Wahrscheinlich kann man Themen wie Massentierhaltung und Tiere essen generell nicht völlig emotionslos diskutieren, immerhin geht es um Lebewesen und um unsere eigenen Befindlichkeiten. Noch dazu ist Anständig essen eben ein sehr persönlicher Bericht, daher ist klar, dass mehr auf Emotionen als auf Fakten gesetzt wird. Allerdings gerät Duve schon im April in diese moralische Überlegenheit, die sie zu Beginn des Buches noch an ihrer Teilzeit-Mitbewohnerin kritisiert und die viele Fleischesser mit Vegetariern verbinden und so abschreckend finden. Aber naja, frischgebackene Nichtraucher sollen ja auch immer die schlimmsten Rauchgegner sein.

  • (wobei ich im Moment das Modell "nicht-kotzende Katze" für die sinnvollste Innovation in Sachen Tier halte... )

    Bit Du etwa Besitzer eines dieser felinen Tierchen, die das Vomieren geradezu willentlich zu beherrschen scheinen? :cat::puker: (leider gibt es diese beiden Smileys nicht als Kombination)


    Umweltsensibilität ohne dogmatische Keule predigen ist wohl ziemlich schwer. Ich habe letzte Woche Jonathan Franzens "Freiheit" gelesen, worin er auf Artenschutz bezüglich Zugvögel eingeht. In diesem modernen Gesellschafts-Roman bringt Franzen das Umweltschutz-Thema im Zusammenhang mit Stiftungen, die große Spenden von schwerreichen Industriellen erhalten - nicht ohne eigennützige Anliegen im Gegenzug, wie sich herausstellt, und später auch im Zusammenhang mit Katzenbesitzern. Da man sich als Leser nicht so einfach und ausschließlich auf die eine oder andere Seite stellen kann, kommt offensichtlich auch kein erhobener Zeigefinger zum Tragen - dem Leser wird keine Entscheidung unmittelbar aufgedrängt bzw. abgenommen. Doch in einem persönlichen Erfahrungsbericht ist es meiner Meinung nach kaum möglich, den mahnenden Zeigefinger zu vermeiden - aber das hast Du ja schon selbst geschrieben.

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Bit Du etwa Besitzer eines dieser felinen Tierchen, die das Vomieren geradezu willentlich zu beherrschen scheinen? :cat: :puker: (leider gibt es diese beiden Smileys nicht als Kombination)


    Hier wohnen sogar vier der Sorte; als Besitzer würde ich mich aber nicht bezeichnen, ich darf freundlicherweise die Wohnung mitbenutzen und hinter den Herrschaften herräumen. Und ja, ich bin mir sicher, die übergeben sich mit voller Absicht in den unpassendsten Situationen :evil:


    Franzen - auch so ein Autor, von dem ich immer mal was lesen wollte und noch rein gar nicht gelesen habe...

  • Weiter im Text: Mai, Duve lebt ab jetzt vegan.
    Sie zieht das auch mit großer Konsequenz durch, so konsequent, dass sie auch fast alle alten Ledersachen entsorgt. Da sie eigene Pferde und Maultiere besitzt und reitet, sind das viele Ledersachen. Ich halte das für eine wahnsinnige Ressourcenverschwendung: Warum sollte ich vollkommen gute Lederschuhe, die ich noch zwei, drei Jahre tragen kann, wegwerfen, um mir Kunststofflatschen zu kaufen, die auf Erdölbasis hergestellt sind? Und die vielleicht nur ein Jahr halten? Nachhaltiger finde ich das nicht (ganz abgesehen davon, dass ich mir dann wesentlich häufiger Schuhe kaufen müsste. Ich hasse Schuhe kaufen.)
    Duve wird leider zu einer sehr nervigen Veganerin, geht aber immerhin auch darauf ein, warum sich Fleischesser im Gespräch mit langjährigen, überzeugten Veganern häufig unbehaglich fühlen. Außerdem geht es darum, ob man als Veganer eigentlich noch Pferde und Maultiere reiten darf und wie man mit Parasiten umgeht. Leider versucht Duve auch, ihre Katzen auf vegane Ernährung umzustellen - was nur eine andere Form der Tierquälerei ist. Wenn man sich schon für fleischfressende Tiere entscheidet, dann mit allen Konsequenzen.


    Was anderes: Während ich so lese, frage ich mich, was es eigentlich mit einem Menschen macht, im Schlachthof zu arbeiten und dort im Akkord Tieren die Kehle durchzuschneiden. Das ist ja kein Schlachten, wie es noch die Familie meiner Oma auf ihrem Hof durchgeführt hat, wo man ein Ferkel, das man persönlich kennt, das man gefüttert und ernährt hat, tötet, damit es jetzt einen selbst und die eigene Familie ernährt. Eigenhändig, von Angesicht zu Angesicht, wenige Ferkel im Jahr. Heute sind es angeblich 1.500 Schweine in der Stunde (!), die an einem Schlachter vorbeigefahren werden. Das muss doch irgendwelche Auswirkungen die Psyche haben, wenn man acht Stunden am Tag nichts anderes tut, als Tausenden von Tieren den Bolzenschuss oder den Kehlschnitt zu verpassen. Denk ich zumindest.

  • Ausgelesen
    Zum Ende ihres Selbstversuchs lebt Duve noch einmal zwei Monate lang frutarisch, ernährt sich also nur von Früchten, Samen, Nüssen, etc., die man ernten kann, ohne der gesamten Pflanze dabei das Leben zu nehmen. Das ist ungefähr so anstrengend, wie es klingt, und ob es auf Dauer gesund und praktikabel ist, weiß ich auch nicht. Anständig ist es auf jeden Fall, da die frutarische Lebensweise jedes Lebeweisen gleich hoch achtet.
    Am Ende kommt Duve zu einer relativ pragmatischen Entscheidung für ihr weiteres Leben und ihre weitere Ernährungsweise. Wäre interessant zu erfahren, ob sie das bis heute durchgehalten hat - aber ich bin heute auch zu faul, um das zu recherchieren :wink:


    Auch, wenn ich nicht mit allen Gedankengängen und allen Schlussfolgerungen der Autorin übereinstimme, wenn es mir auch teilweise zu wenige und zu einseitig dargestellte Fakten waren (es gibt Fakten, aber zu jeder angeführten Studie, zu jeder Tatsachenbehauptung, gibt es auch wieder mindestens zwei Studien und drei Tatsachenbehauptungen, die das Gegenteil belegen wollen. Glaube nie einer Studie, die du nicht selbst gefälscht hast.) - ungeachtet dieser Tatsachen also und obwohl mir die Faktenlage wohlbekannt war, halte ich Anständig essen für ein sehr interessanten und wichtiges Buch.
    Ich glaube nur, dass es die "richtigen" Leute nicht erreichen wird. Die, die eh glauben, nichts falsch zu machen; die, die gar nicht über ihre Ernährung nachdenken wollen; die, die immer behaupten, kein Geld für "anständiges" Essen zu haben; die, die glauben, dass es allein ihre Entscheidung ist, was sie essen und dass das niemand anderen etwas angeht - die werden das Buch vermutlich geflissentlich übersehen. Preaching to the converted.
    Aber vielleicht irre ich mich da auch.

  • ein paar Jahre lebte ich vegan, mittlerweile esse ich wieder Eier und Milchprodukte, die nicht von Kühen stammen.


    Sorry fürs Off-Topic, aber das interessiert mich, weil ich das jetzt innerhalb kurzer Zeit zum dritten Mal lese. Wenn ich dich richtig verstanden habe, spielen bei dir ja ethische Überlegungen eine große Rolle - geht es bei der Entscheidung für Nicht-Kuh-Milchprodukte um die Haltungsbedingungen der Tiere? Ich habe ehrlich gesagt keine richtige Vorstellung davon, wie Schafe und Ziegen zur Milchgewinnung gehalten werden :pale: , habe aber inzwischen genug gesehen und gelesen, um Kuhmilch nur noch mit schlechten Gewissen trinken zu können.
    Ich selbst stelle meine Ernährung nach und nach um, ohne mich zu etwas zu zwingen. Das kommt mehr so fließend. Fleisch ist inzwischen komplett aus dem Speiseplan geflogen, in den Kaffee kommt Sojamilch, die Gummibärchen sind ohne Gelatine. Aber ich habe bisher noch keinen einzigen zufriedenstellenden Ersatz für Käse gefunden.

    :study: John Steinbeck - East of Eden

    :study: Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

    :montag: Veronica Roth - Rat der Neun

    :musik: Claire North - Die vielen Leben des Harry August


    "There is freedom waiting for you, on the breezes of the sky, and you ask 'What if I fall?'
    Oh but my darling, what if you fly?"
    (Erin Hanson)


  • Sorry fürs Off-Topic, aber das interessiert mich, weil ich das jetzt innerhalb kurzer Zeit zum dritten Mal lese. Wenn ich dich richtig verstanden habe, spielen bei dir ja ethische Überlegungen eine große Rolle - geht es bei der Entscheidung für Nicht-Kuh-Milchprodukte um die Haltungsbedingungen der Tiere? Ich habe ehrlich gesagt keine richtige Vorstellung davon, wie Schafe und Ziegen zur Milchgewinnung gehalten werden :pale: , habe aber inzwischen genug gesehen und gelesen, um Kuhmilch nur noch mit schlechten Gewissen trinken zu können.

    Zum einen geht es mir um die Haltungsbedingungen der Michkühe, zum anderen vertrage ich aber auch schlicht und einfach keine Kuhmilch. Wahrscheinlich wäre ich nicht ganz so konsequent, wenn ich sie besser vertragen würde, das muss ich zugeben. :uups:
    Bei Ziegenmilch greife ich auf eine Bio-Marke zurück, in Berlin gibt es ja Gott sei Dank keinen Mangel an Biosupermärkten. Bei Schafskäse achte ich ehrlich gesagt nicht immer auf die Herkunft. Ich hab mir jetzt auch vorgenommen, das jetzt doch mal zu tun bzw. den Käse vlt. auch ganz wegzulassen...