Alexander Zinn - Das Glück kam immer zu mir

  • Worum es geht

    In diesem fast romanhaften Lebensbericht steht keine bekannte Persönlichkeit im Mittelpunkt, sondern ein ganz einfacher Mann, der wegen seiner sexuellen Veranlagung im Dritten Reich in einem Konzentrationslager "durch Arbeit vernichtet" werden sollte.

    Wie es ihm gelang zu überleben und sich trotz allem eine positive Lebenseinstellung bis ins hohe Alter zu bewahren, beschreibt der Diplomsoziologe und Journalist Alexander Zinn in seinem lesenswerten Buch mit sehr viel Einfühlungsvermögen.

    Rudolf Brazda wurde am 26. Juni 1913 im damals preußischen Brossen als achtes und jüngstes Kind tschechischer Einwanderer in sehr ärmlichen Verhältnissen geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters muss die Mutter ihre große Kinderschar alleine versorgen.

    1930 beendet Rudolf seine Dachdeckerlehre, bekommt aber auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit keine Anstellung und ist weiterhin auf die Unterstützung der Mutter angewiesen. Der junge Mann macht das Beste aus der schwierigen Situation und genießt das Leben in vollen Zügen. Rudolf tanzt sehr gerne und ist meist mit seinen Freunden unterwegs. Dass er gerne selbst genähte Frauenkleider trägt und sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt, verwirrt Rudolf Brazda, der den Begriff Homosexualität nicht kennt, sehr. Seine Versuche, sich mit Mädchen einzulassen, gibt er dennoch bald auf.

    1933 lernt Rudolf seine erste große Liebe, Werner Bilz, kennen. Bis 1937 leben sie relativ ungestört in einer gemeinsamen Wohnung und feiern für sich sogar eine Art Hochzeit. In den folgenden Jahren geraten aber Homosexuelle zunehmend ins Kreuzfeuer der Nazis. Gleichgeschlechtliche Liebe ist zumindest unter Männern strengstens verboten, da diese unnatürliche Verhaltensweise nach deren Auffassung die Volkskraft schwächt und somit ausgerottet gehört.

    Während Werner zum Militär muss, wird Rudolf wegen seiner Veranlagung verhaftet und nach Verbüßung seiner Strafe aus Deutschland ausgewiesen.

    1941 kommt Rudolf abermals ins Gefängnis und wird im August 1942 ins Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Mit unglaublichem Glück überlebt er die Jahre bis zur Befreiung durch die Amerikaner gar nicht so schlecht.

    Zusammen mit einem Freund, den er im Konzentrationslager kennengelernt hat, wandert Rudolf nach Frankreich aus, aber erst in der Fremde trifft er die große Liebe seines Lebens, Edi, mit dem er sich eine Existenz aufbaut und trotz schwerer persönlicher Schicksalsschläge 50 Jahre zusammenlebt.

    Beim Erscheinen dieses Buches erfreute sich der hochbetagte Rudolf Brazda noch guter Gesundheit; laut "google" verstarb er am 3. August 2011.


    Wie es mir gefallen hat

    Im Jahre 2008 verfolgte der 95-jährige Herr Brazda im Fernsehen die Ankündigung der Einweihung eines Denkmals für die homosexuellen Opfer im Dritten Reich. Auf diese Weise kam er mit Alexander Zinn in Kontakt, der die Berichte des letzten noch lebenden Betroffenen zu einem ganz und gar bemerkenswerten Buch zusammenstellte.

    Rudolf Brazda kennt trotz seines hohen Alters keine Berührungsängste. Er spricht über seine Homosexualität genauso offen wie über die Zeit im KZ. Für mich ist der kleine, zierliche Mann nicht nur ein Überlebenskünstler, sondern ein Lebenskünstler schlechthin. Weil er alles annimmt, was ihm das Leben zugedacht hat, kennt er keine Verbitterung, obwohl ihm für das erlittene Unrecht nie eine Entschädigung zugesprochen wurde. Albträume haben ihn nie geplagt, weil er immer nach vorne geschaut und an eine glückliche Zukunft geglaubt hat. Dabei ist Rudolf Brazda ein sehr gefühlvoller, zu tiefer und treuer Liebe fähiger Mensch, kein Egoist, den das Leid seiner Schicksalsgenossen kalt gelassen hätte.

    Wenn man liest, wie er sich im KZ durch seine kontaktfreudige und offene Art auch unter den Aufsehern stets Freunde gemacht hat, die ihm persönliche Vorteile brachten, muss man dem eher nichtssagenden Titel des Buches voll und ganz zustimmen. Einen besseren hätte der Autor nicht finden können.

    Mehr als einmal hing Rudolfs Überleben an einem seidenen Faden, mehr als einmal war es sein Charme, der ihn gerettet hat. Sicher spielte auch sein Beruf als Dachdecker eine wichtige Rolle, vor allem aber muss es sein Charisma und seine lebensbejahende Art gewesen sein, die viele Menschen, vielleicht auch oft unbewusst, verzauberte.

    Alexander Zinn hat mit seinem Buch aber nicht nur ein individuelles Schicksal gewürdigt, sondern sich überhaupt sehr intensiv mit dem rechtlichen Status Homosexueller - vor allem während der Naziherrschaft - beschäftigt.


    Mein Fazit: Ein sehr lesenswertes, informatives Buch, über das ich ganz zufällig in der Bücherei gestolpert bin, und das mir einen sehr liebenswerten Menschen näher gebracht hat.

    Möge es einen kleinen Beitrag zur Erinnerung an ein großes Unrecht leisten.

  • Vielen Dank für diese Vorstellung, Sylli! Ich fand eine ganz kleine Unklarheit, vielleicht kannst Du es nur kurz beantworten?



    Während Werner zum Militär muss, wird Rudolf wegen seiner Veranlagung verhaftet und nach Verbüßung seiner Strafe aus Deutschland ausgewiesen. 1941 kommt Rudolf abermals ins Gefängnis und wird im August 1942 ins Konzentrationslager Buchenwald überstellt.


    Dh dass Rudolf also nach Deutschland zurückgekommen war, oder ist er gar nicht erst weggegangen? Wo hatte er sich aufgehalten?

  • Hallo Tom!

    Rudolf galt als Sohn tschechischer Einwanderer als "Ausländer". Weil er vorbestraft war, wurde er aus Deutschland ausgewiesen, obwohl er noch nie in der Tschechoslowakei gewesen war, und auch nicht tschechisch sprach. Er ging nach Karlsbad und zog dann mit einer jüdischen Theatergruppe durchs Sudetenland, wo er sich als Josephine Baker-Imitator seinen Lebensunterhalt verdiente.

    Als Nazi-Deutschland 1938 das Sudetenland annektierte, wurde die Truppe aufgelöst und deren Mitglieder verhaftet. So ist Rudolf abermals ins Gefängnis gekommen und wurde in Eger festgehalten. Ohne Prozess ging es dann für ihn direkt nach Buchenwald.

    Ein Spielball der Zeit, in die er hineingeboren worden war ...