Louis de Bernières - Corellis Mandoline

  • Das Leben auf der beschaulichen Ägäis-Insel Kefalonia verläuft in geruhsamen Bahnen. Dr. Iannis heilt die Kranken und schreibt ansonsten an einer Geschichte der Insel, während ihm seine Tochter Pelagia den Haushalt führt und bei den Kranken zur Hand geht. Wenn Dr. Iannis nicht heilt oder schreibt, streitet er mit Kokolios, dem Kommunisten, und Stamatis, dem Monarchisten, in der Schenke über Politik. Pater Arsenios ist der nutzlose, überfressene, trinkende Geistliche des Ortes, der sich kaum noch auf die Straße traut, seit ihn Velisarios, ein umherziehender Muskelmann, bei einer seiner Vorführungen bloßgestellt hat. Und dann ist da natürlich noch der Fischer Mandras, schön wie ein junger griechischer Gott und bis über beide Ohren verliebt in Pelagia.


    Der Anfang vom Ende für diese friedliche Welt beginnt am 15. August 1940, als die Italiener das griechische SchlachtschiffElli versenken. Der Krieg hat sie erreicht.


    Für Carlo Guercio hat der Krieg schon viel früher begonnen, sogar noch bevor er in die italienische Armee eintrat. Carlo führt einen inneren Kampf mit seiner homosexuellen Veranlagung, und mehr noch mit seiner Umwelt, der er sich nicht offenbaren kann, und so flüchtet er sich schließlich in die Armee, um seine Familie nicht mehr belügen zu müssen. Natürlich muß er auch in der Armee lügen, doch hier ist es leichter, denn es gibt keine Frauen, deren Gegenwart ihn früher so schmerzlich daran erinnert hatte, was er nicht war und niemals sein konnte. Doch die Realität des Krieges löscht bald alles andere aus - alles, bis auf seine Liebe zu Francesco, einem Kameraden. Lange, nachdem Carlo seinen Patriotismus verloren hat, spornt ihn die Tapferkeit des Liebenden zu Heldentaten an, denen die Ehrlosigkeit der Umstände ansonsten alles Heroische nehmen würde.


    Und schließlich treffen sie alle zusammen, auf Kefalonia, als die Insel von den Italienern besetzt wird: Carlo und Dr. Iannis und Pelagia und Kokolios und Velisarios - und Hauptmann Corelli, der die kleine Besatzungstruppe befehligt. Und der Krieg.


    Ich habe mit Erstaunen festgestellt, daß Louis de Bernières' Corellis Mandoline in diesem Forum noch nicht vorgestellt wurde, was natürlich dringend nachgeholt werden muß. Es ist eins der großen Bücher des 20. Jahrhunderts und sollte nirgendwo (auch in keinem Bücherregal) fehlen.


    Zitat

    Eine bewegende, humane Geschichte von Treue und Verrat, Leben und Tod und Liebe in den Zeiten der Barbarei

    , nennt es der Klappentext, und ausnahmsweise trifft hier der Klappentext zu. Corellis Mandoline ist zuallererst die Geschichte eines Verrats - des Verrats der Griechen durch die Briten, die das Land den Italienern und ultimativ den Deutschen ausgeliefert haben, noch immer einer der dunklen und gern totgeschwiegenen Punkte der britischen (Militär-)Geschichte. De Bernières wollte mit seinem Roman, angeregt von seiner eigenen Familiengeschichte, dieses düstere Kapitel ans Licht holen. Und so findet sich in dem Buch sehr viel darüber, welchem Schicksal Griechenland ausgeliefert wurde, nicht zuletzt durch die Hand seiner eigenen Widerstandskämpfer.


    Dies ist vielleicht der richtige Moment, um darauf hinzuweisen, daß Corellis Mandoline nichts für schwache Nerven ist. Es ist ein Kriegsroman, und die Schilderungen der Kampfhandlungen und des Soldatenlebens sind absolut schonungslos. Vielleicht sind sie gerade deshalb noch erschütternder, weil de Bernières' Sprache, hier wie im gesamten Buch, gleichzeitig poetisch wortgewaltig und unerbittlich klar ist. Es gibt wohl nur wenige Autoren, deren Beschreibung der chronischen Verstopfung, unter der die Truppen leiden, dem Leser Tränen in die Augen springen läßt.


    Der Roman ist selbstverständlich auch eine Geschichte über Liebe. In den vielfältigsten Formen - von Carlos bedingungsloser, doch niemals ausgesprochener Hingabe, über Dr. Iannis' Liebe zu seiner Insel und Pelagias Lust, bis hin zu Mandras' seelenzerstörerischer Liebe zu einer Frau, der er sich unterlegen fühlt. Und, nicht zu vergessen, Hauptmann Corellis Liebe zur Musik, dem ultimativen Ausdruck seiner Menschlichkeit und seines Mitgefühls - wie sich schon allein daran zeigt, daß er "La Scala" gründet, einen Soldatenchor, dessen Aufgabe es ist, auf der Latrine alle Geräusche zu übertönen, damit sich niemand schämen muß. Ach ja, und dann gibt es da noch die Liebesgeschichte, die sich erst nach dem Tode in einer jährlichen Rose offenbart ...


    Corellis Mandoline ist ein Roman, der einen dazu verleitet, in Superlativen zu denken und zu schreiben. Und jedes Lob ist verdient. Selbst wenn der Autor ganz eindeutig Probleme hatte, die Geschichte zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen und gleichzeitig einen Einblick in die griechische Nachkriegsgeschichte zu geben. Doch seine Sprache schlägt einen vom ersten Kapitel an in ihren Bann und läßt einen bis zum letzten Satz nicht wieder los ... und dann blättert man vorsichtshalber noch einmal um, in der Hoffnung, es ginge doch noch weiter. Mit Hilfe von inneren Monologen und Briefen gelingt es de Bernières, den Charakteren eine ergreifende Tiefe zu geben. Und nicht nur seinen fiktiven Charakteren - das Kapitel "Der Duce" z.B. zeigt Mussolini auf wenigen Seiten in seiner ganzen Erbärmlichkeit und offenbart meisterhaft seinen psychopathischen Größenwahn.


    Meine Empfehlung: Wer den Roman noch nicht gelesen hat, sollte es unbedingt nachholen. Wer ihn schon gelesen hat, sollte ihn noch einmal lesen, es lohnt sich ganz sicher.


    Gruß
    Ute

  • :oops: Ich habe noch nie von dem Buch gehört. :oops:


    Aber den Film (Nicolas Cage in der Hauptrolle) gesehen, der eher eine Liebesgeschichte auf dem Hintergrund des Krieges ist als ein Kriegsfilm, in dem es auch eine Liebesgeschichte gibt. Laut Amazon-Rezensionen hat das Buch einen anderen Schluss als der Film.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Marie


    Ich habe den Film gerade aus diesem Grund bei der Vorstellung nicht erwähnt - die Unterschiede sind einfach zu gravierend. Der Film reduziert alles mehr oder weniger auf eine Dreiecksgeschichte, während im Buch die Romanze zwischen Corelli und Pelagia gar nicht so wichtig ist (die Beziehung zwischen Pelagia und Mandras hat z.B. bedeutend mehr Auswirkungen, und wie schon erwähnt, der "große Liebende" ist eigentlich Carlo). Vergleichbar wäre es in dieser Hinsicht z.B. mit Krieg und Frieden, wo die Liebesgeschichte im Buch auch entscheidend weniger zentral ist als in der Hollywoodversion. Der Schluß ist tatsächlich anders, wie schon bei Amazon steht, und gerade an ihm merkt man meiner Meinung nach, welchen verhältnismäßig geringen Stellenwert Corelli und Pelagia haben, denn es ist ultimativ der unbefriedigendste und am wenigsten bewegende Teil des Buches.


    Lies es - ich denke, es wird Dir gefallen. Und Du dürftest auch vor allem Freude an der Sprache haben (so die Übersetzung gut ist, was ich doch hoffe).


    Gruß
    Ute

  • Ungefähr ein Drittel des Buches habe ich jetzt gelesen und bin absolut begeistert. Die Charakterisierung der Personen, die Landschaft und ihre Atmosphäre und nicht zuletzt der ironische Humor - es stimmt einfach alles.


    Eine ausführliche Rezension werde ich hier abgeben, wenn ich das Buch fertig habe, aber meine Begeisterung wollte ich schon mal rauslassen. :bounce:


    Marie

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  • Nein, ich habe es noch nicht zu Ende gelesen.


    Meine Begeisterung bleibt. Aber bisweilen bleibt sie im Hals stecken (wie die Ironie des Autors), wenn man die Kapitel liest, in denen die Kriegsgefechte und -gemetzel, das sinnlose Töten und erbärmliche Sterben beschrieben werden.


    Obwohl das Buch in relativ kleine Kapitel unterteilt ist (egal, wie spät, eins bekommt man immer noch gelesen), braucht man Aufmerksamkeit und Konzentration; es liest sich also nicht einfach "runter".


    Marie

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  • Marie


    Ja, es ist schon ein ganz besonderes Buch, stimmt's? :D Es schlägt mich jedes Mal, wenn ich es in die Hand nehme, von neuem in seinen Bann. Und es geht mir genau wie Dir: für ein Kapitel mehr ist immer noch Zeit ... und dann werden daraus doch zwei oder drei oder vier ...


    Es sind gerade diese kurzen Kapitel und der damit einhergehende beständige Wechsel des Erzähltempos, der Erzählperspektive und des Erzählstils, die den Leser so packen. De Bernières versteht es meisterhaft, den Leser unvorbereitet von einer Situation in die nächste zu "stoßen", was zum einen die emotionale Wirkung erhöht und zum anderen immer wieder neue konnotative Zusammenhänge eröffnet.


    Und dann sind da natürlich seine Kriegsschilderungen - Deine Beschreibung "das sinnlose Töten und erbärmliche Sterben" trifft es wirklich ganz genau. Mir will kaum ein anderer Autor einfallen, der so konsequent diese beiden Aspekte verdeutlicht, ohne zumindest unterschwellig eine Trennung in Gut und Böse/Freund und Feind vorzunehmen, die manchen Tod sinnvoller erscheinen läßt, da für eine "gute Sache" gestorben wird.


    Ich freue mich schon darauf, mehr von Deinen Eindrücken zu hören.


    Gruß
    Ute

  • Ooch, @ Ute,


    jetzt hatte ich mir so einen feinen Notizzettel für meine Rezension geschrieben und wollte vor allem auf Erzähltempus und -perspektive eingehen, weil beides für diesen Roman grundlegend ist, und dann wollte ich noch erzählen, welche Wirkung der Wechsel beim Lesen hat ...


    ... und dann finde ich Deinen Beitrag. =D> Weil ich aber mehr zu dem Buch zu sagen habe als *unterschreib*, werde ich Gedanken und Zettel neu sortieren und später nochmal was hier schreiben.


    Marie

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  • Um doch noch mal auf das Erzähltempo einzugehen: In den ersten zwei Dritteln lässt de Berniéres sich viel Zeit, erzählt jede Sequenz sehr breit und langsam - manchmal unerträglich langsam, weil man sich wünscht, er würde endlich den Kriegsschauplatz verlassen und sich wieder dem ruhigen Alltag auf Kephallonia zuwenden. Andererseits prägen sich dadurch die einzelnen Szenen umso deutlicher ein.
    Im letzten Drittel fasst er Pelagias Leben auf wenigen Seiten zusammen; erst in diesem Teil bekommt die Liebesgeschichte zwischen ihr und Corelli einen größeren Platz eingeräumt, obwohl er als Person nicht auftritt.


    Zwischendurch musste ich mir des öfteren ins Gedächtnis rufen, wer denn jetzt eigentlich gegen wen kämpft und wer wessen Feind ist, denn die einzelnen Persönlichkeiten und ihre Nationalität sagen nichts darüber aus, wer Gegner und wer Freund ist. Im Gegenteil, der Italiener Corelli ist im Krieg, als Verbündeter der Deutschen, der Feind der Griechen; andererseits geht Madras als Angehöriger einer griechischen kommunistischen Partisanentruppe viel brutaler gegen seine Landsleute vor als die Besatzungsmacht. Wie kann die Absurdität des Krieges besser dargestellt werden als durch Personen, die weder einem Feind-, noch einem Freundbild entsprechen?


    Zum Schluss des Buches, den ich auch als unbefriedigend empfand, vermute ich folgendes:



    :?::?: So langsam mündet dieser Thread in eine Art Zweier-Leserunde. Nicht dass ich etwas dagegen habe, mit Ute über ein Buch zu diskutieren, aber können wir denn niemand andern für dieses Buch begeistern?? Leute, es lohnt sich. :!:


    Marie

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  • @ Katia, das freut mich :bounce: . Du wirst sicher nicht enttäuscht sein.


    Noch ein Wort zum Cover: Sowohl das, was Ute vorgestellt hat, als auch das hier gezeigte als auch meins (ich besitze den vergriffenen Vorgängerband dieses Fischer-Taschenbuchs) vermitteln den Eindruck Griechenland - Urlaubsland - das kann kein Zufall sein-.


    Nichts gegen die "schönen" Bilder, aber sie führen auf eine falsche Fährte und geben nicht einmal ansatzweise wieder, was in dem Buch steckt.


    Marie

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  • Katia


    Freut mich auch sehr, daß wir Dein Interesse für das Buch wecken konnten. :D


    Was den Einband angeht, so mag ich immer noch am liebsten das Cover der ursprünglichen britischen Ausgabe, das auch noch erhältlich ist (obgleich zwischenzeitlich natürlich auch hier eine Ausgabe mit einem Szenenfoto aus dem Film verkauft wurde). Für mich paßt es einfach perfekt zum Inhalt und zum Ton des Buches.


    Die deutschen Cover stellen für mich schon fast einen "Täuschungsversuch" dar; der Verlag hat sich offensichtlich überlegt, daß ein Buch über den Krieg in Griechenland nicht besonders ziehen würde, also "verkleidet" er es als Urlaubslektüre.


    Gruß
    Ute

  • Hört sich wirklich gut an. Mein Wunschzettel ist wieder um einen Titel reicher ;-)

    Liebe Grüsse
    Wonneproppen
    ;-)


    Ich lese gerade "Im Dunkel der Wälder" von Brigitte Aubert
    Es gibt nur ein Leben für jeden von uns: unser eigenes. Euripides

  • und ich habe es mir bei "Oxfam" gestern für 2 € gekauft. Bin mal gespannt, aber nach euren Rezensionen kann es ja nur gut sein

  • Hallo,


    mein Posting passt wahrscheinlich besser in die Rubrik "Ich lese gerade...", aber ich wollte jetzt keinen neuen Thread aufmachen. :wink:


    Ich habe heute während der Bahnfahrt die ersten 100 Seiten des Romans buchstäblich verschlungen, sehr gerne würde ich noch den ganzen Abend lesen, allerdings geht jetzt (leider) erst die Pflicht vor.


    Obwohl ich mich ja noch am Anfang des Buches befinde (Corelli ist bisher auch noch nicht aufgetaucht), bin ich total begeistert!!!! :D


    Gerne würde ich jetzt sofort eine Menge über Carlo Guerico schreiben, dessen Geschichte mich sehr beeindruckt, oder über Dr. Iannis, der sich dem Charme eines kleinen Mädchens nicht entziehen kann und einen Marder verarztet...


    Aber, da ich noch so viele Seiten vor mir habe, gibt es für mich sicher noch so viel zu entdecken, deswegen schreibe ich lieber erst weiter, wenn ich die letzte Seite gelesen habe. :wink:


    @ Ute und Marie: Danke für eure tolle Vorstellung hier, das Buch befindet sich zwar schon länger auf meiner Wunschliste, aber als ich dies hier gelesen habe, musste ich es mir sofort kaufen!


    Gruß
    Wilaja




    :wink:

  • Wilaja, da wären wir schon drei!!! :bounce:


    (In Anbetracht der Klasse des Buches sind drei eigentlich zu wenig.)


    Marie

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  • Nun habe ich die letzten Seiten des Buches gelesen, "Corellis Mandoline" gehört eindeutig zu meinen absoluten Lieblingsbüchern!


    Und weil dieses Buch etwas ganz besonderes ist, werde ich auch noch etwas warten, bis ich hier mehr darüber schreibe. Irgendwie ist mir gerade noch nicht so danach...


    Gruß
    Wilaja