Max Frisch - Blaubart

  • Dr. med. Felix Schaad, freigesprochen von der Anklage, seine 6. Ehefrau umgebracht zu haben, läßt den zurückliegenden Mordprozess Revue passieren. Noch einmal geht er gedanklich die diversen Zeugenverhöre durch: Die Befragungen seiner 5 verbliebenen Exfrauen, seiner jetzigen Ehefrau, von Nachbarn, Angestellten und Familienangehörigen. Was war geschehen?


    Rosalinde Zogg, die 6. Ehe- und Exfrau des Angeklagten, wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden, geknebelt mit einer Damenbinde und erdrosselt mit der Krawatte von Felix Schaad. Frau Zogg arbeitete zuletzt als Prostituierte, Dr. Schaad als Ex-Mann ( und damit Betrüger seiner 7. Noch-Ehefrau ) war einer Ihrer Kunden. Dr. Schaad hat für die Tatzeit kein Alibi, kann und will sich aber auch nicht wirklich erinnern, wo er sich aufhielt. Alle Indizien, etwa gefundene Textilfasern, Pfeifentabak in der Wohnung und auf Kleidunsstücken, frühere Briefe oder Drohungen seiner Ex-Frau gegenüber könnten auf Dr. Schaad als Mörder hindeuten, sind aber letztlich keine eindeutigen Beweise für seine Schuld. So kommt es zum Freispruch. Für Schaad klingt das wie: "Freispruch mangels Beweisen: wie lebt einer damit ?"


    Denn für Schaad steht fest: Zwar ist er nicht der Täter, doch ist er auch nicht unschuldig. Aus den imaginierten Zeugenaussagen seiner früheren Ehefrauen wird klar: Schaad ist krankhaft eifersüchtig, jähzornig, belehrend, grausam und despotisch, besonders nach dem übermäßigen Genuss von Alkohol. Trifft ihn also wirklich keine Schuld ?


    Wie Max Frisch uns Herrn Schaad nahebringt ist schon erschreckend. Gerade einmal Mitte fünfzig, blickt Schaad auf ein völlig verkorkstes und in Trümmern liegendes Leben zurück: 6 Zerbrochene Ehen, die 7. Ehe kurz vor dem Aus, eine Mordanklage am Halse und nicht die geringste Spur von Widerstand oder Anteilnahme gegen oder an seinem Schicksal. Die Charakterisierung der Person Schaads erfolgt ausschließlich über die Zeugen und deren zum Teil widersprüchliche Aussagen, Dr. Schaad selbst schein keinerlei Bildnis über sich zu haben. Die Zeit nach dem Freispruch verbringt Schaad mit völlig unnützen Dingen: Billard spielen gegen sich selbst, Schwäne füttern, denn Schaad hat Zeit: Seit seinem Freispruch wird er gemieden, kein Mensch verirrt sich mehr in die Praxis und auch der Segelverein hätte ihn lieber heute als morgen aus den Reihen seiner Mitglieder ausgeschlossen, denn: Trotz Freispruch ist seine Unschuld nicht bewiesen, der Verdacht bleibt.


    In der Innenwelt des Dr. Zorg mehren sich die anklagenden Stimmen. Als imaginäre Zeugen treten zum Ende hin die längst verstorbenen Eltern auf, Schaad wird über Träume befragt und auch die tote Rosalinde Zogg wird noch einmal in den Zeugenstand gerufen. Zum Schluß wird klar: Der Mörder war ein griechischer Student, doch Schaad ist zu diesem Zeitpunkt längst über die Täterfrage hinweg bei der grundsätzlichen Frage nach der Schuld seines Lebens abgekommen und hat einen gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich.


    Frisch wiederholt in Blaubart, seinem letzten Prosawerk, noch einmal die großen Fragen seines gesamten Werkes: Die Frage nach dem Bildnis, welches sich andere Menschen über uns machen und die Frage nach dem Schuldigwerden ( vor allem gegenüber dem Lebenspartner ) und desse Eingestehen sich selbst gegenüber. Die Sprache wird gegenüber den vorangegangenen Büchern "Montauk" und "Der Mensch erscheint im Holozän" noch einmal drastisch reduziert und verknappt - die knapp 180 Seiten lassen sich in wenigen Stunden herunterlesen, doch bleibt nach der Lektüre eine merkwürdige Ratlosigkeit: Was wollte Frisch eigentlich thematisieren ??


    Mein Fazit: Max Frisch lässt den Leser über Vieles im Unklaren. Zwar tauchen alle Themen seines Werkes im "Blaubart" noch einmal auf, doch sind die Bilder zu unklar, Vieles nur angerissen oder nicht klar herausgearbeitet. War bei vielen vorherigen Werken ( Stiller, Homo Faber ) noch deutlich, woran sich Frisch versuchte, bleibt hier das Meiste doch sehr nebulös.


    Deshalb würde ich als Frisch-Einsteiger doch eher mit dem "Homo Faber" beginnen oder mit "Montauk", wenn es denn das Spätwerk sein soll.