Edmund de Waal - Der Hase mit den Bernsteinaugen / The Hare with Amber Eyes

  • Edmund de Waal - Der Hase mit den Bernsteinaugen



    Klappentext :



    Paris - Wien - Odessa : Die Ephrussi zählten zu den vermögendsten und einflussreichsten Familien Europas. Ein Nachfahre erzählt nun ihre dramatische Geschichte.
    Dieses weltweit gefeierte Buch ist weit mehr als eine außergewöhnliche Familengeschichte, es ist eine Wunderkammer, eine brillant geschriebene Erkundung über Besitz und Verlust, über das Leben der Dinge und die Fortdauer der Erinnerung.



    "So hat man eine derartige Geschichte noch nie gelesen - ein Meisterstück. Brillant, unsentimental, aber voller Empathie"
    Marianne Enigl , profil


    "Einzigartig in seiner Mischung aus akribischer Recherche und ungewöhnlicher Liebe zum Detail."

    Johanna Adorján , Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung


    "Ein Panorama einer untergegangenen Epoche, eine Spurensuche quer durch Mitteleuropa und die Geschichte jüdischer Assimilation, Verfolgung und Neuerfindung in der Diaspora - ein hinreißendes Leseerlebnis."

    Julia Kospach , Die Presse


    "Eine unbedingt zu erlesende Kostbarkeit."

    Felicitas von Lovenberg , Frankfurter Allgemeine Zeitung




    Inhalt :



    Der Autor, Edmund de Waal, bekam ein Zwei-Jahres-Stipendium einer japanischen Stiftung zugesprochen. Dies ist der erste Schritt zur Findung dieser Geschichte. In Japan verbringt er viel Zeit mit seinem Onkel Iggie. Dieser besitzt, unter anderem, eine Sammlung von 264 Netsuke. Dies sind (laut Wikipedia) "kleine geschnitzte Figuren aus Japan. Sie dienten als Gegegengewicht bei der Befestigung Sagemone ('hängendes Behältnis') wie z. B. (...) einer flachen, kleinen, mehrteiligen Lackholzdose am Obi Gürtel) des taschenlosen Kimono." Der Hase mit den Bernsteinaugen ist eins dieser Netsuke und ziert das wundervolle Cover dieses Buches. Diese kleinen Figuren liegen schmeichelnd in der Hand und verleiten einem zum Anfassen und zum Träumen. Edmund lassen die Netsuke nicht mehr los und so pausiert er von seinem "echten" Leben und macht sich auf die Reise der Nestuke. Wo kommen sie her? Wie sind sie in Iggies Besitz gekommen? Was haben sie im Laufe der Geschichte erlebt?



    Edmund beginnt in seiner Familienchronik zu suchen und findet nach und nach Erstaunliches. Je nachdem wo sich die Netsuke gerade in der Geschichte befinden, dort reist auch Edmund hin um quasi hautnach dabei zu sein. Er möchte sehen, fühlen und erleben was er in den Dokumenten der Vergangenheit las.
    Und so führt einem dieses Buch durch die Familiengeschichte der Familie Ephrussi.





    Meine Meinung :



    Ich muss sagen, ich bin immer geflashed von diesem Buch. Jetzt beim schreiben der Rezension fällt es mir schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen. Ich wusste erstmal gar nicht, wo ich dieses Buch unterbringen soll. Es steht in der Sachbuch-Bestseller Liste, also ist es ein Sachbuch. Es hat einen Preis in der Kategorie "Biografie" gewonnen, also ist es auch eine Art Biografie, besser gesagt eine Familienchronik. Und es ist ein Stück "Geschichte zum Mitfühlen" und eine spannende Familiengeschichte. Also gar nicht so einfach einen "Platz" für dieses Werk zu finden.



    Ich lese eigentlich nicht unbedingt Sachbücher und hatte dann doch etwas Bedenken, als ich "Der Hase mit den Bernetinaugen" in der Hand hielt. Aber als ich das Buch dann aufschlug und anfing zu lesen, waren alle Zweifel und Bedenken verflogen. Edmund de Waal erzählt seine Reise in die Vergangenheit so plastisch, das ich wirklich das Gefühl hatte einen Roman zu lesen. Dieses Buch ist auch eine Art Hommage an Kunst und Architektur. Es geht um so vieles mehr, als die Netsuke - es geht um eine Lebenseinstellung und den großen Zusammenhang.
    Wenn Edmund de Waal so vor den alten Häusern seiner Familie steht und beschreibt was er aus allten Unterlagen herausgefunden hat, hatte ich immer das Gefühl mit ihm in diesem Raum zu stehen und alles still und leise zu beobachten.



    Das Buch fängt einfach nur wunderbar an und es machte sich gleich ein warmes Gefühl in meinem Bauch breit. Ich sah die prachtvollen Zimmer mit den sorgfältig ausgewählten Kunstobjekten und konnte das Rascheln der Kleider der Damen fast hören. Es war wie eine Art Zauberwelt in der der Leser gefangen genommen wird. Ich wünschte mich auch in das eine oder andere Kleid, oder an den einen oder anderen Ort. Und wie schon erwähnt geht es nicht nur um die Nestuke, es geht um das ganze Leben der Personen. Edmund versucht zu verstehen wie sein jeweiliger Vorfahre war, in welcher Zeit er sich bewegt hat und warum die Netsuke in den Besitz dieser Person kam. Was machte dieser Mensch mit den Netsuken? Was bedeuteten sie ihm? Warum ließ er sie "weiterziehen"?



    Da es sich bei der Familie Ephrussi um eine jüdische Familie handelt, kommt man dann leider auch um gewisse negative Lebensabschnitte nicht herum. Auch wenn ich natürlich schon vieles über diese Zeit und die Behnadlung der jüdischen Bevölkerung gelesen habe, ist es doch etwas anders hier in diesem Buch. Man hat das Gefühl die Menschen zu kennen, denen gerade diese Grausamkeiten passieren. Das machte es für mich "persönlicher". Aber Edmund de Waal drückt hier nicht auf die Tränendrüse, im Gegenteil, es wird eigentlich alles sehr neutral erzählt.



    Und als sich das Buch dann dem Ende neigt, wird eine herzerwärmende Szene beschrieben, die mir als Leser klar macht, was diese 264 Nestuke für diese Familie bedeuten mögen. Vielleicht nicht damals - aber heute.







    Ich hätte nie gedacht, dass mich ein "Sachbuch" so berühren und fesseln könnte. Ich war teilweise in einer anderen wunderbaren und in einer anderen grausamen Welt gefangen. Und ich habe an einer Stelle sogar einfach so aus heitem Himmel angefangen zu weinen - wegen der Netsuke. Leser dieses Buches werden wissen welche Stelle es ist!



    Ich muss hier einfach den Literatukritiker Denis Scheck zitieren, denn er war es, durch den ich auf dieses Buch aufmerksam wurde :
    "Das beste Buch seit Langem auf einer deutschen Bestsellerliste: Die Familiengeschichte der Ephrussi, die als Weizenhändler und Bankiers in Odessa, Paris und Wien zu fabelhaftem Reichtum gelangen, durch die Nazis aber Besitz und Leben verlieren. "Die Familie wurde nicht ausgelöscht, sondern überschrieben", schreibt de Waal. So ermüdend bekannt der Verlauf der düsteren Geschichte ist, so aufregend neu erzählt wird sie in Edmund de Waals Meisterwerk, das die Gefühle und Gedanken hinter den historischen Fakten reaktiviert." (Quelle :http://www.daserste.de/informa…frisch/top-ten/index.html)



    Auf dem Buchdeckel steht, wie oben schon erwähnt, geschreiben, dieses Buch sei "eine unbedingt zu erlesene Kostbarkeit". Dies kann ich nur unterschreiben!!! Ich werde dieses
    Buch bestimmt nochmehrmals in den Händen halten und mich von seiner Magie gefangen nehmen lassen!!!


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::pray:


    Für alle die es interessiert ist hier der Link zu Edmund de Waal's Internetseite, auf der man auch die Netsuke bewundern kann :


    http://www.edmunddewaal.com/

  • Ich suchte gerade nach dem Original und fand es im Englischen:


    The Hare with Amber Eyes: a Hidden Inheritance


    De Waal ist also englischer Keramiker, Professor und Autor, siehe auch:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Edmund_de_Waal

  • Wir hatten hier am Anfang der Woche ein Treffen unter Lesern und jede(r) konnte, ein, zwei Bücher seiner/ihrer Wahl vorstellen. Jemand sprach von eben diesem Buch in den höchsten, schwärmerischsten Tönen und steckte uns mit ihrem Enthusiasmus an. Wohl wir alle haben uns dann (nochmals) den Titel und die Referenz aufgeschrieben...

  • Edmund Arthur Lowndes de Waal, geboren 1964 in Nottingham ist ein britischer Töpfer / Keramiker (seit 2004 sogar Professor für Keramik an der University of Westminster in London), der erfreulicherweise, sozusagen aus Passion, auch Bücher schreibt – hauptsächlich Fachliteratur über Keramik, aber in 2010 auch diese Familiengeschichte.
    De Waal stammt von der Familie Ephrussi ab; einst dank Getreidehandel und eigenem Bankhaus ähnlich vermögend wie die wohl bekannteren Rothschilds, wurde die Familie während der beiden Weltkriege in alle Richtungen verstreut und ihr Besitz zerschlagen. Ein Palais an der Wiener Ringstrasse erinnert noch an deren Wohnsitz.


    Zum Inhalt hat @Sonea84 bereits alles gesagt, und ich kann mich ihrem Lob nur anschliessen. Hauptsächlich eine Familienchronik, beginnt de Waals Erzählung mit Charles Ephrussi in Paris der 1870er Jahre, als er als Kunstmäzen und Sammler japanischer Exponate eine Sammlung Netsuke erwirbt. Dabei beschreibt er hervorragend die damalige Epoche aus Sicht der aus Odessa zugezogenen Neureichen, die nun den Kontakt zur gesellschaftlichen Oberschicht sucht, Kunst sammelt und diverse Maler und Autoren fördert. Hier lohnt es sich übrigens nebenbei das Internet parat zu haben, da (jedenfalls in meiner Ausgabe) die meisten der erwähnten und beschriebenen Bilder und Gebäude im Buch nicht abgebildet sind – ich hatte mir dann das Kunstwerk rasch bei Wikipedia angeschaut.
    Weiter geht es mit Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, über die Pogrome bis zum Exil in Tokio und London. Die kleinen, japanischen Kunstfiguren dienen De Waals Erzählung als Leitfaden, vermutlich, um sich auch nicht in der weitschweifenden Familie zu verlieren. Denn eigentlich geht es in diesem Buch auch um De Waals Recherche. Er besucht Bibliotheken und Museen, ehemalige Wohnsitze, liest Briefe, Zeitungsartikel, verliert sich in der «Affäre Dreyfus», wird aber seine rund zweijährige Recherchearbeit glücklicherweise doch auf den Punkt bringen und sich nicht in Details verrennen. Heraus kam jedenfalls eine absolut empfehlenswerte Familienchronik über die letzten 150 Jahre, daher würde ich das Buch auch unter «Biographien» einordnen.

    Ich lese eigentlich nicht unbedingt Sachbücher und hatte dann doch etwas Bedenken, als ich "Der Hase mit den Bernsteinaugen" in der Hand hielt.

    Als Sachbuch würde ich es auch nicht bezeichnen, weder als eines über Netsuke, noch als eines über die "Ephrussis".

    Ich suchte gerade nach dem Original und fand es im Englischen:


    The Hare with Amber Eyes: a Hidden Inheritance

    Und hier noch das Cover dazu...

  • Das, was hier über das Buch schon gesagt wurde, kann ich so unterschreiben. Es ist eins meiner Highlights 2018.


    Anfangs fiel es mir schwer, in die Erzählung zu finden, weil ich zwar einiges über die japanische Kultur gelesen habe, sie mir aber bis heute fremd geblieben ist. Erst mit der Rückschau in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in Paris erwischte mich die Handlung, denn ich erkannte Personen, Künstler und Politiker, und Ereignisse wieder, weil diese Epoche zu denen gehört, die mich seit langem faszinieren und über die ich schon etliche Bücher gelesen habe. Charles Ephrussi, der die Netsuke-Sammlung als erstes erwarb, war mir als Sammler und Förderer der Impressionisten bekannt. Ein Wieder“sehen“ folgte dem nächsten und ein Aha-Erlebnis dem anderen. Leider haben ein paar Leute an Ansehen eingebüßt, denn bisher hatte ich z.B. nirgends die antisemitischen Sprüche aus dem Mund der französischen Maler Renoir oder Dégas gelesen.

    Hätte ich Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ oder „Swanns Welt“ durchgehalten, hätte ich noch mehr Querverbindungen entdeckt, denn der Autor gehörte zum Kreis um Ephrussi und hat einige Mitglieder der Familie literarisch verschlüsselt.


    Rechtzeitig zur Belle Epoque ziehen die Netsuke nach Wien um und verbringen dort die nächsten Jahrzehnte einschließlich der Nazizeit. Anhand seiner Familiengeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdeutlicht der Autor den zunächst schleichenden, dann immer lauteren und schließlich todbringenden Antisemitismus. Überall in den europäischen Ländern grassierte die Judenverachtung, in Russland, in Frankreich, in Österreich und den angrenzenden östlichen Staaten. Die systematische Tötung durch die deutschen Nazis war die Spitze des Eisbergs, und man sollte sich dessen bewusst sein, dass einige Völker den Deutschen dazu damals applaudierten.

    Der Holocaust setzt der angesehenen, reichen und erfolgreichen Familie Ephrussi ein Ende. Diejenigen, denen die Ausreise oder die Flucht nicht gelingt, werden im KZ getötet. Die Reparationen nach dem Krieg sind ein paar halbherzige Versuche, die Überlebenden für die Schätze, Reichtümer, die Bank, die Immobilien und Kunstsammlungen zu entschädigen. Die Netsuke sind geblieben; sie schienen für die Nazis keinen Wert zu haben und konnten vom Dienstmädchen unter der Schürze herausgeschmuggelt werden.


    Eine Fülle von historischen, kunst- und kulturgeschichtlichen Fakten liefert der Autor, informativ und dennoch lebendig geschildert. Gut, dass auf der Innenseite des Covers der Stammbaum abgedruckt ist. Das macht es dem Leser einfacher, sich innerhalb des weit verzweigten Clans zurecht zu finden. Das einzige, das ich vermisst habe, war ein Anhang mit Anmerkungen und Verweisen auf die Literatur, die de Waal eingesehen hat, um die Chronik seiner Familie zu erforschen.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)