Klappentext:
Kindsein heißt geliebt werden. Vertrauen gewinnen. Schutz finden. Doch für die zwölfjährige Baby steht die Welt Kopf. Ihre Mutter ist tot. Der Vater – eigentlich ein liebenswerter Chaot – kümmert sich eher um seine Heroinsucht als um seine Tochter. Und Baby muss sich ihre eigene kleine Welt zurechtzimmern. Das eigensinnige Mädchen besitzt eine außergewöhnliche Gabe dafür, Geschichten zu erfinden. Und die kleinen Krümel Glück aufzulesen, die das Leben ihr zuwirft. Doch so sehr sie sich eine unbeschwerte Jugend erträumt, so sehr schwebt sie in Gefahr. Denn auf den Straßen von Montreal locken riskante Abenteuer, trügerische Verheißungen von Geborgenheit und Liebe. Und Baby muss lernen, dass sie ihr Schicksal in die Hand nehmen muss, um ein Stück vom Glück zu finden.
Über die Autorin:
Heather O'Neill schreibt Romane, Kurzgeschichten, Gedichte und Drehbücher und ist zudem als Journalistin tätig. Sie wurde in Montreal geboren, verbrachte einen Teil ihrer Kindheit im Süden der USA und lebt inzwischen wieder in Kanada. „Wiegenlied für kleine Ganoven“ ist ihr erster Roman, der 2007 Canada Reads gewann und auf der Shortlist für den renommierten Orange Prize stand. In Kanada war das Buch ein Sensationserfolg, und auch international wurde es zum preisgekrönten Bestseller. In der Presse wurde Heather O'Neill als eine der einflussreichsten Frauen Kanadas gefeiert.
Allgemeines zum Buch:
„Wiegenlied für kleine Ganoven“ umfasst 412 Seiten und gliedert sich in einige recht umfangreiche Kapitel, die jeweils einen Titel tragen und in mehrere nummerierte Abschnitte unterteilt sind.
Die Handlung spielt in Montreal und umfasst einen Zeitraum von knapp drei Jahren. Geschrieben ist das Buch aus Sicht der Ich-Erzählerin Baby in der Vergangenheitsform.
Besonders ist der Anhang des Buches, in dem sich nicht nur umfangreiche Informationen über die Autorin finden, sondern auch ein Bericht darüber, wie die Autorin auf die Idee zu diesem Roman gekommen ist und wie sie beim Schreiben vorgegangen ist sowie Lesetipps der Autorin, bei denen es sich um ihre Lieblingsbücher handelt.
Das Cover des Romans strahlt eine sehr besondere und eigentümliche Atmosphäre aus, die hervorragend zu der Stimmung des Buches passt. Auch der deutsche Titel ist als wörtliche Übersetzung des Originaltitels sehr gut und vor allem passend gewählt.
Die kanadische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel „Lullabies for Little Criminals“ bei Harper Collins, Toronto. Übersetzt wurde der Roman von Astrid Finke.
Meine Meinung zum Buch:
Die elfjährige Baby und ihr Vater Jules führen ein rastloses Leben in Montreal. Entweder sind sie auf der Flucht vor Leuten, denen Jules Geld schuldet, oder sie müssen in eine billigere Wohnung umziehen. Denn viel Geld haben die beiden nicht. Jules gibt den Großteil für Drogen und Alkohol aus. Kein Wunder, dass sie letztlich immer im Rotlichtviertel der Stadt landen, wo die Wohnungen am preiswertesten sind.
Und dennoch: Beide sind zufrieden mit dem Leben, das sie führen. Baby gibt ihr Bestes, um eine gute Tochter zu sein, erspart ihrem Vater Probleme und tut so, als wüsste sie nicht, dass er mit dem Spruch „ Ich gehe Schokomilch kaufen“ tatsächlich meint, dass er sich Nachschub an Heroin besorgt. Währenddessen versucht Jules alles dafür zu tun, sowohl seine Aufgaben als Vater bestmöglich zu erfüllen als auch die Mutter zu ersetzen. Denn diese starb, als Baby gerade einmal ein Jahr alt war. Zu diesem Zeitpunkt war Jules 16 Jahre alt, mittlerweile ist er 27. Und dennoch: Man merkt ihm an, dass er in eine Rolle gepresst wurde, die er sich nicht ausgesucht hat. Er verhält sich oft egoistisch, verantwortungslos, leichtsinnig. Baby gegenüber ist er nicht immer fair und viel zu oft bleibt sie allein zurück.
Und darauf reagiert Baby – zunächst mit Trotz, später damit, dass sie sich den Lebensstil ihres Vaters annimmt. Dadurch nimmt ihr Leben eine Wendung, die sehr dramatisch und traurig ist. Sie landet im Heim, später in einer Erziehungsanstalt, wird von Sozialarbeitern und Psychologen betreut. Sie lernt die falschen Freunde kennen, rutscht in den Drogensumpf ab und nimmt alle Konsequenzen mit, die daraus folgen. Das Rotlichtviertel wird ihr wortwörtlich ihr Zuhause und ihre kindliche Schönheit reizt die Männer.
Dabei ist Baby ein intelligentes Mädchen, das ein schönes Leben führen könnte, aber immer eine Außenseiterin bleibt. Man sieht ihr einfach an, woher sie kommt und unter welchen Umständen sie aufgewachsen ist.
Jules und Baby entfernen sich immer mehr voneinander, ihre Leben laufen aneinander vorbei. Der stete Drogenkonsum verändert Jules, und Baby muss viel zu schnell erwachsen werden. Dabei hat sie sich immer bewusst gemacht, dass man nur einmal Kind ist. Doch eine schöne Kindheit ist ihr nicht vergönnt.
„Wiegenlied für kleine Ganoven“ ist vordergründig kein spannendes Buch, aber das Schicksal von Baby fesselt und als Leser entwickelt man schnell Gefühle wie Sympathie, aber auch Mitleid für sie. Man begleitet Baby über einen Zeitraum von knapp drei Jahren und oft verspürt man den Wunsch, sie an die Hand zu nehmen und ihr zu helfen, sie einfach von den Problemen wegzuziehen. Doch das geht natürlich nicht.
Das Ende des Romans ist sehr offen, ohne dabei aber nach Fortsetzung zu schreien. Die letzten Zeilen geben einen kleinen Hoffnungsschimmer. Vielleicht wird ja doch noch alles gut...
Während des Lesens kommt schnell der Eindruck auf, dass das Buch nicht in unserer heutigen Zeit spielt. Das ergibt sich aus den Lebensumständen, aus Andeutungen auf alte Kinofilme, einfach aus der Stimmung des Romans. Und tatsächlich: In ihrem Nachwort gibt die Autorin preis, dass sie darin ihre eigenen Kindheitseindrücke verarbeitet hat.
Mein Fazit:
Melancholisch, traurig, hoffnungslos – „Wiegenlied für kleine Ganoven“ beschreibt ein ergreifendes Mädchenschicksal und schafft es dabei doch, zu begeistern.