Maxime Ossipov – Ma province

  • Original : Russisch, 2009


    INHALT :
    Maxime Ossipov, Kardiologe und Schriftsteller, stammt aus einer Familie von Intellektuellen. Nach einer einjährigen Studienzeit in den USA zieht er es vor, Moskau zu verlassen und sich in der Provinzstadt Tarussa, circa 100 km von Moskau entfernt, niederzulassen.


    Die Konfrontation mit der alltäglichen Realität in der Ausübung seines Berufes läßt den ersten Teil, den ersten Bericht schreiben, der « Der hunderterste Kilometer » übertitelt ist. Dort beschreibt er ohne Beschönigung den Zustand der Gesellschaft und der Krankenhäuser, doch vor allem des geistigen Elends in dieser russischen Provinz nach der Perestroika. Auch erzählt er auf komische Weise seine Auseinandersetzungen mit den örtlichen Autoritäten, die zu einem nationalen Skandal führen.


    Dieser klare und manchmal grausame Blick wird doch stets begleitet von einer gewissen Barmherzigkeit, einer Zärtlichkeit gegenüber den Personen. Ind « La rencontre » (Die Begegnung), der zweiten Erzählung des Buches, fiktives Werk, werden eben solche Ereignisse der Gewalt und des Todes unter dem Blickwinkel dreier Leben betrachtet. Trotz aller Gewalt und den Schwierigkeiten bleiben unwahrscheinliche Begegnungen möglich : zwischen Volk und Intelligentsia, Glaubenden und Atheisten, Juden und Orthodoxen, heruntergekommenen Alkoholikern und Menschen der Tat...


    In diesem sensiblen Buch zeichnet sich ein heftiger Widerstand gegen die Ohnmacht ab durch ein Leben im gegenwärtigen Augenblick, dem, in dem alles zu geschehen hat und der zu ergreifen ist in seiner Unvollkommenheit und Ungewissheit. Da allein kann geschehen, was andere Wunder nennen mögen. (Source : Verdier/Editeur ; Behelfsübersetzung von mir)


    ANMERKUNGEN :
    Der erste Teil besteht aus mehreren zwischen 2006 und 2008 geschriebenen Texten. Sie nähern sich etwas Dokumentartigem : einer Aufzählung oder Darstellung all dessen, was der engagierte Mediziner Ossipov in der Ausübung seines Berufes in der Provinz antrifft. Dies handelt von der alltäglichen Gewalt, dem weit verbreiteten Alkoholismus, der Verdummung breiter Schichten... Was aber laut Ossipov hier vor allem fehlt ist nicht eine ärztliche Ausrüstung, sondern dieser unglaubliche Mangel an Motivation, dieses Sich-Gehen-Lassen existenzieller Art. So wenige scheinen fähig sein, Verantwortung zu übernehmen und in einem Genesungsprozess aktiven Part zu spielen. So spricht Ossipov von der « großen Leere », die alles zu bedrohen scheint.
    Der normale Westeuropäer kann vom Schwindel ergriffen werden angesichts dieser Schwärze : Wo wären hier Lebensfreude oder gar eine Hoffnung vorstellbar ?


    Aber dennoch : es gibt nicht nur mitten in diesem ersten heftigen Bericht Szenen eines gewissen Humors, sondern vor allem wird er gefolgt von einer anderen Verarbeitung derselben Themen. Der zweite Text, der aus drei Kapiteln besteht, ist offensichtlich aus einer viel literarischen Feder. Hier stehen Personen im Mittelpunkt, die eine geliebte Person durch Gewalt oder Fehler verloren haben. Diese Personen rutschen in gewisser Weise hinab in jene « Leere ». Auf verschiedene Weise werden sie reagieren und sich schließlich kreuzen. Die Sicht einer Hoffnungslosigkeit wandelt sich zur Möglichkeit einer Versöhnung und einer Hoffnung.


    Wenn wir das heutige Russland (und vielleicht das von jeher?) verstehen wollen, müssen wir diese beiden Wirklichkeiten nebveneinander, miteinander bestehen lassen ; wir dürfen sie nicht voneinander trennen. Erfahrungen des Todes, der Schwärze können übergehen in Erfahrungen des Lebens und der Wiedergeburt. Ossipov lädt ein zu einem Leben in den Möglichkeiten des Hier und Jetzt.


    In diesen beiden Blickwinkeln beeindruckend und sich ergänzend !


    Hier : http://russie.aujourdhuilemond…-plus-de-100-km-de-moscou ein Interview auf Französisch mit dem Autor.


    In Russland hat dieses Buch ein großes Echo gefunden. Eine deutsche Übersetzung liegt leider noch nicht vor. Da sind uns die Franzosen voraus...


    ZUM AUTOR :
    Maxim Ossipow (wahrscheinliche deutsche Umschreibung des oben französisch angegebenen Namens) wurde 1963 in Moskau geboren. Sein Vater war Schriftsteller. Maxim Ossipow studierte Medizin (Kardiologie) und macht 1991, noch zu Sowjetzeiten, seinen Doktor. « Ein ganz und gar traditionneller Weg », schreibt er.


    Anschließend macht er eine einjährige Studienreise in die USA, doch verlängert nicht seinen Aufenthalt. Er kehrt nach Moskau zurück und arbeitet an verschiedenen Instituten. Er gründet ein Verlagshaus, das sich in Übersetzungsarbeiten auf Russisch von ausländischer Fachliteratur spezialisiert.


    Im Jahr 2005 will er aber den unmittelbaren Kontakt zu den Patienten wiederfinden und er entscheidet sich für die Provinz. Er lässt sich in Tarussa nieder, wo sein Großvater nach seiner Wiederkehr aus dem Gulag als Arzt gearbeitet hatte.



    Broché: 118 pages