Klappentext:
Tamuna erwacht an ihrem 90. Geburtstag in ihrer Pariser Wohnung. Sie erwartet ihre georgische Großfamilie zum Feiern. Sie erwartet auch Tamas, die Liebe ihres Lebens. Und erinnert sich an ihre Kindheit am schwarzen Meer, an ihrer erste Begegnung mit Tamas, und, als Georgien von den russischen Bolschewiken annektiert wurde, an die Flucht nach Frankreich. Die Flucht zerstört ihre Liebe, und macht sie gleichzeitig unsterblich. Und als Tamas dann vor der Tür steht, ist ihr Herz immer noch das des jungen Mädchens aus Batumi.
Kéthévane Davrichewy verwebt Tamunas Vergangenheit und Gegenwart auf kunstvolle und berührende Weise. Ein ganzes Leben liegt vor dem Leser, ein Leben voller Widersprüche, und dennoch erfüllt. Das Leben einer starken und verletzlichen Frau und das mitreißende Epos eines fernen Landes: Georgien. (von der Verlagsseite kopiert)
Zur Autorin:
Kéthévane Davrichewy ist Französin georgischer Herkunft und wurde 1965 in Paris geboren. Dort studierte sie Literatur, später Film- und Theaterwissenschaft in New York. Sie arbeitet jetzt als Journalistin und schreibt Bücher für Kinder und Jugendliche. (von der Verlagsseite kopiert)
In diesem Buch erzählt sie die Geschichte ihrer Großmutter.
Allgemeines:
Originaltitel: La mer noire
Übersetzt von Claudia Kalscheuer
219 Seiten, in Kapitel ohne Überschrift unterteilt
Kapitelweise abwechselnd in der Ich-Erzählerperspektive über Tamunas Leben bis heute und in der personalen Erzählperspektive den Ablauf den Geburtstages
Inhalt:
Tamuna und ihre Schwester Thea wachsen in enger Nachbarschaft mit ihren gleichaltrigen Cousins und Cousinen in Tiflis und Batumi auf. Der Vater, ein hoher Regierungsbeamter, ahnt die Gefahr für seine Familie aufgrund seines politischen Engagements und bringt sie nach Frankreich. Sein Pflichtgefühl, weiter für seine Überzeugung zu kämpfen und seine Gesinnungsgenossen nicht im Stich zu lassen, ruft ihn wieder nach Georgien zurück.
Tamina, Thea und ihre Verwandten haben anfangs mit den Problemen aller Emigranten zu kämpfen, werden aber aufgefangen von der großen Gruppe der georgischen Flüchtlinge. Die Kinder lernen schnell Französisch und finden bald Freunde in Paris.
In Gedanken wird Tamuna ständig begleitet von Tamas, dem Jungen, mit dem sie zuhause erst kurze Zeit zusammen war, und den sie nie vergessen wird. Er ist der rote Faden ihres Lebens, ihr Band zwischen Früher und Heute, Ziel und Gegenstand ihrer Sehnsucht. Alle paar Jahre trifft sie ihn wieder für einige Stunden, obwohl beide später verheiratet sind und Kinder haben. Er gibt kein Leben ohne Tamas, aber auch keines mit ihm.
Nun feiert Tamuna ihren 90. Geburtstag, geplagt mit schwerer Atemnot und anderen Altersgebrechen, aber geistig auf der Höhe und so vital, dass sie eine Feier mit der gesamten Großfamilie, freilich vorbereitet von Kindern und Enkeln, plant, auch wenn ein Gedanke jede Stunde des stressigen Tages durchzieht: Kommt Tamas, und wenn Ja, wie soll sie ihm als alte Frau gegenübertreten?
Eigene Meinung / Beurteilung:
Die Emigranten der ersten Generation bleiben ihr Leben lang Heimatlose. Georgien ist verloren, Frankreich ist kein Zuhause. Unterschiedlich gehen sie mit dem Gefühl der Entwurzelung um: Einige, darunter Tamuna, bewahren sich Georgien als nostalgisches Land in ihrem Herzen, andere kehren heim, um mit der Enttäuschung, dass Kindheitserinnerung und Realität weit auseinanderklaffen, nach Frankreich zurückzukommen.
Die nachfolgende Generation wächst zwar durch ihre Zweisprachigkeit und die enge Verbundenheit mit der georgischen Gemeinde in den Traditionen des Landes auf, empfindet aber Frankreich und die Sprache als Heimat. In der dritten Generation spielt die Nationalität, aus der man stammt, bereits eine untergeordnete Rolle.
Wer die Heimat verliert, klammert sich an das Vertraute, das noch erreichbar ist, die Familie. Auch abseits der geraden Linie Eltern-Kinder-Enkel bleibt die enge Verbundenheit zu Cousins / Cousinen und deren Nachkommen bestehen. (Auch wenn in einer Passage des letzten Drittels die genauen Verwandtschaftsbeziehungen aufgedröselt werden, hat der Leser es wegen der vielen fremden Namen nicht leicht mit der Familienkonstellation. Ein Stammbaum auf dem Vorblatt oder im Anhang wäre hilfreich.)
Es ist sicher ein Schutzmechanismus, dass die Harmonie in der Familie über alles geht. Man spricht nicht über die furchtbaren Erlebnisse der Vergangenheit, nicht über Politik, nicht über den Krieg (im 2. Weltkrieg kämpften Georgier sowohl auf Seiten der Deutschen, um es den Russen heimzuzahlen, als auch in der französischen Armee aus Loyalität gegenüber dem Land, das ihnen Zuflucht gewährt hatte).
Auch wenn der kapitelweise Wechsel zwischen Ich und personalem Erzähler bis zum Schluss konsequent durchgehalten wird, muss man jedes Mal praktisch einen „Schalter im Kopf“ umlegen, um von dem erlebenden Ich als Mädchen, als junge Frau und Mutter zur beschriebenen 90jährigen zu springen. Andererseits macht gerade diese zweigeteilte Perspektive den besonderen Reiz des Buches aus.
Georgien tritt im Allgemeinen nur dann in unser Bewusstsein, wenn gerade wieder militärische Auseinandersetzungen, Präsidentschaftswahlen oder Wirtschaftsbesuche unserer Regierung auf der Tagesordnung stehen.
Daher lese ich gern ein Buch, das das alltägliche Leben alltäglicher Menschen in unbekannteren Orten der Erde schildert, auch weil es dazu einlädt, nach weiteren Informationen über Geschichte, Politik und Kultur zu suchen, und damit weiße Flecken in der Allgemeinbildung beseitigt.
Fazit:
Ein lebendiges Buch, das nicht nur Lesern von Familienromanen gefallen wird, sondern allen, die sich für besondere Schicksale aus dem 20. Jahrhundert interessieren.