Andrea Levy - Das lange Lied eines Lebens

  • DAS LANGE LIED EINES LEBENS (THE LONG SONG) ist Andrea Levys vierter Roman (2010) – und nach EINE ENGLISCHE ART VON GLÜCK (SMALL ISLAND) der zweite, der ins Deutsche übertragen wurde.


    Kingston, Jamaica, 1889. Miss July war einmal Haussklavin und ist nun eine alte Frau - und nach dem sogenannten Baptistenaufstand auch frei. Jetzt schreibt sie mit Hilfe ihres Sohnes, der als Verleger Karriere gemacht hat, ihre Erinnerungen nieder - und genau das bekommen wir als Leser zu lesen – inklusive der Diskussionen, die Mutter und Sohn führen, da Miss July auch das treulich zu Papier bringt. Wobei es hier auch schon mal nur darum geht, warum ihr Manuskript vor Tintenklecksen strotzt..


    Das klingt vielleicht nicht besonders spannend – ist es aber! Eine ausgesprochen fesselnde Lektüre, bei der man sich immer fragt, wie es wohl weitergehen wird. Und von Plantagenromantik à la Onkel Remus Wunderland ist hier auch wenig zu spüren. Was mich besonders faszinierte – ganz einfach weil ich ziemlich naiv in solchen Sachen bin – waren die Folgen auf die Befreiung der Sklaven. Denn nachdem sie für „frei“ erklärt wurden, lebten sie ja nicht alle urplötzlich glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende in Wohlstand - mit blütenreichen Vorgärten vor kleinen weißen Häuschen mit Rüschengardinen. Das Leben auf der Zuckerrohrplantage ist nach der Befreiung immer noch nicht der Himmel auf Erden.


    Was die Sprache betrifft, geht es hier schon manchmal recht deftig zu: da entweichen Fürze fetten Ärschen – und Frauen werden vom weißen Massa mal eben nach vorne gebeugt, zwecks welcher Handlung überlasse ich Eurer Fantasie – Andrea Levy klärt Euch aber in diesem Buch auch darüber auf – und gewaltfrei geht die Befreiung/Unterdrückung der Sklaven auch nicht vonstatten.


    Eventuell sollte ich noch klarstellen, dass es hierbei um eine englische Kolonie geht - Mr. Lincoln wird hier nicht erwähnt.. (ganz einfach, weil es in Amerika noch ein paar Jährchen - ca. 30! - dauern sollte..) :wink:


    Mir hat dieses Buch wahnsinnig gut gefallen - obwohl ich zwischendurch ein schlechtes Gewissen bekam wenn ich zum Zucker griff.. :uups: Was für eine Tasse Zucker an Aufwand notwendig ist (und früher noch mehr war) vergesse ich zumindest allzu leicht. :roll:

  • Conor:


    Ich bin sehr gepannt auf Deine Meinung. Hatte das Buch neulich in der englischen TB-Ausgabe ("The Long Song") in der Hand. Bei Levys erstem Roman hieß es ja oft, er lese sich wohl besser im Original, weil man jamaikanisches Englisch nicht wirklich ins Deutsche übertragen könne.

    "Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler" (Philippe Dijan)


    Tauschgnom

  • Bei Levys erstem Roman hieß es ja oft, er lese sich wohl besser im Original, weil man jamaikanisches Englisch nicht wirklich ins Deutsche übertragen könne

    Das stimmt wohl (und auch für diesen Roman) - aber ich denke, dass es durchaus auch so funktioniert. Wer allerdings authentischen Jamaica-Slang erwartet sollte wirklich lieber zum Original greifen. :)

  • Ich gehöre nicht wirklich zu denen die sich für Romane interessieren, aber die Rezension hat mir gut gefallen und ich denke ich versuch es mal und setze das Buch auf meine Wunschliste.
    Vielleicht erweitere ich, dank dir, meinen Buchgeschmack :wink:

  • Vielleicht erweitere ich, dank dir, meinen Buchgeschmack


    :uups: also, das ist jawohl das süßeste Kompliment seit Langem! DANKESCHÖN!! :pray:

  • Nun habe ich das Buch endlich gelesen.
    Nachdem ich "Eine englische Art von Glück" so außergewöhnlich fand, waren meine Erwartungen ziemlich hoch.
    Ich muß leider gestehen die Autorin hat diese bei mir nicht erfüllt. Ich empfand es als riesengroße Enttäuschung. Historisch sicher gut recherchiert, doch der Schreibstil, den ich beim Vorgänger zwar ungewöhnlich fand aber nicht störend, war dieses Mal wie eine Bariere für mich. Das Ansprechen des Erzählers an den Leser irritierte mich oft, wie es hätte sein können und wie es tatsächlich war, brachte meinen Lesefluß durcheinander, und irgendwie sprang der Funke nicht über.
    Schade ich hätte gerne was anderes geschrieben, aber mehr wie :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: ist bei mir nicht drin.
    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Carla Guelfenbein, Der Rest ist Schweigen

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Andrea Levi taucht hier stark in die eigene Familiengeschichte ein, wobei sie auszugsweise das Leben jamaikanischer Sklaven um den Jamaika-Aufstand und die Abolition beschreibt.


    Dies tut sie mit Hilfe von Miss July, die Ich-Erzählerin dieser Geschichte, die hier ihre Lebensgeschichte im Auftrag ihres eine Druckerei besitzenden Sohns schreibt. Dabei schreibt sie indirekt, in dem sie lang und breit darlegt, was sie nun alles nicht mit der Leserschaft teilen möchte - um es so dann doch zu tun.


    Zu Beginn dieses Buchs ist dieser Dreh noch ganz interessant, doch in den letzten zwei Kapiteln wird dieser konjunktivistische Stil doch sehr ermüdend. Was bei dieser eigentlich komplex dargestellten, wohl ziemlich gut recherchierten Geschichte ein wenig traurig ist.