Wieder ein Buch aus Österreich - diesmal ist es Olga Flor. Sie schildert auf über zweihundert Seiten die Ereignisse einer einzigen Stunde in und vor einem ganz gewöhnlichen Supermarkt. Aus der Perspektive verschiedener Beteiligter beschreibt sie den Schauplatz einer Attacke. Der schnelle Wechsel zwischen einer Vielzahl von Personen und Einzelschicksalen wirkt am Anfang etwas unübersichtlich.
Da ist zum Beispiel der Rentner Horst, der hilflos versucht, sich mit Einkaufen davon abzulenken, dass seine Frau gerade an Krebs operiert wird und er Angst vor der Zukunft hat. Doris, 29 und Single, ist auf dem Weg zu einem Ernährungstreffen mit Bekannten, die ihr eigentlich nichts bedeuten, und fühlt sich innerlich leer und allein. Der Obdachlose Anton möchte einfach nur etwas zu essen kaufen, er hat sogar Geld und wird trotzdem vor die Tür gesetzt. Luise H.-W., Politikerin Mitte 40 mit etwas komplizierten Männergeschichten und unangenehmen Erinnerungen an eine Wahlveranstaltung, hat eigentlich keine Zeit und hetzt durch den Supermarkt, ständig bemüht ihre Schwächen zu kaschieren und ihre Wirkung auf andere abzuschätzen… Tobias, der Lehrling im Supermarkt, dem seine Lehre so gar nicht gefällt, der Teenager Mo (Morgan), der mit seinem Leben unzufrieden ist und die Menschen aufrütteln möchte, Anna K. verheiratet mit einem Alkoholiker mit der Sehnsuchtnach Wärme und Essen, Stephanie, die Frau mit dem Kinderwagen, Oswald, der in Scheidung lebt…….
Die Liste der Personen ist also lang. Eigentlich haben diese Menschen nichts gemeinsam - und doch verknüpft die Autorin ihr Schicksal miteinander, webt ein Netz durch die Gedanken der Einzelnen, die sich gegenseitig mal mehr mal weniger beim Einkaufen wahrnehmen. Es liegt eine Spannung in der Luft, viele Andeutungen werden gemacht,und als schließlich etwas geschieht und die Situation eskaliert, ist der Leser selbst zum Zuschauer geworden, der hier und da ein Stückchen Leben der anderen aufgeschnappt hat, der selbst nicht alles kennt und nicht alles versteht. Wie ein großes Puzzle setzt sich schließlich die Geschichte zusammen - und man bleibt letztlich atemlos zurück und fragt sich, wie aus dem ganz normalen Alltag eine Katastrophe werden konnte.
Dieses Buch ist beeindruckend, auch wenn es nicht gerade einfach ist. Stückchenweise sollte man es besser nicht lesen, da man sonst schwer die Schicksale der einzelnen Personen auseinander halten kann. Gerade weil er so viele Personen sind (es gibt kein Personenregister, das geht auch gar nicht, weil es entweder nur eine Auflistung von Namen wäre oder schon zuviel verraten würde), bietet es sich an, wenn man als Leser Notizen anfertigt um die kleinen Schnipsel von verschienden Leben, die die Autorin einem nach und nach serviert, zusammensetzten zu können.
Die Handlung selbst lässt sich kaum wiedergeben, sie steht auch nicht im Mittelpunkt - sondern das Bild, das entworfen wird: die Beziehungen der Menschen untereinander, Selbstbild, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung - das sind die eigenltlichen Themen dieses kleinen Kunstwerks.