Uwe Tellkamp - Der Turm

  • Ein sprachliches Experiment von 1000 Seiten.


    1984. In Dresden, in einem Villenviertel, wohnen die Familien Hoffmann, Rohde und Tietze. Das sind die Bewohner des “Turms”; Christians Eltern sowie Onkel und Tanten nebst Cousins und Cousinen.
    Christians Vater ist Handchirurg (durch ihn zeigt uns der Autor das marode System des Gesundheitswesen), er ist ziemlich undiplomatisch, und tappt von einer Falle in die nächste. Das krasse Gegenteil von ihm, quasi seine Komplementärfigur, spielt Meno Rohde, der Bruder von Anne Hoffmann, Christians Mutter. Er ist Lektor beim Hermes Verlag (hier wird uns gezeigt nach welchen Kriterien Bücher für das System ausgewählt werden), Zoologe und Christians Lieblingsonkel. Sein Charakter schwankt zwischen absoluter Verschwiegenheit und liebevoller Zuhörer.
    Diese Großfamilie lebt in Dresden wie auf einer Insel, die es eigentlich nicht hätte geben dürfen, denn sie präsentiert das Bildungsbürgertum im sozialistischen System.
    Bei Familienfesten und sonstigen Zusammenkünften wird ganz deutlich ihr Intellekt hervorgehoben, anregende Diskussionen werden geführt, die zum größten Teil staatsfeindlich sind, viele Familienmitglieder sind musikalisch und es wird Hausmusik gespielt, und alle sind hoch belesen. Sie haben dadurch ihre spezielle Nische gefunden, einen Rückzugsort, um den Alltag und den Fesseln zu entkommen.


    Und von diesen Menschen erzählt uns Tellkamp den Lebensabschnitt von 1984 bis 89 Mauerfall.


    Christian geht 84 noch aufs Gymnasium, und muss sich im vorletzten Schuljahr für drei Jahre zusätzlichen Wehrdienst verpflichten um seinen Wunsch Medizin zu studieren verwirklichen zu können. Man hat zunächst den Eindruck, dass er voll auf seinen Vater kommt, denn durch äußerst unüberlegte Äußerungen und Reaktionen bringt sich diese Figur in größte Schwierigkeiten.
    Doch als man ihm beim Wehrdienst auf den Namen Nemo tauft, schlüpft er langsam aber zunehmend in diese introvertierte Außenseiterrolle seines Onkels.


    Der Roman ist außergewöhnlich geschrieben. Wer den “Eisvogel” gelesen hat, erinnert sich an den ungewöhnlichen Stil des Bewusstseinsstrom, womit die Ouvertüre des Turms direkt wieder beginnt:


    >> - Und hörte die Uhren der Papierrepublik über die Meeresarme klingen tönen schlagen, Gelehrteninsel: Schneckenkegel, der zum Himmel wuchs, Helix, auf den Tisch gezeichnet in Auerbachs Keller, Wohnungen verbunden durch Stiegen, Häuser verschraubt mit Treppen, Gehörgänge auf Reißbrettern entworfen, Spinnweben, die Brücken. << (Seite 9) Eine skizzenhafte Zusammenfassung von Menos Aufzeichnungen über das ganze Buch.


    Es folgen viele weitere Sprachvarianten und Prosaarten, immer wieder werden diese Besonderheiten im Buch erscheinen. Eben solche Aufzeichnungen von Meno, auch dessen Tagebuch, die Briefform und Bewusstseinsströme von verschiedenen Figuren, und das alles zusammen erzeugt eine ganz eigenartige Atmosphäre.


    Aufgrund des „Eisvogels“ hatte ich mir dieses Buch bereits im Juni vorbestellt und wartete sehnsüchtig auf den zweiten Roman von Tellkamp.
    Im ersten Drittel des Buches war ich begeistert von dieser Sprachfülle, dieses experimentelle Schreiben fand ich aufregend und hochinteressant.
    Und ganz ehrlich während des Mittelteils hätte ich am liebsten das Buch an die Wand geklatscht! Bei mir war absolut die Puste raus.
    Da ich aber mittlerweile davon überzeugt war, dass Tellkamp den Deutschen Buchpreis 2008 gewinnen würde, gab ich nicht auf. Und so bin ich am Ende doch belohnt worden, vielleicht hatte ich mich an diese Sprachkapriolen gewöhnt, auf jedem Fall ist mir mit diesem Buch ein wichtiger Teil unserer Geschichte hautnah erzählt worden.


    Ich habe „Profi“- Rezensionen gelesen, in denen „Der Turm“ mit den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann verglichen wurde, dem möchte ich wieder einmal widersprechen. Denn durch diese enormen Sprachvarianten im „Turm“ bleiben die Figuren ziemlich leblos. Tiefe emotionale Gefühle, welche ich bei den „Buddenbrooks“ sehr wohl empfand, werden durch die kühle und distanzierte Art im Turm nicht transportiert.


    Eine Empfehlung für all jene Leser, die recht viel Zeit und Muße besitzen, und sich durch dieses Mammutwerk, welches ein Feuerwerk von sprachlichen Besonderheiten ist, durchbeißen möchten.

  • Ein tolles Buch. Ich bin zwar erst 300 Seiten weit, ich habe also noch einiges vor mir, doch den "Rest" werde ich bestimmt mit gleicher Begeisterung lesen. :flower:

    Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beissen. Das ist der Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
    Zitat: Mark Twain

  • Buchkrümel: Vielen Dank für die umfangreiche Rezi - ich habe schon zahlreiche Meinungen zu dem buch gehört und gelesen und möchte mir gerne ein eigenes Urteil bilden, aber nach Verleihung des Buchpreises haben sich alle auf das Buch in der Bibo gestürzt und ich bin nun auf Platz 84. in der Vorbestellliste - es kann also noch eine Weile dauern :-? .

  • Ich hatte vorgestern das Glück, das Buch in unserer kleinen, bescheidenen städtischen Bibliothek zu entdecken.
    Natürlich habe ich gleich zugegriffen und schon ein bisschen reingelesen.
    Was ich sehr angenehm finde, ist die Sprache, in der Tellkamp schreibt, sehr phantasievoll, bildhaft, witzig.
    Man mag nicht aufhören zu lesen.
    Auch ist man als "Wessi" an der Situation der Menschen in den letzten Jahren der DDR interessiert und ich freue mich darauf,
    in diesem Buch ein bisschen mehr darüber zu erfahren.

  • Nach 976 gelesenen Seiten lege ich nun das Buch aus der Hand und ich fühle mich wahrlich wie nach einer Turmbesteigung. Ich war atemlos vom Lesen, habe mich durch einige Abschnitte gequält und zwischendurch immer wieder die Rückblicke genossen. Um es auf den Punkt zu bringen, dieses Buch zu lesen bedurfte schon einiger Anstrengung, besonders bei den experimentellen Passagen. An sich gefiel mir der Stil Tellkamps sehr gut. Die verschiedenen Spielarten des Sprachgebrauchs, die Wortgewalt, die Sprachgewandtheit und der immer wieder hervor blitzende Witz, das Überzeichnen bis ins Groteske beeindruckten mich. Diese Bandbreite der Sprache und dann die Verbindung von Dialogen, Beschreibungen, Briefen und Tagebüchern in anderen Romanen vorgefunden zu haben, kann ich mich im Moment gar nicht erinnern. Jedes Kapitel las sich anders, manche lasen sich leicht und flüssig, andere waren eine Herausforderung. Manche Stellen mussten förmlich erarbeitet werden und nicht immer war mir danach klar, was der Autor damit nun wirklich zum Ausdruck bringen wollte. Dann gab es wieder Stellen voller Poesie, die so gar nicht zum zuvor genannten K(r)ampf-Lesen passten, die einfach nur schön waren. Eigentlich passte jedes Wort, auch wenn manche im ersten Augenblick ungewohnt oder ungebräuchlich waren. Bemerkenswert fand ich auch, dass Tellkamp es bis zum Ende hin durchhielt jeder Person seinen eigenen Sprachstil zuzugestehen.


    Erinnerungen wurden wach und das „Weißt du noch…?“ stand ab und an im Raum. Bei einigen der Protagonisten drängten sich Parallelen zu real existierenden Persönlichkeiten förmlich auf. Tellkamp sprach viele kleine Alltagsdinge an, die mich auch schon mal schmunzeln ließen, ob das nun die Mintkissen, mein geliebter grüner Parka aus Jugendtagen oder der Minolpirol war. Stellenweise gab es jedoch eine richtige Flut solcher Dinge, weniger wäre in dem Fall nicht weniger authentisch gewesen.


    Die Protagonisten wurden vom Autor gut gewählt und ebenso gut in Szene gesetzt. Allerdings fehlte ihnen häufig das, was den Menschen letztlich ausmacht, das Gefühl. Oft erschienen sie mir in Situationen, die Gefühl forderten, blutleer und kalt. Ein ausführlicheres Personenverzeichnis wäre wünschenswert gewesen.


    Gefallen hat mir die Aufmachung des Buches mit der Karte auf den Buchinnenseite. Dort wurden die wichtigsten Handlungsorte in die Dresdner Umgebung gebracht, eine DDR im Kleinformat.


    Mein Fazit:„Der Turm“ ist ein für mich einzigartiger Roman. Selten musste (wollte) ich mich durch ein Buch so hindurch arbeiten und empfand dabei noch Freude. Es ist ein monumentales Werk, ein Epos, mit ein paar kleinen Schwächen. Ich hoffe auf einen zweiten Teil, Tellkamp bezeichnet ihn als Wenderoman, endet aber genau 1989. Ich wäre neugierig, wie die Türmer die neue gesellschaftliche Situation erleben. Da geht doch noch was, Herr Tellkamp, oder?


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Ich habe vor zehn Tage zu diesem Buch gegriffen und "erahne" sozusagen schon, was Du hier so wunderbar beschreibst, Karthause. Ich muss ebenso sagen, dass es schon ein antrengendes Lesen ist, und ich in letzter Zeit solche Wälzer nicht gewohnt bin, vor allem aber nicht in dieser Sprachqualität, die ihresgleichen sucht. Aber Du gibst mir Mut zum Durchhalten! Auch ich erkenne einiges wieder, vom Leben in und mit meiner Verwandtschaft in der ehemaligen DDR!

  • "Der Turm " liegt bei mir noch auf dem SUB -aber ab Pfingsten lese ich den Roman -und zwar in einer Leserunde.Ich bin schon sehr gespannt auf dieses Buch, weiß aber auch, dass es keine leichte Lektüre sein wird. :wink:



    @Karthause:
    bei meinem Exemplar liegt eine Faltkarte bei, wo die Personen aufgeführt sind und auch, zu welchem Haus sie gehören.
    Hat das bei dir gefehlt?


    :winken:

  • bei meinem Exemplar liegt eine Faltkarte bei, wo die Personen aufgeführt sind und auch, zu welchem Haus sie gehören.
    Hat das bei dir gefehlt?


    So eine Faltkarte liegt meinem Buch auch bei.
    Das ist ganz praktisch, die kann man auch super als Lesezeichen benutzen.


    Karthause, vielen Dank für deine Rezi. Das Buch liegt schon eine Weile auf meinem SuB. Ich bin schon gespannt darauf und werde es auf jeden Fall lesen, sobald es bei mir wieder etwas ruhiger zugeht. Denn ich kann mir gut vorstellen, dass man dazu Zeit und Ruhe benötigt.

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • @Karthause:
    bei meinem Exemplar liegt eine Faltkarte bei, wo die Personen aufgeführt sind und auch, zu welchem Haus sie gehören.
    Hat das bei dir gefehlt?


    :winken:

    Diese Faltkarte liegt auch in meinem Buch, aber es ist wirklich nur eine kleinere Auswahl der Personen drauf. Ich hätte gern gern ein umfassenderes gehabt. Vielleicht hat mich manchmal die Unkonzentriertheit eingeholt, aber bei einigen konnte ich mir länger nicht merken, wo sie hingehörten. Das waren eher die Personen, in der 2. und 3. Reihe standen. Die Protagonisten (die auf dem Kärtchen) hatte ich recht schnell drauf.


    Ich wünsche euch allen viel Spaß, Zeit, Muße und Durchhaltevermögen bei eurer Turmbesteigung. :wink:

  • Zunächst mal danke ich Buchkrümel, durch die ich auf dieses Buch aufmerksam wurde und auch Karthauses intensivem Beitrag. Nach „Der Eisvogel“ hatte ich eh schon ein positives Vorurteil gegenüber Tellkamp und war gespannt, was er uns denn hier bieten würde.


    Nun ist schon einiges gesagt worden. Das Buch spielt ab Herbst 1982 (Tod Breschnjews als sichtbares Weltereignis) bis zum Fall der Mauer, im November 1989... in einem mehr oder weniger imaginären Viertel Dresdens. Hauptakteure entstammen eher einer scheinbar privilegierten Schicht der damaligen DDR: Ärzte, Lektoren, ... Kultur steht hoch oben, ob in Musik, Literatur, Innenausstattung etc. Ich fragte mich, in wieweit Tellkamp als geborener Dresdener mit der Beschreibung der Nöte auch dieser Schicht die Frage von den Privilegien dieser Leute vom Tisch wischt? Denn ausgeschlossen von den Bedrängungen des Systems ist hier kaum einer: sei es der Kontrolle ausübende und erfahrene Lektor Meno, sei es der in Doppelehe lebende und dadurch erpresste Chirurg Hoffmann oder sein Sohn Christian, der das Schulsystem durchläuft, selbst wenn sie wie in einer Gegenreaktion sich bergen in diesem „Turm“, in verschiednsten musischen Gaben etwas anderes ausleben, was wie eine Zuflucht erscheint, eine Parallelwelt.
    Unmöglich die 960 meist eher dialogarmen, mehr beschreibenden, also sehr raumgenutzten Seiten und ihren Inhalt zusammenzufassen, aber wie Tellkamp hier das System auseinandernimmt zeigt, wie er es halt erlebt haben muss – selber aus Dresden stammend, einer solchen Bildungsschicht angehörend, lernender Arzt, ehemaliger Soldat - und zeugt sicherlich von einer Authentizität. Er widmet im Übrigen das Buch Menschen mit Vornamen, die im Buch auftauchen! Sein eigener Familienname erscheint ebenfalls, etwas beiläufig, in der Gestalt eines Assistenzarztes.
    Den angedeuteten drei Hauptpersonen und den dazu gehörigen Erzählsträngen sind jeweils - vor allem anfangs? - ihnen eigene Stile und Rhythmen zugeordnet: von einer relativ flüssig lesbaren Schreibe in den Partien über Christian bis hin zu teils Atem raubenden Beschreibungspassagen größter Präzision. In den letzteren Passagen aber geht Tellkamp manchmal fast zu weit: Wem kann man solche Dichte, solche Reihungen und Wortkaskaden zumuten? Wie hier einige schon andeuteten wird Lesen hier oft zur Schwerstarbeit und ich kann mir nicht – bei aller Bewunderung – verkneifen zu fragen, ob man so nur durch Zuhilfenahme eines Computers schreiben kann? (Ich bitte den Autor um Entschuldigung...)
    Aber man liest sich ein, und wenn man auch manchmal etwas über diese Stolpersteine lesen muss, so kann man nicht umhin, diese Sprachen und diese Stile (hier kann man im Plural reden) in ihrer Vielfalt und Experimentierfreudigkeit sehr hoch einzuschätzen. Das ist also Qualitätsarbeit sondergleichen, und ich habe kaum etwas Vergleichbares in meinem Leben gelesen. Allerdings bedeutet dies noch nicht immer „Schönheit“, was aber angesichts des Themas auch nicht die erste Priorität zu sein braucht.


    Ich kann mich nicht ganz dem Urteil von Buchkrümel anschließen, dass die Figuren so distanziert beschrieben sind, dass man keine Emotionen verspüren könne. Ja, ich denke schon, dass manchmal eine beschreibende Kühle da ist. Diese aber passt meines Erachtens recht gut zu einer gewissen Atmosphäre des Beschriebenen! Auch wird so manchem Betroffenen jener Zeit bei jenen „distanzierenden“ Beschreibungen die Erinnerungen hochgekommen sein an Beklemmung etc. Ich verspürte teils eine grosse Nähe zu den Zwickmühlen der Hauptpersonen. Mag allerdings sein, dass wir – zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer oder als ehemalige Westdeutsche – nicht mehr jene Assoziationen wachrufen können, die manchem aus der DDR sehr nahe gehen könnten. Als regelmäßiger Besucher der DDR fühlte ich mich stark betroffen.


    Was mir persönlich gefallen hätte wären noch ein paar Seiten mehr (sic!) zum Jahre 1989 selbst. Das bleibt doch sehr geheimnisvoll, was da abgelaufen ist! Da war ja nicht nur ein System bankrott gegangen oder ist verwest, sondern da war ja auch – das deutet Tellkamp in der Person von Anne Hoffmann oder Pfarrer Magenstock an – eine absolut positive Widerstandsleistung der Bevölkerung.


    Bewundernswert, von mir noch nie gesehen: Einen solchen Roman mit einem Doppelpunkt als Satzzeichen enden zu lassen! Was wiederum die Hoffnung stärkt, dass es sich – wie ich nun im Wikipediaartikel bestätigt fand – um einen ersten Band handelt.


    Zu diesem ausufernden Roman gäbe es noch viel zu sagen, doch irgendwann muss ja mal Schluss sein.


    Von mir also ein: Bravo!!!


    Im sehr ausführlichen Wikipediaartikel findet man noch viele interessante Informationen: http://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Tellkamp


    Auch den Link zur Leserunde in der Leselust habe ich gerne angeklickt, wenn es erlaubt ist, mal eine andere Seite zu nennen: http://forum.die-leselust.de/viewtopic.php?f=7&t=428&start=0 Ich hatte allerdings den Eindruck, dass „unser“ Ralf da gut bei der Sache war, oder?


  • Ich kann mich nicht ganz dem Urteil von Buchkrümel anschließen, dass die Figuren so distanziert beschrieben sind, dass man keine Emotionen verspüren könne.


    Lieber Tom,
    das bezog sich in erster Linie zum Vergleich auf die "Buddenbrooks". (Ich weiß nicht, warum man meine Beiträge oft aus den Kontext herauszieht.) Es gab allerdings schon einen großen Unterschied zwischen Wessis und Ossis (liebvoll gemeint). Die emotionale Zurückgezogenheit, also dieses offene Zugehen auf "Fremde", war in diesem System unüblich, die Stasi konnte überall sein. Und das liest man sehrwohl heraus, gekoppelt mit den Sprachspielen und Menos Aufzeichnungen, und auch Christians Mutter blieb ziemlich unnahbar bei mir hängen. Also die emotionale Nähe war schon arg eingeschränkt.
    Man kann eben kein Werk, wie in diesem Vergleich, nur auf ein Augenmerk hin deuten. Da gäbe es haufenweise Bücher, die dieses Thema "Untergang einer Familie" verarbeiten. Dieser Vergleich schien mir einfach zu oberflächlich und wird diesem Werk auch nicht gerecht, denn sprachlich steht es viel näher dem Zauberberg und auch diese Parallelwelt im Zauberberg zum Turm würde mir wesentlich besser gefallen. Auch entsprechen die Figuren im Zauberberg einem Zeitzeugnis, und sind bewusst erstellt worden, das habe ich im "Turm" auch so empfunden, dass die Figuren etwas zu vermitteln hatten, und alleine dadurch schon etwas künstlicher wirken.
    Ich hoffe, du verstehst was ich meine :wink: Denn es ist kein negativer Einwurf, die Gefühlskälte, sondern eher, dass ich das Gesamtwerk als Kunstwerk betrachte.

  • Gestern las ich, dass Nico Hofmann, Mitbegründer der Produktionsfirma teamWorx, die Film- und Fernsehrechte für „Der Turm“ erworben hat. Er verfilmte auch schon "Nicht alle waren Mörder". Zur Zeit arbeitet er an der filmischen Umsetzung von Julia Francks "Mittagsfrau".

  • in einem mehr oder weniger imaginären Viertel Dresdens


    Was heißt mehr oder weniger imaginär? Dieses Viertel ist ganz eindeutig zu identifizieren: der Weiße Hirsch! Die ein oder andere kleine Pension in diesem Viertel bietet sogar ein "Turm-Wochenende" an, mit signiertem Buch auf dem Nachttischchen und so. Nach dem Lesen des Buches habe ich mich auch für 2 Tage Dresden entschieden und habe mir auch den Weißen Hirsch angeschaut. Wenn's mir gelingt, hänge ich ein Foto an.

  • janerle


    Das enge Umfeld ist der Weiße Hirsch, ohne Zweifel. Aber wenn du dir den im Buch skizzierten Plan anschaust, wird alles was über den Weißen Hirsch hinausgeht imaginär, d.h. die ehem. DDR wurde auch kleinsten Raum wiedergeben.

  • Nu, ich habe den "Weissen Hirsch" schon wiedererkannt, habe dort Verwandte wohnen (aus eben jenem Milieu...) und war mehrmals in Dresden. Doch wie Karthause schon sagte, geht das Buch wohl darüber hinaus...

  • janerle


    Das enge Umfeld ist der Weiße Hirsch, ohne Zweifel. Aber wenn du dir den im Buch skizzierten Plan anschaust, wird alles was über den Weißen Hirsch hinausgeht imaginär, d.h. die ehem. DDR wurde auch kleinsten Raum wiedergeben.


    Ich habe die Büchergilde-Ausgabe gelesen und finde dort keinen skizzierten Plan, nur auf dem Vorsatz jeweils die Bewohner des Turms.


    Natürlich ist die Handlung nicht auf diesen kleinen Dresdner Stadtteil begrenzt, das meinte ich nicht. Aber dieser Ort ist eben nicht einfach nur ausgedacht.
    Auch andere Handlungsorte finde ich spannend, z.B. Ostrom, dieser bewachte Bezirk, in dem die Bonzen wohnen, und wo die Bürokratie gelebt wird. Vielleicht meint Ihr das mit der DDR auf kleinstem Raum? Danach habe ich mich auch umgeschaut, obwohl dieser Teil sicher sehr fiktiv von Tellkamp gestaltet wurde. Aber es gibt in Dresden eine Ostra-Allee und die weist wohl auf das frühere Bauerndorf Ostra hin. Vielleicht hat Tellkamp sich dafür zumindest am Namen bedient. Auf der anderen Seite hat er hier sicher auch die Gegensätze Ostrom - Westrom (die Türmer) darstellen wollen. Also, ein riesen Konvolut an Hin- und Verweisen, die man sicher beim ersten Lesen gar nicht alle erfassen kann.

    "Was immer geschieht: Nie dürft Ihr so tief sinken,
    von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken!"
    (Erich Kästner)

  • Ich habe die Büchergilde-Ausgabe gelesen und finde dort keinen skizzierten Plan, nur auf dem Vorsatz jeweils die Bewohner des Turms.

    Sorry, ich bin von meiner Ausgabe vom Suhrkamp-Verlag ausgegangen.

  • Sorry, ich bin von meiner Ausgabe vom Suhrkamp-Verlag ausgegangen.


    Kein Problem, bin ja dankbar für den Hinweis, mit welchem Zusatzmaterial die andere Ausgabe ausgestattet ist, und an was die Büchergilde gespart hat. Nein, im Ernst, ich werde mir bei Gelegenheit mal eine Kopie von dieser Skizze machen, wenn ich jemanden mit der Original-Ausgabe finde.


    Gibt's den hier eigentlich Original-Dresdner, die das Buch auch schon gelesen haben? Deren Meinung würde mich auch mal interessieren.

    "Was immer geschieht: Nie dürft Ihr so tief sinken,
    von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken!"
    (Erich Kästner)