Hanns-Josef Ortheil - Die geheimen Stunden der Nacht

  • Autor:
    Ortheil wurde 1951 in Köln geboren und lebt jetzt in Stuttgart. Sein Werk ist mit vielen Preise ausgezeichnet worden, zuletzt erhielt er den Brandenburger Literaturpreis und den Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck. Er lehr als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim.


    Worum geht es?
    Der Verleger und Konzernchef Reinhard von Heuken erleidet einen Herzinfarkt. Es ist absehbar, dass er die Konzernleitung abgeben muss, seine drei Kinder Georg, Christoph und Ursula sollen laut Testament die Nachfolge in der Konzernleitung unter sich ausmachen. Georg begibt sich auf die Suche nach den Spuren seines Vaters, der auf der Intensivstation in einem Krankenhaus liegt. Er findet Hinweise und Beweise für ein Zweitleben des Vaters, einem Vater dem er erst in der Krankheit ganz nahe zu kommen scheint.


    Meine Meinung:
    Der Klappentext bezeichnet dieses Buch als einen „Gesellschaftsroman von enormer Dichte“. Da man über Begriffe und Bewertungen trefflich streiten kann, so muss man eine solche Bewertung tolerieren, sich ihr anschließen muss man nicht.
    Würde man die „enorme Dichte“ akzeptieren, so würde sie auf Kosten einer inhaltlichen Tiefe gegangen sein. Einige der Protagonisten wirken etwas künstlich und ihnen fehlt zudem die individuelle Persönlichkeit. Sie sind Namen, nicht viel mehr.
    Trotzdem ist Ortheil ein gut zu lesender Roman gelungen, und während des Lesens und auch im Nachhinein hat man nicht das Gefühl, Zeit verschwendet zu haben. Ortheil erzählt fließend, manchmal ein wenig zu sehr fließend – man vermisst so einige Ecken und Kanten, die dem Buch sicher sehr gut getan hätten. Der Schluss des Buches wirkt ein wenig hastig aufs Papier gebracht – vielleicht wurde er ja zum Essen gerufen oder musste den Mülleimer runtertragen – hier hätte ein wenig mehr Sorgfalt und Intensität sicher nicht geschadet. Ein lesenswerter Roman, der in die Kategorie des anspruchsvollen Unterhaltungsroman eingeordnet werden kann.

  • Eine interessante Entwicklungsstudie!


    Georg von Heuken ist schon über die Fünfzig hinaus als sein Vater einen zweiten Herzinfarkt erleidet und er das Zepter der Firma übernimmt. Dabei handelt es sich um einen großen Verlag, bei der Recherche entdeckt man dann, dass der Autor einigen Einblick in den Kröner-Verlag hat, und somit bestens über das Verlagswesen informiert ist, welches dem Leser auch sehr authentisch erscheint.


    >>Von kleinauf vor dem Fernseher, immer diesen fiesen, unerwarteten Boshaftigkeiten und Schocks ausgesetzt, das macht wachsam, ängstlich und hellhörig, so daß sie sich selbst nicht mehr vertrauen.<<


    Als erstes muss Georg das Erscheinen des wichtigsten Roman im kommenden Frühjahr retten. Dieser Autor ist ein recht komplizierter und von sich extrem eingenommener Fall, auch der Laie erkennt direkt „Martin Walser“. Doch irgendwie gelingt es dem neuen Juniorchef, der sich zwar erst bewähren und auch gegen seinen Bruder durchsetzen muss, eine Leichtigkeit an den Tag zu bringen, dass er den Autor umgarnt, seinen Roman erobert und zahlreiche neue Ideen in den Verlag einbringt. Er geht neue Wege, lässt sich auf eine Frau ein und übernimmt das geheime Nachtleben seines Vater …


    Und diese Beflügelung – die Befreiung aus der großen Vatergestalt heraus seine eigene Kreativität zu finden, finde ich anschaulich transportiert. Das macht den Roman aus, macht ihn unterhaltsam und er liest sich recht flott. Ob Ortheil tratscht und aus dem Nähkästchen plaudert, was so mancher Rezensent ihm unterstellt, vermag ich nicht zu beurteilen.


    Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Brandenburger Literaturpreis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Georg-K.-Glaser Preis, dem Koblenzer Literaturpreis, dem Nicolas Born-Preis und jüngst dem Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.