Carlos María Domínguez - Das Papierhaus/La casa de papel

  • Inhalt:


    Klappentext:


    Die Literaturdozentin Bluma Lennon kauft in London eine Ausgabe der Gedichte von Emily Dickinson und wird bereits an der nächsten Straßenecke, lesend, von einem Auto überfahren.
    Der Erzähler erhält wenige Tage nach ihrer Beerdigung ein an Bluma adressiertes Exemplar von Joseph Conrads Roman »Schattenlinie«. Die Blattränder der Ausgabe sind voller Zementpartikel. Es gibt kein Schreiben, das die Herkunft des Buches oder den Zweck der Sendung erklärt, nur eine Widmung im Innenteil von Bluma für einen gewissen Carlos. Der Erzähler forscht in Blumas Unterlagen und stößt bald auf den
    Namen Carlos Brauer.


    ACHTUNG: Ab hier ist die Textangabe ein Spoiler. Wer sich nicht den Ausgang der Rahmenhandlung zerstören möchte, sollte ab hier nicht weiterlesen.



    Meine Meinung:


    Der Anfang hat mich sehr begeistert, obwohl die Gegenüberstellung von Opfern und Gewinnern der Leselust davon ablenkte, das ich eine Erzählung in der Hand hatte. Kurzzeitig dachte ich, es handelt sich um die Aneinanderreihung von verschiedenen glücklichen oder unglücklichen Schicksalen.


    Es gibt einen Satz, der mich so richtig "Packte" und zum Weiterlesen begeisterte:



    Bis zum Schluss hatte ich das Gefühl, dass die Rahmenhandlung nur dazu gebastelt worden war, um verschiedene Momentaufnahmen aus der fantastsischen Welt der Bücher mit einander zu verknüpfen. Eine Methode, die ich für durchaus statthaft halte, aber wenn sie angewendet wird, dann doch bitte auch so, dass die Geschichte selbst ein Gewicht hat. Das hat mir gefehlt...


    96 Seiten sind einfach zu kurz, um eine Erzählung rund zu machen und dazu noch philosophische Betrachtungen einzubringen. Der Erzähler hat nicht einmal einen Namen zugewiesen bekommen, natürlich wird er irgendwie lebendig (hervorstechendste Eigenschaft ist seine Neugierde), aber so ganz verstanden habe ich ihn bis zum Schluss nicht.



    Die Stellen über unterschiedliches Leseverhalten und die Auseinandersetzung darüber miteinander gefielen mir gut, hatte das meiste aber bereits in anderem Zusammenhang gelesen. Wem es gefällt, sei "Eine Geschichte des Lesens" von Alberto Manguel empfohlen. Das Buch bietet wesentlich mehr Informationen zum Thema und ist wie ein Roman wegzulesen (da ich noch nicht alle Kapitel kenne, habe ich bisher auf eine abschließende Rezension hier verzichtet; sie folgt noch).


    Eine Stelle über den Wahn, den die Sammelleidenschaft im Verhalten des Sammlers auslösen kann, möchte ich hier zitieren:


    Zitat

    Irgendwann hatte er so viele Bücher - über zwanzigtausend, glaube ich, dass er die Bücherregale in seinem keineswegs kleinen Wohnzimmer quer stellen musst wie in einer öffentlichen Bücherei. Sogar im Bad standen an allen Wänden Bücher, und sie sind ihm nur deshalb erhalten geblieben, weil er kein warmes Wasser mehr laufen ließ, um den Dampf zu vermeiden. Er duschte kalt, im Sommer wie im Winter.


    Außerdem fehlte mir ein Hinweis auf den Inhalt "Der Schattenlinie" von Joseph Conrad. Gerade zum Schluss wird auf den Inhalt dieses Klassikers Bezug genommen. Es wäre schön gewesen, wenn der Verlag irgendeinen Vermerk eingebaut hätte...


    Fazit: Eine schnelle Lektüre für einen gemütlichen Lesetag, um sich abzulenken. Aber es ist ein Buch, das man schnell vergisst. Selbst 7,-€ für die Taschenbuchausgabe sind zuviel. Mir hätte es genügt, es aus der Bibliothek auszuleihen.

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

    Einmal editiert, zuletzt von Fezzig ()

  • Ich habe dieses Buch auch in einem Rutsch ausgelesen - keine Schwierigkeiten bei nur 96 Seiten die sich sehr flüssig lesen.
    Ganz toll fand ich die Aufmachung des Buches. Auch im TB ist vorne eine herausklappbare Landkarte, darstellend Südamerika, auf pergament-ähnlichem Papier.


    Gut gefallen haben mir die Schilderungen und Beschreibungen der Lesetypen und Lesemacken. Wie man Ordnung in seine Büchermassen bekommt, wie man noch mehr Platz schaffen kann und dass man einfach nicht "nein" sagen kann, wenn sich ein Buch anbietet. Dass man Bücher "besitzen" muss.
    Ich erkannte mich an vielen Stellen wieder, z.B.


    Zitat


    Wir Leser spionieren die Bücherschränke unserer Freunde aus und sei es zur Ablenkung. Weil wir ein Buch entdecken könnten, das wir lesen wollen und nicht besitzen, oder weil wir einfach wissen wollen, was ein Tier, das wir vor der Nase haben, in sich hineingefressen hat.


    Mit der Rahmenhandlung kam ich auch weniger gut zurecht. Was der Unfalltod der Bluna Lennon mit diesem Buch "Die Schattenlinie" von Joseph Conrad zu tun hat blieb für mich offen. Die Rahmenhandlung wirkte sehr konstruiert und es hätte mir besser gefallen, wäre darauf verzichtet worden und hätte man sich schlicht und einfach auf das Leben der Leser konzentriert.


    Auf jeden Fall aber macht das Buch Lust aufs Lesen!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Zitat

    Original von Fezzig


    Fazit: Eine schnelle Lektüre für einen gemütlichen Lesetag, um sich abzulenken. Aber es ist ein Buch, das man schnell vergisst. Selbst 7,-€ für die Taschenbuchausgabe sind zuviel. Mir hätte es genügt, es aus der Bibliothek auszuleihen.


    Dies ist bei mir auch hängengeblieben. Einzig die Stellen, bei denen es um das Lesen und die Leser selbst ging, fand ich sehr interessant. Da habe ich mich wiedergefunden. Aber bei der Rahmenhandlung blieben mir auch zu viele offene Fragen.


    Das Buch ist zwar wirklich schön aufgemacht und macht auch Lust auf's Lesen, aber die ganze Sache war nicht rund, nicht in sich geschlossen. Da hatte ich nach der Empfehlung von Elke Heidenreich etwas mehr erwartet. :(

  • Ohne Punkt und Komma stolpert Domínguez in seine Erzählung hinein, der Leser steht direkt mittendrin. Es werden auf der einen Seite viele Macken von uns Leseratten dargestellt, und irgendwo findet man sich selber. Die andere Seite ist dann das Handlungsgerüst, welches einiges zu wünschen übrig lässt. Ich habe schon einige Erzählungen gelesen, und habe dabei des Öfteren festgestellt, dass nicht immer in der Kürze die Würze liegt, manchmal braucht eine Handlung etwas mehr Spielraum. Der Schluss gibt dann dennoch einige Gedankengänge frei, so dass es im Großen und Ganzen lesenswert ist.

  • Zitat

    Original von Rosalita


    Ganz toll fand ich die Aufmachung des Buches. Auch im TB ist vorne eine herausklappbare Landkarte, darstellend Südamerika, auf pergament-ähnlichem Papier.


    Das war der Grund warum ich dieses Buch, ohne jemals davon gehört zu haben, auf der Stelle gekauft habe. Ich wollte diese Mühe belohnen und nachdem was ich hier gelesen habe, scheint es kein Fehlgriff zu sein.
    Noch etwas werde ich die Vorfreude steigern, aber lange wird es nicht in meinem Sub verweilen.

  • Positiv bemerkenswert find ich diese halbwegs durchsichtige Karte vorne im Buch, das sieht einfach total schön aus, wirklich schönes Detail! Wurde ja aber auch schon erwähnt ;)


    Das Buch an sich, na ja, das betrachte ich zwiespältig:
    Einerseits kenne ich die meisten der genannten Autoren nicht, was zum einen das Verstehen des Kontextes erschwert, und mir zum anderen das Gefühl gibt, dass ich völlig doof bin, aber ok, vielleicht stimmt das ja auch *lach*
    Andererseits fand ich zwar die Gesamtstory an sich recht kurz, undifferenziert und, na ja, etwas langweilig (habe einfach gedacht, da passiert viel mehr in dem Büchlein), aber die Idee mit dem Papierhaus an sich fand ich genial! Manche Bücher bringen einen selbst echt auf tolle Ideen, da sie selbst neue enthalten, wie dieses hier :) von daher freue ich mich schon, dass ich es gelesen habe :)

  • Mir hat das Buch rundherum gut gefallen. Natürlich kann man auf 96 Seiten keine große Geschichte entfalten, aber das weiß man als Leser, wenn man ein dünnes Buch zur Hand nimmt.


    Die Idee des Papierhauses fand ich grandios - mich begeistern in Büchern originelle Ideen, die total anders sind und auf die bis dahin noch niemand gekommen ist.
    Auch die verschiedenen Formen der Bücherleidenschaft, die speziellen Spleens von Lesern und Büchersammlern, die Raffgier und das Besitzen um des Besitzens Willen fand ich gut beschrieben.


    Leider konnte ich über "Die Schattenlinie" von Joseph Conrad nicht viel herausbekommen, und es wäre ein netter Zug vom Verlag gewesen, einen kurzen Abriss darüber ins Buch zu heften. Der Autor wird ja dieses Buch nicht ohne Grund gewählt haben, und den hätte ich gern herausgefunden.


    Bisher hatte ich Angst, dass meine Nachkommen eines Tages meine gesammelten Schätze bei Ebay verramschen könnten. Aber dieses Buch hat mich auf die Idee gebracht


    (Nochmal danke an Pandämonium für das tolle Schnäppchen.)


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich kann mich Marie nur anschließen.


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Schnell zu lesen aufgrund der Seitenzahl, aber auf diesen wenigen Seiten wird die Liebe zum Buch und zur Literatur sehr klar dargestellt.
    Vielleicht hätte man auch einen 300 Seiten Roman daraus machen können, aber ob dann die Leichtigkeit erhalten bliebe, ist zu bezweifeln.
    Die Idee des Hauses aus Büchern fand ich auch sehr gelungen.


    Jedem Bücherfreund sei dieses Buch ans Herz gelegen, es eignet sich wunderbar für einen faulen Nachmittag auf der Couch inmitten der eigenen Bücher.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: Sterne von mir für diesen kurzweiligen Lesegenuss.

    "Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont."
    Konrad Adenauer


    :study: Ashley Audrain - Der Verdacht











  • Dankeschön Coco fürs Ausgraben und dankeschön für eure Rezensionen! :thumright:


    Ich geistere seit bestimmt zwei Jahren um dieses Buch, habe es nie auf meine Wunschliste gesetzt und doch treffe ich immer wieder auf es. Doch nie habe ich es gekauft.


    Und heute werde ich wieder drauf gestoßen und lese zum ersten Mal die Rezensionen zu diesem Buch, der Thread ist mir im Januar 2008 gar nicht aufgefallen, als Marie rezensiert hat. ](*,)


    Aber egal, ich bin sicher, mir wird es gefallen und wenn es nur um des Besitzens Willen geht.


    LG Tanni

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Ich hatte gerade den ersten Satz gelesen, als ich laut loslachen musste. Was für ein Beginn für ein Buch!!! Zum besseren Verständnis:
    'Im Frühjahr 1998 kaufte Bluma Lennon in einer Buchhandlung von Soho eine alte Ausgabe der Gedichte von Emiliy Dickinson und wurde an der ersten Straßenecke, als sie gerade beim zweiten Gedicht angelangt war, von einem Auto überfahren.'
    Welch ein Tod für Bücherwürmer ;-) Doch nicht jedes Buch führt zu solch radikalen Konsequenzen, aber in doch vielen Fällen zu durchaus markanten Einschnitten im Leben der Lesenden. Davon handelt diese Erzählung: welchen Einfluss Bücher haben, wie sie nach und nach das Leben eines Menschen in Besitz nehmen können bis kaum noch etwas anderes Raum einnimmt. Wie es auf unerklärliche Weise immer mehr werden, jedes Regal zu klein wird und über kurz oder lang keine freie Wand mehr vorhanden ist.
    Das Ganze ist verpackt in eine stimmungsvolle, poetisch erzählte Geschichte über die Suche nach der Herkunft eines Buches, die nach Uruguay führt und in deren Verlauf man Personen kennenlernt, deren Bücherverrücktheit kaum Grenzen zu kennen scheint. Für die weniger Bücherbesessenen mag dies eher phantastisch klingen, alle anderen aber werden diese Erzählung vermutlich realistischer sehen und wahrscheinlich gewisse Ähnlichkeiten mit der eigenen Person feststellen. Mir ist es zumindest so ergangen ;-)

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Es ist das Frühjahr 1998. Die englische Literaturdozentin Blume Lennon kauft im Antiquariat in Soho eine alter Ausgabe der Gedichte von Emily Dickinson und wird kurze Zeit später in diesem Buch lesend von einem Auto angefahren und getötet. Ihr Vertreter an der Universität Cambridge, identisch mit dem Ich-Erzähler, erhält einige Zeit später eine an Blume Lennon adressierte Buchsendung aus Uruguay mit einen zerlesenen Exemplar von Joseph Conrads 'Schattenlinie". Das Buch ist voller Zement- und Betonreste. Es enthält eine längere Widmung für einen gewissen Carlos, den Blume Lennon auf einer Literaturtagung in Monterrey getroffen und mit dem sie eine kurze, aber heftige Affäre hatte.


    Der Ich-Erzähler, der sich Hoffnung auf die Nachfolge für Blume Uni-Stelle macht, ruht nicht, bis er in Lateinamerika dem Rätsel dieses Buches auf die Spur kommt.


    Wer 'Schatten des Windes" gerne gelesen hat, wird auch dieses kleine Erzählung des Argentiniers Carlos Maria Dominguez lieben.


    Es ist ein wunderbares Stück Prosa eines büchervernarrten Autors, das auch für den Leser ein Hochgenuss ist, der sich in der lateinamerikanischen und spanischen Literatur nicht auskennt.