Das war jetzt das vierte Buch von Sandor Márai, das ich gelesen habe, und drei davon drehten sich um sein zentrales Thema, die einzige, die große, die wahre, die immerwährende Liebe. "Glauben Sie daran ... dass die Liebe solche Macht über eine Seele gewinnen kann, dass man nie mehr jemand anderen zu lieben vermag?" (S. 130) lässt Márai seine Protagonistin fragen.
Von Amazon kopiert und ein bißchen umformuliert:
In Wandlungen einer Ehe, 1941 genau zwischen dem Vermächtnis der Eszter und Glut erschienen ... behauptet Márai eindrucksvoll seinen Platz unter den Großen der Literaturgeschichte. Der dreiteilige Roman erzählt eine klassische Dreiecksgeschichte: die zwischen Mann, Frau und Dienstmädchen.
Das Spezifische dieser Konstellation sind die gesellschaftlichen Grenzen, die zwischen den Protagonisten stehen, und die zeitgeschichtliche Einbettung: Denn der Roman ist unmittelbar vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs angesiedelt. Vor diesem Europa für immer verändernden Hintergrund variiert Márai hier seine großen Themen Liebe und Verrat auf kluge, reizvolle und spannende Weise und stellt in gewohnt fesselnder und dichter Sprache die große Frage nach der Existenz und Dauerhaftigkeit echter, tiefer Gefühle. Ein großes Buch über ein komplexes Beziehungsgeflecht in schwierigen Zeiten.
Das Buch besteht aus drei gleichlangen Kapiteln (je 150 Seiten), jeweils eins aus der Ich-Perspektive der Ehefrau Ilonka, des Ehemannes Peter und des Dienstmädchens Judit. Jeder der drei erzählt die Geschichte aus seiner Sicht und erzählt sie gleichzeitig weiter. Man erfährt als Leser das Geschehen also aus drei verschiedenen Perspektiven (was nicht langweilig wird!); obwohl jeder die Geschichte anders erlebt hat, kann man jedem der drei in seiner Sicht folgen. Interessant dabei ist, dass Márai den ersten und zweiten Teil in Budapest im Jahr 1941 herausbrachte (in Deutsch unter dem Titel "Der Richtige" 1948 veröffentlicht), den dritten Teil aber erst 1948 geschrieben hat. Er wurde erst 1980 in Ungarisch verlegt. Auf Deutsch kam er bereits 1949 als dritter Teil zu den beiden anderen unter dem jetzigen Gesamt-Titel "Wandlungen einer Ehe" heraus (laut editorischer Notiz im Buch).
Stilistisch hat Márai wieder zu dem bekannten Mittel gegriffen: Scheinbar im Dialog (in diesem Buch mit gesichtslosen Personen) schildern die Ich-Erzähler das Gewesene im Monolog.
Im ersten Teil hat Ilonka das Wort. Sie ist mit Peter verheiratet, das gemeinsame Kind stirbt, sie liebt ihren Mann, aber sie spürt, dass er sich innerlich von ihr entfernt. Ein zufälliger Fund bringt sie zu der Vermutung, dass es eine andere Frau in seinem Leben geben muss, und sie macht sich auf die Suche. Das, was sie entdeckt, ist ganz anders als sie es sich vorgestellt hat, aber es ist letztlich viel schlimmer für sie als wenn ihr Mann sie sexuell betrügen würde.
Im zweiten Teil erlebt man Peter als einen zerrissenen, aber konsequenten Mann, der nicht kopflos in ein Abenteuer stürzt, sondern auf der Suche nach DER Liebe ist, die sein Leben erst vollkommen macht. Er hadert mit sich, hinterfragt sein Tun, sein Gefühl und muss erleben, dass Liebe ebenso lebensspendend wie zerstörerisch ist.
Der dritte Teil, den Judit erzählt, hebt sich von den beiden anderen ab, sie verwendet eine einfachere Sprache und schildert Ereignisse. Sie lässt ihre Vergangenheit als Tochter armer Eltern auf dem Land auferstehen, sie beißt sich fest an dem, was sie als Bedienstete bei ihren reichen Arbeitsgebern empfand, und was es im letzten war, was sie zu Peter hinzog.
Das Wort "Dreiecksbeziehung", das sich in vielen Rezensionen findet, halte ich für irreführend, denn der Begriff beinhaltet m.E. ein Verhältnis eines Mannes / einer Frau mit zwei Partnern. Aber genau das geschieht nicht, im Gegenteil, Peter betont mehrmals, dass er für Menschen, die ihrem Partner untreu sind, Verachtung empfindet.
Vor allem im zweiten Kapitel wird deutlich, dass Liebe, wie Márai sie versteht, beherrschend ist, dass sie den Menschen ganz ergreift, dass sie Ursache und Grund jeden Schmerzes und jeder Verwundung ist. "Zu aller Zeit ... wurden die Liebenden deshalb verehrt: weil sie im Augenblick, da sie einander in die Arme sinken, auf den Scheiterhaufen steigen" (S. 289).
Zwei Fragen stellen sich das ganze Buch hindurch: Braucht man, um wirklich zu lieben, den anderen, der ebenso liebt? Oder genügt das Lieben sich selbst?
Und: Kann Liebe überhaupt vor der Einsamkeit schützen? Oder ruft sie sie erst herauf?
Auch dieses Buch von Márai ist empfehlenswert, v.a. für diejenigen, die bereits andere Bücher von ihm gelesen haben. Wäre dies mein erstes des Autors gewesen, hätte ich mich vielleicht schwer getan mit den seitenlangen Gedanken (besonders im zweiten Teil) über das Wesen, die Intensität, die Konsequenzen und alles andere, was man zur Liebe sagen kann. Man muss schon bereit sein, sich über 450 Seiten all den quälenden Gedanken zu stellen. Denn Liebe und Glück sind immer zwei paar Schuhe.
Marie