Markus Thiele - Zeit der Schuldigen

  • Die Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit


    Die 17jährige Nina wird 1981 auf dem Heimweg von einer Chorprobe vergewaltigt und mit mehreren Messerstichen ermordet. Ein Verdächtiger, Volker März, ist relativ schnell ins Visier der Ermittler geraten, weil er ein ungleiches Verhältnis zu ihr hatte. Sie war seine Traumfrau und er für sie nur ein guter, fast väterlicher Freund, da deutlich älter.


    Da ich ungern in einer Rezension zu viel vom Inhalt verraten möchte, muss ich an dieser Stelle zum weiteren Verlauf schweigen. Jeder, der die zugrunde liegenden Umstände im Fall Frederike von Möhlmann kennt, ahnt, was daraus wird.

    Dass dieses Thema, wenn auch stark abgewandelt, in einem spannenden Roman aufgearbeitet wird, ist tatsächlich lobenswert. Die Allgemeinheit wurde wegen der daraus entstandenen juristischen Auseinandersetzungen, die bis zum Oberverfassungsgericht reichten, durchaus aufgewühlt und auch mir war der echte Fall sofort präsent - bereits vor der Lektüre des Buches, das ich auch aus diesem Grunde ins Auge gefasst hatte.


    Der Roman wird in mehreren Ebenen erzählt. Da ist zum Einen das Jahr 1981 mit der Ebene des Tatvorlaufs und -hergangs sowie der Ebene der Ermittlungen bis ins Jahr 1982. Dann zum Anderen die Jahre 2007 sowie 2012 bis 2014 und letztlich noch die "aktuelle" Ebene 2022 und ein Rückblick in die 70er Jahre, die jedoch nur am Rande mit dem Fall Nina zu tun hat. Dankbarerweise sind die jeweiligen Daten immer als Kapitelüberschriften vorhanden,, sodass keine Verwirrung herrscht.

    Die aktuelle Zeitebene bildet einen Parallelstrang des Romans, mit dem er sogar beginnt. Kommissarin Anne Paulsen entführt den Tatverdächtigen März in eine leerstehende Gaststätte, um ihm ein Geständnis zu entlocken. Dieser Strang baut auf dem realen Fall des Magnus Gäfgen, Mörder des Entführungsopfers Jakob von Metzler auf, allerdings nur in stark abgewandelter Form.


    Wenn einem die realen Fälle bekannt sind, ist verständlicherweise nicht mehr viel mit Spannung im Sinne von Überraschung zu holen, da man bereits im Vorfeld weiß, wie es enden wird. Dies schadet der Lektüre jedoch keinesfalls. Der Schreibstil des Autors ist wieder einmal ausgesprochen packend und man kann das Buch nur schwer aus der Hand legen. Als Jurist weiß Markus Thiele genau, wovon er schreibt. Und in diesem Buch erklärt er auch recht genau, warum das Empfinden der Leserschaft nicht unbedingt mit geltendem Recht und Gesetz harmoniert. Und wie beim Fall Gäfgen verleitet er uns, am Ende doch mit Ermittlerin Paulsen zu bangen, ob es nicht vielleicht doch gut ausgehen kann für sie.

    Die Story ist sehr gut aufgebaut, wobei mir der Paulsen-Strang etwas unrealistisch und schwer nachvollziehbar schien. Leider haderte ich auch mit der Rolle von NInas Vater, die in meinen Augen sehr schöngeschrieben und bewusst bemitleidenswert angelegt war. Da ich mich letztlich jedoch ohnehin mit keiner der Rollen identifizieren konnte oder wollte oder musste oder was auch immer, hat das dem Lesevergnügen keinen Abbruch getan.


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