Eleanor Catton – Der Wald / Birnam Wood

  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Packende Geschichte mit kaputten, aber nicht unsympathischen Charakteren, anfangs aber zu sehr ausgedeutet
  • Klappentext/Verlagstext

    Mira Bunting ist die Gründerin einer Guerilla-Gardening-Gruppe namens Birnam Wood. Das Kollektiv pflanzt und erntet, wo es niemand bemerkt: an Straßenrändern, in vergessenen Parks, vernachlässigten Hinterhöfen. Seit Jahren kämpft die Gruppe darum, Birnam Wood langfristig rentabel zu machen. Dann eröffnet sich eine Möglichkeit: Ein Erdrutsch hat den Pass zu einem Naturschutzgebiet abgeschnitten, die Umweltkatastrophe hat auch eine große, scheinbar verlassene Farm eingeschlossen. Als Mira sich das Grundstück auf eigene Faust ansehen will, wird sie dort von Robert Lemoine überrascht. Der mysteriöse amerikanische Milliardär ist fasziniert von Mira und schlägt ihr vor, das Land zu bewirtschaften. Ein Handel, der Folgen haben wird. Wer ist Lemoine wirklich? Kann die Gruppe ihm vertrauen, während die Ideale von Birnam Wood auf die Probe gestellt werden? Können sie sich selbst trauen?

    Eleanor Catton lässt in ihrem neuen Roman Welten aufeinanderprallen und greift gekonnt die Themen unserer Zeit auf. Mit Witz, filmreifem Plot und einem furiosen Finale legt die Booker-Preisträgerin einen Roman vor, der die Wucht der großen Shakespeare- Dramen mit einem feinen Gespür für die gesellschaftlichen Verwerfungen der Gegenwart vereint.


    Die Autorin

    Eleanor Catton erhielt 2013 für ihren Roman "Die Gestirne" den renommierten Booker-Preis. Zuvor erschien ihr Roman "Anatomie des Erwachens". Geboren in Kanada und aufgewachsen in Neuseeland, lebt sie nun in Cambridge, England. "Der Wald" ist ihr dritter Roman.


    Inhalt

    Als der US-amerikanische Milliardär Robert Lemoine der jungen Guerilla-Gärtnerin Mira Bunting ein interessantes Angebot macht, betreten zwei gleichwertige Ausnahmetalente den Ring. Wenn eine Person Lemoine durchschauen und ihm gefährlich werden kann, wird das Mira sein, erkennt er in dem Moment. Die knapp 30-Jährige, Mitglied des Nonprofit-Kollektivs Birnam Wood, interessiert sich für 150ha Farmgelände, das an einen Nationalpark grenzt und durch einen Erdrutsch aktuell nur schwer zu erreichen ist. Birnam Wood zählt sich zu den Guten - nonprofit, nachhaltig, klimaneutral, basisdemokratisch und antikapitalistisch.


    Lemoine befindet sich bereits in Verkaufsverhandlungen mit dem Besitzer-Ehepaar, legt jedoch weder den Darvishs noch Mira gegenüber seine Karten auf den Tisch. Er will mit der Farm am Korowai-Pass offenbar für ein hochgeheimes Projekt eine harmlos wirkende Fassade etablieren. Jill Darvish ist Einheimische und Erbin der elterlichen Farm, ihr Mann Owen hat sich bereits in jungen Jahren in der abgelegenen Region einen Ruf als selbstständiger Schädlingsbekämpfer erarbeitet. Wer Weidetiere vor Unfällen durch Kaninchenbauten schützt, ist bei Landwirten wie Naturschützern angesehen. Lemoine dagegen verkörpert alles, was Miras Generation für hassenswert erklärt: Seine Generation hat den Planeten ausgebeutet, hält Neuseeland offenbar für einen Reservekontinent nur für Milliardäre und glaubt, alles mit Geld kaufen zu können. Mira und ihre Freundin Shelley sind aktuell verstrickt in einen Konflikt, ob sie wegen Birnam Wood miteinander befreundet sind – oder trotz des Projekts. Dritter in der Generation-Y-Clique ist Tony, der gerade mehrere Jahre in Lateinamerika verbracht hat und desillusioniert feststellen muss, dass er damit seine undankbare Rolle als akademisch gebildeter weißer Mann nicht abschütteln konnte.


    In dieser Ausgangssituation fragt man sich beim Lesen: Was hat Lemoine auf der abgelegenen Farm vor, bildet er sich ein, im gesetzesfreien Raum handeln zu können – und werden die Darvishs und das Gärtner-Kollektiv seiner Raffinesse gewachsen sein? Generation Boomer und Generation Y müssen beide zeigen, dass sie mehr können als Schafe züchten und Gemüse anbauen. Nachdem die Figuren eingeführt sind, nimmt die Handlung flott Fahrt auf, um in einem dramatischen Showdown zu enden. Am Ende erklärt sich sogar, warum für Lemoine die Bäume am Korowai-Pass einen goldenen Schatten zu werfen scheinen wie auf dem Buchcover …


    Fazit
    In ihrem intelligenten, hochaktuellen und extrem dicht erzählten Roman verbindet Eleanor Catton Generations-, Umwelt- und Wirtschaftskonflikt mit Survival-Einlagen und der Frage, welche Zukunft der Generation Y bevorsteht. Neben der abgelegenen Farm als Schauplatz haben mich besonders die Abstufungen in der Karriereplanung der Guerillagärtner unterhalten: von Onlineauftritt für Bewerbungen Hamstern (Tony) bis zu Befriedigung im Flow Finden (Shelley) wird alles geboten.


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Ihr wisst, was zu tun ist. Cheers


    In Neuseeland diskutiert eine Gruppe von Guerillagärtnern mit dem sprechenden Namen Birnam Wood, angeführt von Mira Bunting, ein verführerisches Angebot: Geschäftsleute wollen ihnen Land und Kapital zur Verfügung stellen, mit Hilfe derer sie ihr hehres Anliegen auf vervielfachter Basis in den Dienst der Allgemeinheit stellen können. Beim Käufer des betreffenden Grundstücks und dem mutmaßlichen Sponsor handelt es sich um Robert Lemoine, einen zwielichtigen Milliardär aus den USA. Werden sie damit ihre Seele verkaufen, handelt es sich um Greenwashing unter dem Deckmantel von Shared Economy oder gar um die Tarnung illegaler Unternehmungen?


    Die kontroversen Positionen der beiden Protagonistinnen Mira Bunting und ihrer Freundin Shelley Noakes ergänzt noch der gerade von einem Auslandsaufenthalt zurückgekehrte Fundamentalist Tony Gallo - und so entfaltet sich der Fundi-Realo-Diskurs vor uns in all seinen Facetten mit interessanten logischen Schlüssen. Wie Catton Weltanschauliches herunterbricht auf einzelne Personen, erinnert mich an ähnliche Themen bei T.C. Boyle, zuletzt mit "Blue Skies". Dass der gedankliche Überbau nicht alles ist, zeigen die Gruppendynamik und die Liebesbeziehungen, die auch noch ihren Einfluss ausüben, gerade bei folgenschweren Entscheidungen.


    Dem Idealismus der Umweltschützer steht der Zynismus Robert Lemoines gegenüber, des mächtigen Strippenziehers, der zu Höchstform aufläuft, als er nach der Katastrophe alle Beteiligten zu seinen Gunsten manipuliert. Seinen flexiblen Umgang mit der Wahrheit nennt er "das Narrativ ändern", und so verstricken sich alle Beteiligten in ein unentwirrbares Geflecht von Lügen.


    "Der Wald" als ein Geflecht aus Organismen über und unter der Erde, sichtbar und unsichtbar vernetzt und abhängig von einander, Versteck und Lebensgrundlage, aber auch bedrohlich, angsteinflößend: das ist ein stimmiger Titel für diesen Roman.


    Catton überzeugt von Anfang an durch die differenzierte Charakterisierung der Akteure anhand ihrer familiären Situation und Lebensgeschichte im Lichte feiner Ironie. In bester angelsächsischer Tradition besticht sie nicht durch stilistische Finessen, sondern lässt die Figuren für sich sprechen mit einem hohen Dialoganteil. Nach einem eher behäbigen Anfang entwickelt sich die Story gegen Ende zunehmend in einen Pageturner, den ich nicht mehr aus den Händen legen mochte, weil ich wissen wollten, wie es weiter- und schließlich ausgeht.

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