Lize Spit - Der ehrliche Finder / De Eerlijke Vinder

  • Jimmy, dessen Vater als Versicherungsmakler Kundengelder veruntreut und sich aus dem Staub gemacht hat, und Tristan, der Flüchtlingsjunge aus dem Kosovo, haben sich angefreundet. Der Musterschüler Jimmy bringt Tristan Niederländisch bei, und Tristan holt Jimmy aus seiner Einsamkeit. Als Tristans Familie abgeschoben werden soll, entwickeln Tristan und seine Schwester einen waghalsigen Plan, in dem Jimmy eine entscheidene Rolle zukommt...


    Es ist beeindruckend, wie Lize Spit die gegensätzlichen Welten und Wesenarten der beiden Kinder zeichnet. Beide Kinder haben, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise, Verluste erlebt. Jimmy ist noch sehr kindlich-naiv, flüchtet sich in Tagträume, seine Sammlung aus Flippos, die als Beigaben in Chipstüten enthalten sind, ist sein größter Schatz, und er beneidet Tristan um die Wärme seiner zehnköpfige Großfamilie. Tristan ist zwei Jahre älter und durch die Flucht früh erwachsen geworden. Die Traumata der Flucht sitzen tief bei ihm und seinen Geschwistern, das große Familienbett, das in Jimmys Augen eine heimelige Kuschel- und Spieloase ist, ist für Tristans Familie bittere Notwendigkeit gegen die Albträume und Ängste, die nachts die Familie heimsuchen.


    Die Geschichte wird in personaler Form in der dritten Person aus der Perspektive von Jimmy erzählt. Auch wenn das Buch mit 128 Seiten recht dünn erscheint, gelingt es Lize Spit, mit wenigen Worten einen unglaublichen Sog zu entwickeln. Sie erzählt intensiv, lebendig, beklemmend, und man kann sich der Geschichte nicht entziehen.


    Ein wirklich bemerkenswertes Buch, das nachdenklich macht und viele Möglichkeiten zur Diskussion bietet. Ich könnte es mir in der Mittelstufe sehr gut auch als Schullektüre vorstellen. Für mich war es das erste Buch von Lize Spit und es hat mich so sehr beeindruckt, dass ihre beiden ersten Romane auf jeden Fall auch noch lesen möchte.



    5 Sterne.

  • Klappentext/Verlagstext
    Vom Glück, einen echten Freund zu haben, von Kindheit, Hoffnung und Verzweiflung – eine Geschichte aus dem Herz unserer Gegenwart.

    Seit er vor einem Jahr in Bovenmeer angekommen ist, sitzt Tristan in der Schule neben Jimmy, der klüger und einsamer ist als alle anderen und es sich zur Aufgabe macht, Tristan Ibrahimi durch das Schuljahr zu begleiten. Denn der hat nicht nur einen Krieg erlebt und eine Flucht durch ganz Europa, sondern auch das, wonach Jimmy sich am meisten sehnt: eine intakte, große Familie, die Halt und Geborgenheit bietet.

    Gemeinsam bauen sie sich ihre eigene Welt voller gegenseitiger Bewunderung und bedingungsloser Hingabe, geheimer Orte und einer Sprache, die beide verstehen. Bis jemand eine Entscheidung trifft, die nicht nur ihre Welt zum Einstürzen zu bringen droht, und ein Plan geschmiedet wird, der Jimmy und Tristan alles abverlangt.


    Die Autorin
    Lize Spit wurde 1988 geboren, wuchs in einem kleinen Dorf in Flandern auf und lebt heute in Brüssel. Sie schreibt Romane, Drehbücher und Kurzgeschichten. Ihr erster Roman »Und es schmilzt« stand nach Erscheinen ein Jahr lang auf Platz 1 der belgischen Bestsellerliste, gewann zahlreiche Literaturpreise und wurde in 15 Sprachen übersetzt. Auch ihr zweiter Roman, »Ich bin nicht da«, war ein großer Erfolg. Mit ihrem dritten Roman, »Der ehrliche Finder«, hat sie ein ganzes Land aufgewühlt.


    Inhalt
    Der elfjährige Jimmy ist Spezialist für Flippos, die er aus Chipstüten sammelt. Er bereitet sich darauf vor, dass sein Sammelgebiet eines Tages wissenschaftlich erforscht wird und er spätestens dann mit seinem Spezialwissen glänzen kann. In seiner dritten Klasse soll er sich um seinen Klassenkameraden Tristan aus dem Kosovo kümmern, dessen große Familie in den 90ern eine brutale Flucht hinter sich hat. Für Jimmy ist die Freundschaft ein Glücksfall, die sein Erklärtalent zum Leuchten bringt. Vermutlich versteht nur Jimmy intuitiv, wie traumatische Fluchterlebnisse seinen Freund verändert haben. Mit Tristan und Jimmy haben sich gegensätzliche Freunde gefunden, die sich in idealer Weise ergänzen.


    Als Tristans Familie die Abschiebung droht, beschließt Tristan, mit einer außergewöhnlichen Tat in den bürokratischen Ablauf einzugreifen. Unter Leitung seiner älteren Schwester Jetmira soll Jimmy für diesen Akt über sich hinauswachsen.


    Fazit
    Lize Spit wurde für ihre Novelle durch ein reales Erlebnis angeregt – und trifft ihre Leser:innen auch mit ihrem dritten Buch mitten ins Herz. Ein Gleichnis, warum Mitleid selten genügt …


    Der Altersempfehlung ab 14 schließe ich mich gern an.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :study: -- Landsteiner - Sorry, not sorry

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Wer anderen eine Grube gräbt …


    Was ich zunächst nicht wusste: Dieses schmale Büchlein von Lize Spit wurde in den Niederlanden in der boekenweek (Buchwoche) als Buchgeschenk zu einem gekauften Buch dazu gegeben. De boekenweek dauert neun Tage und findet jedes Jahr im März statt. Beim Kauf von mindestens 15 Euro an niederländischsprachiger Lektüre erhält man also ein speziell für diese boekenweek geschriebenes Buch. Diese Ehre, dieses Buchgeschenk schreiben zu dürfen, wurde also in diesem Jahr Lize Spit zuteil.


    Beim Blauen Sofa in der Bertelsmann Repräsentanz in Berlin, Anfang März 2024, durfte ich nun diese bezaubernde und charmante Autorin persönlich kennenlernen und sie hat mir dieses Buch signiert. Mit einer ganz speziellen Widmung, die ich übersetzen muss. Ich verstehe das so, dass ich den Mansch vom Papri-Club unbedingt probieren soll. Und manchmal auch „Ja“ zu Dingen sagen soll, wo ich eigentlich „Nein“ sagen würde. Mal sehen …


    Im „ehrlichen Finder“ geht es um die Freundschaft zweier Jungen und auch um das (schändliche) Ausnutzen des anderen unter der Vorspiegelung der Freundschaft. Und es zeigt sich auch, dass bei verschiedenen Nationalitäten eben unterschiedliche Werte zählen. Der kluge und einsame Jimmy kümmert sich aufopferungsvoll um den Migranten Tristan, indem er ihm nicht nur die Sprache beizubringen versucht, sondern auch die üblichen Verhaltensweisen. Jimmy gefällt auch die riesengroße Familie von Tristan. Denn er selbst hat keine Geschwister und sein Vater verschwand spurlos, nachdem er das halbe Dorf finanziell betrogen hatte. Kein guter Start für den Sohn in der Schule.


    Was nun weiterhin geschieht, kann hier nicht verraten werden, nur so viel: Jimmys Gaben weiß man nicht zu schätzen und was man von ihm verlangt, ist viel, viel zu viel.


    Lize Spit hat es verstanden, den wenigen Seiten Leben einzuhauchen und eine Geschichte aufzubauen, die es in sich hat. Und ja, manchmal braucht es viel Mut, um ein Feigling zu sein. (Frei zitiert von S. 109.) Warum das Buch aber diesen Titel trägt, das hat sich mir leider nicht erschlossen.


    Das Cover bezieht sich auf Jimmys Flipposammlung. S. 32: „Von der Time-Serie und den Pop-up-Monstern hatte er noch am wenigsten. Diese beiden, die aus insgesamt lediglich vierzig Stück bestanden, erwischte man am schwersten.“ Deshalb also sind vierzig Kreise auf dem Cover. Und die Flippos findet man in Kartoffelchips-Tüten und natürlich soll damit der Verkauf der Ware angekurbelt werden. Gab es zuvor offensichtlich schon in Korea, Griechenland, England etc. aber in Deutschland (leider) nicht. Aus den Chips kann man einen wunderbaren Mansch herstellen, den Jimmy und Tristan im Geheimen genießen. In ihrem Papri-Club.


    Fazit: Ich habe alle drei Bücher dieser fantastischen jungen Autorin gelesen und kann sie nur wärmstens empfehlen. Ihre Themen sind sehr unterschiedlich, nichts ist aufgewärmt und sie weiß genau, wovon sie schreibt und fühlt sich extrem in ihre Figuren ein. ****

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  • Nachdem mich "Und es schmilzt" sowie "Ich bin nicht da" von der Thematik und dem Aufbau sehr beeindruckt haben, war klar, dass ich ihr neues Buch auch lesen muss. Auch wenn ich mit Novellen oft nicht so viel anfangen kann und das Thema auch an meinen Lesevorlieben etwas vorbei geht, war ich neugierig auf die Umsetzung.

    Der Schreibstil wirkt etwas abseits von dem, was ich von ihr gewohnt bin. Das mag an der Kürze des Buches liegen und auch an der Sicht des Protagonisten. Jimmy geht in die dritte Klasse und fühlt sich sehr als Außenseiter. Auch zuhause bekommt er nicht wirklich die Zuwendung, die er bräuchte und er leidet unter dem Verschwinden seines Vaters sowie unter der Nichtbeachtung seiner Mutter.
    Dafür stürzt er sich in seine Sammelleidenschaft. Neben der Beschäftigung, sämtliche Automaten nach Kleingeld abzuklappern, sind "Flippos" seine Passion. Kleine Sammelbilder die in Chipstüten stecken und die er akribisch datiert und in Alben klebt.

    Das ganze ändert sich, als die Familie Ibrahimi in die Kleinstadt kommt. Aus dem Krieg im Kosovo geflohen haben sie ein Martyrium der Flucht hinter sich und leben jetzt mit einer Vielzahl an Kindern in einem alten Haus, wo sie versuchen, Fuß zu fassen.
    Der 12 jährige Tristan ist einer ihrer Söhne und kommt in Jimmys Klasse, wo dieser direkt die Aufgabe übernimmt, sich um den Neuankömmling zu kümmern. Für Jimmy eine große Sache, in der er total aufgeht. Er wird gebraucht, findet in Tristan einen Freund und wird wertgeschätzt. Er bringt ihm die niederländische Sprache näher, hilft ihm bei den Schulaufgaben und sich hier zu integrieren.
    Jimmy erlebt das Gefühl, einer Familiengemeinschaft anzugehören, zusammen zu halten und füreinander da zu sein, was ihm zuhause so sehr fehlt.

    Die Sammelleidenschaft, die wohl auch mit dem Titel zusammenhängt, nehmen dem Finden von Besonderheiten, wird anfangs sehr ausführlich beschrieben. So wirklich konnte ich aber nicht in Verbindung bringen, was mir die Autorin hier sagen will oder welcher Zusammenhang mit den folgenden Ereignissen besteht.

    Als dann schließlich eine schlimme Nachricht eintrifft, spürt man plötzlich sehr deutlich den Krater, der zwischen den beiden liegt. Tristan selbst bleibt ja recht blass im Hintergrund, weil Jimmy hier aus seiner Sicht alles schildert und er vieles gar nicht verstehen konnte oder wahrgenommen hat. Denn die Schrecken des Krieges und der Flucht, die Ängste und Hoffnungslosigkeit, haben den noch jungen Tristan erwachsen gemacht. Viele der kindlich scheinenden Sorgen und Freuden von Jimmy verblassen auf einmal und man spürt sehr deutlich, dass es in Tristans Leben nicht um Sammelbilder und Schulnoten geht, sondern ums nackte Überleben.
    Diese spürbare Veränderung bringt Jimmys Gefühle durcheinander, weil er damit nicht umgehen kann. Auch wenn er sich an seine Freundschaft klammert merkt er deutlich die Wandlung und die Distanz, die sich plötzlich zwischen ihnen ausbreitet.

    Lize Spit hat keine Scheu, Tragik und Leid deutlich in Worte zu fassen - aber hier verbleibt sie in Andeutungen, was vor allem das Ende betrifft, das für viele nicht so klar definiert scheint. Und ich auch nicht sicher bin, ob ich es so verstanden habe, wie sie gemeint hat. Vielleicht sollte es auch offen sein - jedenfalls ist die Botschaft eine sehr traurige, berührende und erschreckende, die das Schicksal von so vielen deutlich macht.

    Trotz den vielen guten Ansätzen bin ich dem Thema der Handlung nicht so nah gekommen, wie es sein sollte. Woran es genau lag kann ich leider nicht festmachen, aber insgesamt konnte ich mich auf die Geschichte einfach nicht so einlassen...

    Zum Cover muss ich sagen dass es perfekt passt, wenn man die Geschichte kennt. Zuerst war ich ja nicht so begeistert vom Aussehen und der Gestaltung, aber durch die Verbindung hat es definitiv eine starke Aussage.


    Mein Fazit: 3 Sterne

    Weltenwanderer

  • Das Cover bezieht sich auf Jimmys Flipposammlung. S. 32: „Von der Time-Serie und den Pop-up-Monstern hatte er noch am wenigsten. Diese beiden, die aus insgesamt lediglich vierzig Stück bestanden, erwischte man am schwersten.“ Deshalb also sind vierzig Kreise auf dem Cover. Und die Flippos findet man in Kartoffelchips-Tüten und natürlich soll damit der Verkauf der Ware angekurbelt werden. Gab es zuvor offensichtlich schon in Korea, Griechenland, England etc. aber in Deutschland (leider) nicht. Aus den Chips kann man einen wunderbaren Mansch herstellen, den Jimmy und Tristan im Geheimen genießen. In ihrem Papri-Club.

    Interessant, das wusste ich nicht! Ich hab das Cover auf die letzte Szene bezogen - im deutschen sind die Farben ja anders, deshalb mein Bezug dazu ... ich fand das sehr passend. Aber das mit den Flippos passt natürlich auch

  • Interessant und Spannend

    Das Cover hat mich nicht wirklich angesprochen doch ohne Schutzumschlag hat es eine fantastische Farbe. Schreibstil und Inhalt haben mich gefangen genommen. Es ist eine Geschichte zum Thema Freundschaft und Flüchtlinge mit Integrationsproblemen und Bleiberechts. Sehr gut gefallen haben mir die Einblicke in die Flüchtlingsfamilie und den allgemeinen Umgang mit ihnen. Das Ende ist leider traurig und etwas abrupt. Gerne hätte ich in einem Nachwort erfahren wie das Verhältnis von Jimmy und Tristans Familie weiter geht und wie insgesamt Jimmy mit der weiteren Situation umgeht. Ein sehr gelungenes Buch das durch die Kürze sehr gut zu lesen ist und viele wichtige Aspekte beinhaltet. Es gibt auch viele Anregungen um die verschiedenen Themen (wie Konsum, Ehrlichkeit, Integration, Freundschaft ) innerhalb der Familie oder z.B: einer Schulklasse zu besprechen.