Joseph Roth - Hiob (ab 01.03.2024)

  • Kapitel 8


    Billes Tochter heiratet doch den Musikanten Fogl...dann ist die Familie fröhlich und gutherzig.

    Das ist die bisher einzig positive Aussicht der Geschichte, finde ich. Denn Amerika liegt noch völlig im Dunkel.

    Sie wirken aber viel älter. Sicher der Zeit in, der sie leben geschuldet, zumindest körperlich, aber geistig beide ziemlich festgefahren in ihren Ansichten, Rollen, Verhalten. Unbeweglich.

    Ja, sie sind ihrer Zeit verhaftet in allem und ihr körperlicher Zustand spiegelt das harte Alltagsleben. Aber noch vor 2 Generationen sind die Menschen viel schneller gealtert. Ich muss nur an meine eigenen Eltern denken, die gefühlt 10-20 Jahre älter waren als sie tatsächlich an Jahren zählten. Die letzten Jahrzehnte haben in dieser Hinsicht viel verändert. Und diese harten eingefahrenen psychischen Prozesse spiegeln sich halt auch im Äußeren wider.

    Ich hatte das Gefühl hier einen Mendel zu erleben den wir

    bisher nicht kannte. Er wirkt entspannt und im Frieden mit sich selbst im Angesicht der

    Unendlichkeit und Schönheit von Gottes Schöpfung.

    Stimmt, das allererste Mal scheint er ganz friedlich und zufrieden zu sein. Ausgerechnet jetzt, auf diesem Schiff, mitten in dem großen Schritt ins Unbekannte. Schon irgendwie seltsam, denn aus der Distanz ist er doch jetzt fast ausgelieferter als vorher, er kann auf nichts Einfluss nehmen. Aber vielleicht erleichtert ihn gerade das?

    Auch hier wechselt der Erzähler mehrmals zwischen Präsens und Präteritum. Ich habe kein System gesehen. Ihr vielleicht?

    Nein, ich habe gar kein System erkannt. Anfangs dachte ich noch, dass er immer ins Präsens wechselt sobald es sich um Deborah dreht, aber das stimmt nicht. Die Erzählzeit wechselt für mich völlig unkontrolliert. Ob im zweiten Teil, in Amerika, die Erzählzeit ganz ins Präsens wechseln wird? Dann wäre es jetzt einfach eine Art Übergang. :-k


    Kapitel 9


    Ein ziemlich kurzes Kapitel wieder, dass uns die Ankunft im "Gelobten Land" schildert, dass sich gleich als ziemlich "ungelöst" zeigt mit Quarantäne, Lärm und Dreck und einem Sohn, der sich sehr verändert hat.

    Sehr schön, wie die Verwirrung der Eltern erzählt wird, wie sich Vergangenheit und Gegenwart durchdringen, wie sie in der gegenwärtigen Erscheinung Sams immer noch Schemarjah sehen!

    Auch hier sind es wieder die Farben, die Aufbruchstimmung und Fröhlichkeit zeigen. Ein starker Gegensatz zum Schwarz der Familie.

    Diesen Kontrast nutzt Roth ja zur Genüge, er ist so plakativ und deutlich. Ob sich das Schwarz der Familie anpassen wird? Bei Mirjam bestimmt, aber bei Mendel und Deborah? Vielleicht gelingt Deborah ein wenig der Schritt hinaus ins Leben, aber bei Mendel hab ich meine Zweifel. Ich halte ihn nicht für flexibel genug, sich auf diese ganz andere Welt einzustellen. Aber wer weiß, vielleicht überrascht er mich ja noch. :lol:

    Für mich ist es natürlich, dass die Eltern noch immer im Geist ihren Sohn Schemarjah von vor vielen Jahren im Kopf haben. Diese starke Veränderung hin zu Sam können sie nicht erwartet haben, da sie ja keinerlei Ahnung von Amerika haben. Und auch nicht viel Ahnung von ihren Söhnen, die ja völlig andere Wege eingeschlagen haben als die Eltern erwarteten.


    "Hitze" - "Ruß, Staub und Hitze" - "Eile" - "Lärm und Geschrei" - "Dröhnen" - "Kreischen" und so fort. Das Paradies sieht anders aus.

    Wir beklagen uns ja oft, dass die Welt heute zu laut sei, aber ich glaube, damals war sie viel lauter.


    Für Mendel ist dieser Kulturschock zuviel. Er wird ohnmächtig und er entwickelt Identitätsprobleme. "Bin ich noch Mendel Singer?"

    Das bestätigt meine Erwartung, dass Mendel sich nicht wird anpassen, auf das Neue einlassen können.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • terry : Dir auch viel Spaß und eine schöne Buchmesse :winken: und an alle Büchertreffler, die dort sind. Beneide Euch :wink:


    Kapitel 9


    Ich mußte schon schmunzeln wie Mendel die Kosaken Amerikas erwähnt und Mirjam betrachtet. Er weiß ja was für ein Früchtchen sie ist.


    Zitat von drawe

    Sehr schön, wie die Verwirrung der Eltern erzählt wird, wie sich Vergangenheit und Gegenwart durchdringen, wie sie in der gegenwärtigen Erscheinung Sams immer noch Schemarjah sehen!

    Auch hier sind es wieder die Farben, die Aufbruchstimmung und Fröhlichkeit zeigen. Ein starker Gegensatz zum Schwarz der Familie.

    Da stimme ich Dir zu. Sam und Schemarjah wie Schablonen übereinander gelegt.

    An den neuen alten Sohn, der viel Selbstbewußtsein hat, müßen sich Singers noch gewöhnen.


    Mac wird sicher noch wichtiger für die Familie, so viel wie er für sie tut. Interessant finde ich seine Eigenschaft/Eigenart: erfundene Dinge zu erzählen, aber wahre Ereignisse zu verschweigen...Kann man ihm trauen?

    Ein bunter Vogel ist er auf jeden Fall, die Vorstellung grünes Hemd mit roter Krawatte (als er den Brief brachte) schüttelt mich etwas :lol: und gelbe Stiefel... :totlach:


    Zitat von Squirrel
    Zitat von drawe
    "Hitze" - "Ruß, Staub und Hitze" - "Eile" - "Lärm und Geschrei" - "Dröhnen" - "Kreischen" und so fort. Das Paradies sieht anders aus.

    Wir beklagen uns ja oft, dass die Welt heute zu laut sei, aber ich glaube, damals war sie viel lauter.

    Zitat von drawe
    Für Mendel ist dieser Kulturschock zuviel. Er wird ohnmächtig und er entwickelt Identitätsprobleme. "Bin ich noch Mendel Singer?"

    Das bestätigt meine Erwartung, dass Mendel sich nicht wird anpassen, auf das Neue einlassen können.

    Den Schock von Mendel kann ich gut verstehen, so laut, wie Roth es beschrieben hat und so eindringlich. Mendel fühlt sich ziemlich verlaßen. Mirjam und Deborah haben es nur geringfügig besser verkraftet, aber Mendel denkt: Was gehen mich dies Leute an?

    Die Stelle "....begann sein Herz langsam zu vereisen." Schrecklich :(

    Ich denke er fühlt sich auch schuldig daran das Menuchim zurückbleiben mußte und die Ungewißheit was aus M. wird quält ihn.

    Hört sich an als würde sein Leben noch trostloser (..geht das überhaupt.. :-? ), er hat niemanden mehr der ihm nah ist. Sam ist ihm fremdgeworden, über Jonas weiß er nichts, Mirjam hat ihn enttäuscht und Deborah :uups: .

    Vielleicht versuchen beide ihr altes Leben zu imitieren in Amerika.

    "Wo Freundlichkeit herrscht, gibt es Güte, und wo es Güte gibt, da ist auch Magie" (Walt Disney) :montag:

  • zu Kapitel 9


    Diesen Kontrast nutzt Roth ja zur Genüge, er ist so plakativ und deutlich. Ob sich das Schwarz der Familie anpassen wird? Bei Mirjam bestimmt, aber bei Mendel und Deborah? Vielleicht gelingt Deborah ein wenig der Schritt hinaus ins Leben, aber bei Mendel hab ich meine Zweifel. Ich halte ihn nicht für flexibel genug, sich auf diese ganz andere Welt einzustellen. Aber wer weiß, vielleicht überrascht er mich ja noch.

    Ich finde sogar das Roth diese Farbsymbolik etwas zu arg strapaziert. Das ist fast schon zu offensichtlich.

    Ich denke Mendel ist für Veränderungen in keiner Weise bereit. Er hat Angst vor allem Neuen

    und ich kann mir vorstellen, dass er bei der Ankunft völlig überfordert ist und vor den neuen,

    von seiner Welt völlig verschiedenen Eindrücken, zurückschreckt. Erschwerend kommt hinzu

    das sein Sohn nicht mehr wie sein Sohn wirkt. Da steht plötzlich ein neuer, völlig veränderter

    Schemarjah vor ihm.


    Vielleicht versuchen beide ihr altes Leben zu imitieren in Amerika.

    Das könnte funktionieren wenn er andere traditionelle jüdische Familien findet. Das könnte

    ihm ein Gefühl von Heimat und Stabilität geben.

    Ansonsten sehe ich da wenig Möglichkeiten für Mendel. Deborah ist da, denke ich,

    anpassungsfähiger.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Lovecraft Country

  • terry und Squirrel, Ihr Vergnügungssüchtigen :lol: , viel Spaß in Leipzig!


    Ich selber bin auch ein paar Tage nicht da, Osterfestspiele in Salzburg.


    :winken:

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • terry und Squirrel, Ihr Vergnügungssüchtigen :lol: , viel Spaß in Leipzig!


    Ich selber bin auch ein paar Tage nicht da, Osterfestspiele in Salzburg.


    :winken:

    Duhast ein schlechtes Timing :lol: Hab viel Spaß in Salzburg

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Zitat von taliesin

    Ich denke Mendel ist für Veränderungen in keiner Weise bereit. Er hat Angst vor allem Neuen

    und ich kann mir vorstellen, dass er bei der Ankunft völlig überfordert ist und vor den neuen,

    von seiner Welt völlig verschiedenen Eindrücken, zurückschreckt.

    Die Eindrücke beim Ankommen in Amerika und während der Fahrt haben ihn regelrecht erschlagen. Er wird es schwer haben sich zurecht zu finden. Deborah kann sich wahrscheinlich besser anpassen an die neue Welt, in der sie leben.

    Mirjam wird sich wie Sam sicher schnell eingewöhnen, bin gespannt wie es mir ihr weitergeht.


    Machen wir schon mit Kapitel 10 weiter und warten dann auf die Anderen? Was meinst Du?


    @ drawe: Dir auch viel Spaß bei den Festspielen ...und nicht zu viele Mozartkugeln naschen :-, :winken:

    "Wo Freundlichkeit herrscht, gibt es Güte, und wo es Güte gibt, da ist auch Magie" (Walt Disney) :montag:

  • weitergeht.


    Machen wir schon mit Kapitel 10 weiter und warten dann auf die Anderen? Was meinst Du?

    Wegen mir könnt ihr weiterschreiben, ich hol euch Sonntag Abend wieder ein mit Kapitel 10 :lol:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • weitergeht.


    Machen wir schon mit Kapitel 10 weiter und warten dann auf die Anderen? Was meinst Du?

    Wegen mir könnt ihr weiterschreiben, ich hol euch Sonntag Abend wieder ein mit Kapitel 10 :lol:

    Sehe ich genauso.

    :study: Audre Lorde: Sister Outsider (eBook)

    :study: Joseph Roth: Hiob (eBook) - MLR

    :study: Thomas Chatterton Williams: Selbstportrait in Schwarz und Weiss - Unlearning Race



    „An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.“

    Erich Kästner

    "Das fliegende Klassenzimmer"


    Warnhinweis:
    Lesen gefährdet die Dummheit

    :study:

  • bist Du noch in Salzburg?

    Körperlich bin ich jetzt wieder zuhause, aber mental bin ich noch nicht von dieser Welt...

    Macht ruhig weiter, ich krieg mich schon wieder ein!

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • bist Du noch in Salzburg?

    Körperlich bin ich jetzt wieder zuhause, aber mental bin ich noch nicht von dieser Welt...

    Macht ruhig weiter, ich krieg mich schon wieder ein!

    Komm erstmal in Ruhe wieder in unserer Welt an :lol:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Welcome back :friends:


    Ich war ein bißchen erkältet die Tage :krank:


    Aber geht wieder. Das 10. Kapitel ist ja im Vergleich richtig lang. Muß es nochmal etwas nachwirken lassen..

    "Wo Freundlichkeit herrscht, gibt es Güte, und wo es Güte gibt, da ist auch Magie" (Walt Disney) :montag:

  • Ich geh - um wieder in die Geschichte reinzukommen - noch auf ein paar Eurer Antworten ein. :wink:

    Mac wird sicher noch wichtiger für die Familie, so viel wie er für sie tut. Interessant finde ich seine Eigenschaft/Eigenart: erfundene Dinge zu erzählen, aber wahre Ereignisse zu verschweigen...Kann man ihm trauen?

    Ich gehe fest davon aus, dass Mac ein Teil der Geschichte und damit der Familie wird. Für Schemarjah ist er ja eine wichtige Bezugsperson. Aber ob ihm zu trauen ist, das kann ich noch nicht beurteilen. Bisher jedenfalls hat er den Singers sehr geholfen.

    Ein bunter Vogel ist er auf jeden Fall, die Vorstellung grünes Hemd mit roter Krawatte (als er den Brief brachte) schüttelt mich etwas :lol: und gelbe Stiefel... :totlach:

    Ein bunter Vogel im wahrsten Sinne des Wortes :loool:

    Ich finde sogar das Roth diese Farbsymbolik etwas zu arg strapaziert. Das ist fast schon zu offensichtlich.

    Und im Kontrast zum trubeligen New York kann ich mir vorstellen, dass Roth diese Farbsymbolik noch weiter nutzen wird. Obwohl es das gar nicht mehr braucht, der Kontrast zu den Singers ist doch offensichtlich, jedenfalls zu Mendel.

    Ich denke Mendel ist für Veränderungen in keiner Weise bereit.

    Das seh ich auch so. Den Kulturschock bei der Einreise kann ich völlig nachvollziehen, denn die Familie kommt ja in einem regelrecht fremden Universum an. Und für einen Menschen wie Mendel ist das einfach zuviel. Aber ich halte ihn auch für unwillig, sich anzupassen, denn dafür müsste er seine Art zu denken und zu leben in Frage stellen und ändern. Das traue ich ihm nicht zu.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Traut sich keiner weiterzumachen?

    Dann fange ich mal an...


    Kapitel 10


    Mendel wird "heimisch in Amerika". Den ersten Schock hat er offenbar gut verkraftet. Vom Erzählton hat mir dieses Kapitel wieder gut gefallen. Mendel ist dei Erzählinstanz, und seine Sicht der Dinge mischt sich mit dem ironischen Unterton des Erzählers.

    So lernen wir die Schwiegertochter Vega kurz kennen, aber eben nur das, was Mendel wichtig ist: sie ist blond und sanft, das reicht. Sie darf dumm sein, "Frauen brauchen keinen Verstand, Gott helfe ihr, amen!"

    Menuchim ist nicht vergessen - denn Mirjam trägt das Grammophon "wie ein krankes Kind" durch die Straßen.

    Mirjam arbeitet und ist mit Mac zusammen; vielleicht nicht die schlechteste Wahl, und es ist lustig, wie der Erzähler ihre Freizeitvergnügen aufzählt: "spazieren geht, tanzen geht, baden geht, turnen geht". Alles Tätigkeiten, die Mendel in keiner Weise entsprechen. Und Seidenstrümpfe trägt sie auch, ts ts ts...


    Die Desilllusionierung geht weiter, wenn man liest, wie die Wohnung beschaffen ist: "schief", "schmutzig", "finster", "feucht".


    Und Deborah? Trotz Seidenkleid und Kino und Theater und goldener Kette ist sie unzufrieden. Amerika ist leider nicht komplett anders als ihr Heimatdorf, kein Land, in dem Milch und Honig fließen, und sie vermisst Menuchim. Sie will zurück, und auch Mendel denkt immer häufiger an die Rückkehr zu Menuchim. Sam vertröstet sie, er wirkt großspurig. Er hat seine eigene kleine Vergangenheit offensichtlich vergessen. "Laufjungen anschnauzen, er war ein Boss." Trotzdem denkt Mendel ständig an Menuchim und sehnt sich nach einem Brief mit guten Nachrichten aus der Heimat.

    Er sehnt sich so sehr nach dem jüngsten Kind, dass er eine Art Vision hat: ein Junge, "der ihm aus der Ferne bekannt erschien", steht weinend an einer Straßenecke, und beim Näherkommen erkennt er immer deutliocher Menuchim in ihm.

    Was für eine tägliche Qual für Mendel!


    Wieder klingt das Bild des Ahasver an, des ewig wandernden Juden, wenn beschrieben wird, dass Mendel gelernt hat, "langsam zu wandern. Also wanderte er durch die Zeit dem Greisenalter entgegen."


    Und dann die schöne Nachricht: Sams Hoffnungen auf das lukrative Geschäft haben sich erfüllt. Trotzdem spricht niemand von der Reise in die alte Heimat, aber Menuchim beherrscht Mendels Denken.

    Und endlich der Brief: Menuchim entwickelt sich, und er wird behandelt werden.

    (Hab ich doch gewusst.)

    Aber "Mendel wendete das Blatt um", der Ausdruck passt hier so schön: die gute Nachricht hat auch eine schlechte Nachricht bei sich, Sam rechnet mit Krieg und bereitet seine Eltern auf seinen Tod vor.

    Dennoch: Mendel dankt Gott. "Er hatte die Gnade erfahren und die Freude. Auch über ihm wölbte sich Gottes breite, weite, gütige Hand."

    Merkwürdig, dass ihn die drohende Gefahr für seinen Sohn Jonas weiter nicht bekümmert. Er hat eine Art Tunnelblick und sieht nur Menuchim.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Traut sich keiner weiterzumachen?

    Wir wollten Dir nur Zeit geben, wieder in unserer Welt anzukommen :lol: Und ich war gestern nach dem ersten Arbeitstag wieder reichlich müde. O:-)


    Kapitel 10

    Vom Erzählton hat mir dieses Kapitel wieder gut gefallen. Mendel ist dei Erzählinstanz, und seine Sicht der Dinge mischt sich mit dem ironischen Unterton des Erzählers.

    Ja, das hat mir auch gut gefallen, wenn auch so manche Äußerung wieder weniger. :wink:

    sie ist blond und sanft, das reicht. Sie darf dumm sein, "Frauen brauchen keinen Verstand, Gott helfe ihr, amen!"

    nämlich solche :wuetend: Ja, wir sind in der Zeit und Herkunft verhaftet, trotzdem ärgert es mich. Ich bin mir nämlich nicht sicher, inwieweit da auch Roth zu Worte kommt, der ja höchst eifersüchtig war und mit selbständigen Frauen so seine Kämpfe hatte. :wuetend:


    Mendel wird "heimisch in Amerika". Den ersten Schock hat er offenbar gut verkraftet.

    Beim "Schock verkraften" bin ich bei Dir, bei dem "heimisch" bin ich mir noch nicht sicher. Ich bin mir aber auch nicht sicher, über welchen Zeitraum nach der Ankunft wir hier reden - Wochen? Monate? Mein Gefühl sagt, dass nur relativ kurze Zeit vergangen ist. :-k Immerhin hat er Bekannte gefunden, bummelt durch die Stadt und lebt sein Leben. Wobei auch der Spruch fällt im Sinn von "er lebt dem Ende entgegen", was ich interpretiere als "die Zeit vergeht halt, aber wirklich leben tut er nicht". Aber das hat er in der Heimat ja auch nicht wirklich. Verräterisch finde ich da auch den Anfang, in dem aufgezählt wird welche Worte was bedeuten, denn da versteht Mendel ja einiges auch falsch. Er ist also angekommen, aber er versteht die neue Welt nicht.


    Menuchim ist nicht vergessen - denn Mirjam trägt das Grammophon "wie ein krankes Kind" durch die Straßen.

    Wow, diese Metapher ist mir gar nicht aufgefallen. Vermisst also auch sie den kleinen Bruder?

    Und Deborah? Trotz Seidenkleid und Kino und Theater und goldener Kette ist sie unzufrieden. Amerika ist leider nicht komplett anders als ihr Heimatdorf, kein Land, in dem Milch und Honig fließen

    Sie wird deutlich von der Realität eingeholt, denn sie hat Sam ja schon als reich angesehen. Aber reich ist relativ; er hat mehr Mittel als seine Eltern, aber geschenkt bekommt auch er nichts. Illusionen über das gelobte Land überleben ja selten die Realität. Dennoch hat mich dieser Wandel in Deborah überrascht. Ich glaube, wir waren uns einig, dass sie sich leichter umstellen und einleben würde, aber dass sie in Kino und Theater geht, damit hab ich tatsächlich nicht gerechnet. Sie schien mir bisher nicht der Typ, der Vergnügungen nachgeht. Insofern wurde sie schnell "verführt" vom schönen Leben und wendet sich damit ja offen noch mehr von ihrem Mann ab. Was auch in der Wohnsituation deutlich wird: sie und Mirjam schlafen im Zimmer, Mendel in der Küche. Was sich am Ende von Teil 1 bei dem Gespräch zwischen Mutter und Tochter andeutete, wird hier also Realität: Mirjam und ihre Mutter "verlassen" den Vater.

    Mirjam arbeitet und ist mit Mac zusammen; vielleicht nicht die schlechteste Wahl,

    Das denke ich auch. Er ist nicht jüdisch, aber offenbar von allen akzeptiert. Selbst Mendel scheint keine Einwände zu haben. Aber insgesamt scheint er eh alles loszulassen und sich um nichts mehr zu kümmern. Und auf die Idee, selbst zu arbeiten, kommt er offenbar überhaupt nicht.

    Sam vertröstet sie, er wirkt großspurig. Er hat seine eigene kleine Vergangenheit offensichtlich vergessen.

    Vergessen kann er sie doch gar nicht, mit den Eltern, die er jetzt mit ernähren muss. Aber er will sich mit aller Gewalt distanzieren, will in Amerika dazugehören. Verdenken kann ich ihm das nicht.

    Sie will zurück, und auch Mendel denkt immer häufiger an die Rückkehr zu Menuchim.

    Auch hier kann ich die Sehnsucht nach dem Kind verstehen, aber nicht den schnellen Gedanken an Rückkehr. Sehen sie Mirjam bereist als so abgesichert an, dass sie ihren Grund zur Auswanderung bereits vergessen haben?

    Und endlich der Brief: Menuchim entwickelt sich, und er wird behandelt werden.

    Auch hier ein sehr schnelles Wunder, das für mich gleichbedeutend ist mit "die negative Umgebung / Aura durch die Eltern ist verschwunden, das Kind kann gedeihen". Zusätzlich gestärkt durch die im Kontrast sehr positiven Billes. Bedeutet das auch, dass Mendel alles Negative mit sich genommen hat, so dass sein Sohn gesunden kann? Da bietet sich viel Interpretationsspielraum, finde ich.


    Aber "Mendel wendete das Blatt um", der Ausdruck passt hier so schön: die gute Nachricht hat auch eine schlechte Nachricht bei sich, Sam Jonas rechnet mit Krieg und bereitet seine Eltern auf seinen Tod vor.

    Jonas wirkt aber sehr zufrieden mit seinem Leben, er ist angekommen. Vielleicht ist er sogar der Zufriedenste von allen, denn ihm reicht das was er hat. Er scheint glücklich als Soldat, trotz der drohenden Gefahren seines Berufs. Dass er seinem Vater eigentlich egal ist, hat mich nicht verwundert. Mendel ist ausschließlich auf Menuchim fixiert. Mir tun die anderen Geschwister mittlerweile leid mit diesen Eltern. :(

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Kapitel 10

    Mendel wirkt so als wenn er die Tage seines Lebens quasi ablebt, hinter sich bringt so zu sagen. Deborah und er sind noch in der Heimat verhaftet, sie putzt und spart wie dort und beide denken viel an Menuchim. Mendel mehr noch wie Deborah, er wirkt regelrecht verfolgt von seinen Gedanken.


    An ihre anderen Kindern scheinen sie nicht so zu hängen. Aber diese sind auch nicht so abhängig vom Wohlwollen anderer Leute bzw. können sich selbst besser helfen. Es ist aber schon irgendeine schon eine extreme Fixierung auf den Jüngsten. Ich denke Sam und Mirjam spüren das auch.


    Den größten Familiensinn hat Sam, er kümmert sich um alle. Er hätte sicher auch Jonas geholfen, wenn dieser es gewollt hätte. An Menuchim liegt ihm nicht so viel, aber deswegen allein wartet er nicht mit dem Nachholen, er will sich wohl auch erst eine solide Existens schaffen für seine Familie. Schade, das wir nicht den Namen seines Sohnes erfahren...MacLincoln heißt er sicher nicht :loool: oder doch :-k. Ob Mirjam (wenn es ihr möglich wäre) so für ihre Familie gesorgt hätte? Vielleicht bei einer reichen Heirat.

    "Wo Freundlichkeit herrscht, gibt es Güte, und wo es Güte gibt, da ist auch Magie" (Walt Disney) :montag:

  • Mendel wirkt so als wenn er die Tage seines Lebens quasi ablebt

    Das trifft es gut, finde ich.


    MacLincoln heißt er sicher nicht :loool: oder doch :-k

    Ich gehe fest davon aus - Mac zu Ehren des Freunds, Lincoln zu Ehren der neuen Heimat.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Wir wollten Dir nur Zeit geben, wieder in unserer Welt anzukommen

    Wie konnte ich nur euren Altruismus derart unterschätzen... :) !

    Ja, wir sind in der Zeit und Herkunft verhaftet, trotzdem ärgert es mich. Ich bin mir nämlich nicht sicher, inwieweit da auch Roth zu Worte kommt, der ja höchst eifersüchtig war und mit selbständigen Frauen so seine Kämpfe hatte.

    Ärgert Dich das tatsächlich? Ich nehme solche Äußerungen als historisches Zeitdokument nur zur Kenntnis. Keine Ahnung, inwieweit hier Roth spricht; vom Erzählerischen her ist es eindeutig Mendel, der hier denkt und spricht. Es wäre also auch möglich, dass Roth ihn hier demaskiert und sich lustig macht über seine Ansichten. Aber dazu kenne ich Roth zu wenig, Du kennst Dich da offensichtlich besser aus.

    bei dem "heimisch" bin ich mir noch nicht sicher.

    Das ist nur Mendels Sicht der Dinge. Nur weil er ein paar Brocken der fremden Sprache versteht, meint er, dass er sich heimisch fühlen könnte. Das nehme ich ihm nicht ab, und der ironische Unterton wirkt auch so, als ob er es selber nicht glaubt. Er fühlt sich nicht heimisch, eindeutig nicht.

    diese Metapher ist mir gar nicht aufgefallen. Vermisst also auch sie den kleinen Bruder?

    Nein, mit Sicherheit nicht. Das ist wieder Mendels Sicht, wir sehen hier alles aus seinen Augen. Er sieht Mirjam das Grammofin tragen und denkt an Menuchim. Menuchin beherrscht sein Denken.

    Auch hier kann ich die Sehnsucht nach dem Kind verstehen, aber nicht den schnellen Gedanken an Rückkehr. Sehen sie Mirjam bereist als so abgesichert an, dass sie ihren Grund zur Auswanderung bereits vergessen haben?

    Ich denke, dass hier zwei Seelen in seiner Brust wohnen. Du erinnerst Dich doch bestimmt noch an die durchbetete Nacht, in der Mendel um Erleuchtung buchstänlich kämpfte und dann den Entschluss fasste, Mirjam wegen nach Amerika zu gehen. Nun sind sie in Amerika und sehnen sich zu dem kranken Kind zurück.


    Es ist aber schon irgendeine schon eine extreme Fixierung auf den Jüngsten.

    Ja, das finde ich auch. Aber ich kann mir denken, dass das bei jeden Eltern so ist, die ein behindertes Kind haben? Es reicht ja schon ein Kind, das "nur" Sorgen macht, es muss nicht behindert sein, und das beherrscht wirklich Dein Denken. Da ist es oft schwierig, die anderen Kinder auch zu ihrem Recht kommen zu lassen.

    Den größten Familiensinn hat Sam, er kümmert sich um alle.

    Ja, stimmt! Er finanziert auch seine Eltern! Und Deborah spart schon wieder...

    Wenn man sich überlegt, in welcher schrecklichen Armut die jüdischen Ausssiedler aus dem Osten im East End in New York lebten, scheint er wirklich tüchtig zu sein.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ärgert Dich das tatsächlich? Ich nehme solche Äußerungen als historisches Zeitdokument nur zur Kenntnis.

    Ja, immer mal wieder ärgert es mich beim Lesen, auch wenn das völlig überflüssig ist. Aber bei einer Figur wie Mendel, der alleine völlig lebensuntüchtig erscheint, ärgert mich solch eine Einstellung. Wer ist er, dass er über eine gütige junge Frau derart urteilt? Ohne seine Frau und jetzt auch seinen Sohn wäre er doch völlig verloren.

    Es wäre also auch möglich, dass Roth ihn hier demaskiert und sich lustig macht über seine Ansichten.

    Möglich wäre das, aber ich hab es so nicht gelesen.

    Das nehme ich ihm nicht ab, und der ironische Unterton wirkt auch so, als ob er es selber nicht glaubt. Er fühlt sich nicht heimisch, eindeutig nicht.

    Da sind wir uns einig. :)

    Nein, mit Sicherheit nicht. Das ist wieder Mendels Sicht, wir sehen hier alles aus seinen Augen. Er sieht Mirjam das Grammofin tragen und denkt an Menuchim. Menuchin beherrscht sein Denken.

    Danke fürs Gedanken gerade rücken. :friends: Ich bin wohl noch etwas müde von letzter Woche.

    Aber ich kann mir denken, dass das bei jeden Eltern so ist, die ein behindertes Kind haben? Es reicht ja schon ein Kind, das "nur" Sorgen macht, es muss nicht behindert sein, und das beherrscht wirklich Dein Denken. Da ist es oft schwierig, die anderen Kinder auch zu ihrem Recht kommen zu lassen.

    Ganz bestimmt ist das so, auch hier stimme ich Dir zu. Allerdings hatte ich schon den Eindruck der Konzentration auf den Jüngsten, als dessen Einschränkung noch nicht so deutlich zu erkennen war. Die größeren Kinder hatten nie diese Aufmerksamkeit, sie liefen einfach mit. Und nach Menuchims deutlicher Einschränkung waren sie für die Eltern quasi nicht mehr existent nach meinem Empfinden. Das ist schon extrem.

    Er finanziert auch seine Eltern! Und Deborah spart schon wieder...

    Wenn man sich überlegt, in welcher schrecklichen Armut die jüdischen Ausssiedler aus dem Osten im East End in New York lebten, scheint er wirklich tüchtig zu sein.

    Das ist mir in diesem Moment sogar sympathisch: sie könnte sich völlig von ihrem Sohn aushalten lassen, aber sie möchte selbst einen Notgroschen zur Hand haben im Falle der Not. Und ja, Sam ist tüchtig, er hat sich zu dem entwickelt, der sich schon in der Kindheit andeutete. Und er ist verantwortungsvoll, übernimmt die Rolle des Patriarchen, der sich um alles und alle kümmert.


    Was mir momentan beim Lesen fehlt, ist eine Parallele zu Hiob: eigentlich geht es Mendel gut, er hat auch nicht wirklich viel verloren, denn seine Kinder leben, es geht ihnen gut, sein Sohn versorgt ihn sogar und er könnte besser leben als er es momentan tut, denn Sam würde auch das finanzieren. Er ist von zwei seiner Kinder getrennt, ja, und er hat die Heimat verlassen, auch das. Aber alles verloren und den Glauben auf die Probe gestellt? Das entdecke ich zur Zeit nicht. Geht es Euch auch so?

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier