Ursula K. LeGuin - Das ferne Ufer / The farthest shore

  • Fantasy-Geschichten haben mich seit jeher fasziniert, bieten sie doch den Autoren die Möglichkeit, völlig neue Welten zu kreieren, die durchaus auch einmal fern jeglicher Vorstellungskraft liegen dürfen. Dennoch gibt es in der Fantasy Elemente, die, geboren aus Sagen und Mythen, immer wieder in Erscheinung treten. Zauberer, Drachen und sagenhafte Ritter sind drei populäre Beispiele dafür. Und genau um diese Gruppe von Fabelwesen geht es in dem Roman »Das ferne Ufer« von Ursula K. LeGuin, das ich in der Film-Ausgabe, übersetzt von Margot Paronis, gelesen habe. Zu der im Umschlagtext erwähnten Verfilmung als Animationsabenteuer konnte ich allerdings keine Informationen finden.

    > Die Autorin <

    Ursula K. Le Guin hat sich sowohl als erfolgreiche Fantasy-Autorin, als auch in anderen Genres einen Namen gemacht. Die 1929 in Berkeley, Kalifornien, geborene Tochter einer Schriftstellerin und eines Professors für Anthropologie veröffentlichte 1968 mit „Der Magier der Erdsee“ den ersten Teil einer Saga, die zu einer der Beeindruckendsten in der Fantasy-Literatur zählt. Eine weitere preisgekrönte Romanserie ist der 1966 mit „Rocannons Welt“ erstmals erschienene Hainish-Zyklus. Außerdem veröffentlichte sie zahlreiche Kinderbücher, verschiedene Kurzgeschichtensammlungen, Science-Fiction-Romane und einiges mehr. Für ihre Werke erhielt sie viele Ehrungen und Preise, zu denen unter anderem der Nebula- und der Hugo-Award zählen.

    > Die Story <

    Ged, der Erzmagier von Rok, begibt sich gemeinsam mit dem Königssohn Arren auf eine abenteuerliche Reise. Es droht eine unbekannte Gefahr für Erdsee und für das Fortbestehen der Magie. Berichte haben sie erreicht, wonach immer mehr Magier ihre Fähigkeiten verlieren. Die Menschen um sie herum verfallen in Apathie und beginnen, Haus und Hof zu vernachlässigen. Ged und Arren wollen die Ursache herausfinden und die drohende Vernichtung von Erdsee verhindern.

    > Wie ein Zauber, der sehr langsam wirkt <

    Mit der Erdsee-Saga hat LeGuin eine faszinierende Welt erdacht, die wie geschaffen ist für die Freunde klassischer Fantasy. Auch ich habe bereits das eine oder andere Buch davon gelesen und habe mich meist sehr gut unterhalten. Doch der Roman »Das ferne Ufer« entwickelt sich ein wenig zäher, als gewohnt. Zunächst muss man sich an den arg gestelzten Schreibstil gewöhnen, der zwar eigentlich zur Geschichte passt, aber den Lesefluss doch etwas behindert. Auch mit den Protagonisten Ged und Arren wird man eine ganze Weile nicht warm, was vielleicht daran liegt, dass man unter den Hauptfiguren stets eine Person sucht, in die man sich hineindenken, mit der man sich identifizieren kann. Die beiden wirken jedoch zu kühl und distanziert. Sie buhlen damit nicht unbedingt um Sympathie beim Leser. Mit Ausnahme weniger Szenen wohnt der gesamten Geschichte zudem eine gewisse Kälte inne, die auch durch die Liebe des jungen Arren zu seinem Meister nicht erwärmt werden kann.

    Die phantastischen Abenteuer der beiden nehmen dann aber in der zweiten Hälfte an Fahrt auf. Das Floßvolk, die Drachen und das Land der Toten sind faszinierende und phantasievolle Episoden, die fesseln und dem Roman am Ende schließlich die nötige Daseinsberechtigung geben. Doch bis es soweit ist, vergeht sehr viel Zeit, die schnell auch mal in Langeweile umschlägt. Denn leider sorgen auch die Handlungsweisen der Protagonisten mehr für Verwirrung, als dass sie die Geschichte vorantreiben. So erschließt sich zunächst nicht unbedingt, weshalb sich Arren zeitweise so wankelmütig, hin und her gerissen zwischen Liebe und Ablehnung, gegenüber Ged zeigt. Die Erkenntnis kommt erst später. Auch die Launen von Ged, die eine auf den ersten Blick anlasslose Spannbreite von mürrisch und verschlossen bis hin zu himmelhoch jauchzend besitzt, sind zunächst schwer verständlich.

    Die Atmosphären der verschiedenen Schauplätze, die Ged und Arren im Laufe der Reise besuchen, spielen gekonnt mit der latenten Bedrohung. Während bedrückende Szenen das Gefühl von Gefahr noch verstärken, dienen solche voller Licht und Fröhlichkeit als kurze Entspannung vor dem nächsten Angriff der Dunkelheit.

    > Fazit <

    Insgesamt ist »Das ferne Ufer« jedoch ein recht schwaches Buch der Erdsee-Saga. Bis zur Hälfte ist es recht zäh und düster. Erst im zweiten Teil entfaltet sich eine phantastische Welt, wie man sie von LeGuin eigentlich kennt. Möglicherweise liegt die Schwäche des Romans in dem Versuch, die Dramaturgie an die Gesetzmäßigkeiten eines Films anzupassen. Dem Plot war es allerdings nicht sonderlich zuträglich.

    Insofern ist der »Das ferne Ufer« ein etwas langatmiger und wegen seiner gestelzten Sprache auch nicht unbedingt leicht zu lesender, klassischer Fantasy-Roman. Für Freunde des Genres und der Autorin ist er sicherlich zu empfehlen. Wer mehr Handlung und Action erwartet, wird möglicherweise enttäuscht oder muss einen langen Atem haben.

  • Danke für die detailierte Besprechung. Die Erdsee-Reihe steht bei mir auch noch auf einer (nicht erfassten, mentalen) Wunschliste.

    Zu der im Umschlagtext erwähnten Verfilmung als Animationsabenteuer konnte ich allerdings keine Informationen finden.

    Damit ist mit Sicherheit die japanische Adaption durch Studio Ghibli gemeint, die im Deutschen unter dem Titel Die Chroniken von Erdsee (Link führt zu Wikipedia) bekannt ist. Die Handlung des Films orientiert sich aber eher lose auf der Handlung des Buches.

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Ursula K. LeGuin / Das ferne Ufer“ zu „Ursula K. LeGuin - Das ferne Ufer / The farthest shore“ geändert.
  • Seit langer Zeit schon wollte ich die Bücher über die geheimnisvolle Inselwelt Erdsee lesen und ich freu mich, dass ich die erste Trilogie endlich für mich entdeckt habe.
    In den 1970 Jahren wurde die erste Geschichte geschrieben von einer Frau, die sich zur damaligen Zeit vor allem im Science Fiction Bereich einen Namen gemacht hat und die lange Riege der schreibenden Männer durchbrochen hat.
    Die Themen in diesen Büchern sind wichtig, berührend und mit viel Feingefühl umgesetzt - ohne aufdringlich zu wirken und oft nur zwischen den Zeilen spürbar. Ein großartiger Stil, der die vielen Inseln dieser Welt zum Leben erweckt und uns eine Reise ermöglicht, die uns mit den Protagonisten durch innere und äußere Kämpfe führt, aber auch die Gesellschaft der damaligen (und heutigen) Zeit widerspiegelt.


    Arren, ein Königssohn aus Enlad, kommt auf die Insel Rokh mit einer wichtigen Botschaft: Die Zauberer verlieren ihre Magie, ihre Worte, die wahren Namen. Doch nicht nur dort schleicht sich diese Verlorenheit ein, denn von überall her dringen ähnliche Nachrichten durch, die die Meister Magier nicht so recht einzuschätzen wissen.

    Der Erzmagier jedoch nimmt Arren mit auf eine Reise, um diesen Entwicklungen auf den Grund zu gehen.

    Mit Arren haben wir einen stolzen und tapferen jungen Mann, der gerne im Dienste des Erzmagiers steht und von Beginn an eine tiefe Verbundenheit mit ihm verspürt. Umso schlimmer für ihn, als er auf dieser Reise in die entlegensten Gegenden des Inselreiches kommt und leise Zweifel auftauchen - an der Macht des Magiers und am Sinn der Reise, dessen Ziel ihnen lange unbekannt ist.

    Hier lernen wir etwas mehr von Erdsee kennen. Verschiedene Völker mit ihren ganz eigenen Lebensstilen und Bräuchen - und alle von ihnen scheinen von dieser neuen "Seuche" befallen zu sein, die sie etwas suchen lässt, dass jedoch nie erreichbar zu sein scheint.
    Diese Inseln und die Lebensweisen kennen zu lernen war spannend und beinhaltet viele originelle Ideen. Wobei auch hier wieder die beiden Protagonisten im Vordergrund stehen, die auf ihrer Reise zu verstehen versuchen, was mit ihrer Welt passiert.

    Auch die Drachen haben einen Auftritt, die in ihrer Bedeutung als uralte, ewige Wesen imposant wirken und man sie fast schon vor sich sieht, wie sie sich elegant und kraftvoll durch die Lüfte schwingen. Obwohl man sie etwas besser kennenlernt bleiben sie einem doch fern, was ihre mystische Größe noch unterstreicht.

    Die Themen sind allgegenwärtig: das Gute und das Böse, das Licht und die Dunkelheit, das Leben und der Tod -> und das Streben nach Unsterblichkeit. Im Nachwort spürt man, wie die Autorin viele aktuelle Themen der Gesellschaft mit hineingewoben hat und wie sehr sie sich mit ihrer Geschichte auseinander gesetzt hat. Wie viele andere hat sie sich nicht von Anfang an festgesetzt wohin ihr Weg führen wird, sondern hat sich von den Charakteren leiten lassen, mit denen sie zusammen die vielen Abenteuer durchlebt hat.

    Ich hab mir auch viele tolle Zitate notiert, von denen ich euch drei gerne zeigen möchte:

    "... aber wenn wir nach Macht über das Leben streben - nach grenzenlosem Reichtum, uneingeschränkter Sicherheit oder Unsterblichkeit - dann entwickelt sich Verlangen zur Gier. Und wenn Wissen sich in den Dienst dieser Gier begibt, kommt das Böse. Dann kippt das Gleichgewicht der Welt, und Zerfall drückt die Waage nach unten."
    Zitat Seite 371

    "... ich weiß, dass es nur eine Macht gibt, die echt ist und die es sich zu haben lohnt. Und das ist die Macht, nicht zu nehmen, sondern hinzunehmen."
    Zitat Seite 468

    "Um das Licht einer Kerze zu sehen, muss man sie in die Dunkelheit tragen."
    Zitat Seite 47

    Viele großartige, berührende Botschaften. Gerade die letzte hat mich nicht losgelassen und zum Nachdenken gebracht. Denn ein Licht in hellen Räumen mag zwar strahlen, bewirkt aber nicht viel. Wenn es sich aber ins Dunkel wagt, kann es manches erhellen und Hoffnung schenken, das in der Düsternis gefangen war.


    Man merkt hier einen anderen Stil, als den man heutzutage in dem Genre gewohnt ist - und ich bin davon sehr begeistert! Auch wenn man die Welt kennenlernt lenkt sie den Fokus auf die jungen Protagonisten, die anfangs in ihren bisherigen Erfahrungen feststecken und erst durch neue Wege und Begegnungen lernen, ihre Sicht über den Tellerrand zu heben. Dazu kommen aber auch große Themen, die jeden Menschen mal mehr, mal weniger bewegen, Themen zur Gesellschaft und dem Leben an sich - alles eingebettet in eine großartige magische Welt von Erdsee und einer Spannung, die ohne Action oder blutrünstige Kriege auskommt.

    Weltenwanderer