Ralf Rothmann – Theorie des Regens

  • Original: Deutsch, 2023


    AUSSCHNITT:

    »Immer habe ich den Regen geliebt – solange ich nicht nass wurde. Die Welt ist friedlicher, wenn es regnet, still sitze ich am Fenster und höre zu, wie der Wolkenbruch das Laub der Linde, die Postkästen und die leeren Flaschen hinter dem Bistrot zum Klingen bringt. So flüssig schriebe ich gern. Die ganze rue Delambre ist bis zur letzten Laterne auf eine glänzende Weise ausformuliert, und ich blicke durch die Tropfen auf der Fensterscheibe wie durch winzige, schnell zerlaufende Prismen auf mein Leben.«


    Ralf Rothmanns Notizen aus fünfzig Jahren: So persönliche wie lyrische, so grimmige wie humorvolle Momentaufnahmen aus den Erinnerungen eines Autors, von dem wir viele wunderbare Romane und Erzählungen kennen und der uns hier mit wenigen Worten vor Augen führt, was versöhnen könnte mit den Zumutungen der Mitwelt und der viel zu rasch vergehenden Zeit: Eine poetische Existenz.

    (Quelle: Klappentext)


    BEMERKUNGEN:

    Mal sind es Beobachtungen aus gemachten Reisen, Begegnungen, Literaturabenden, mal nahezu aphoristische Aussagen, mal Reflexionen über dieses oder jenes: gemachte Lektüren, geliebte Autoren, Gedanken über das Schreiben, den Glauben, seine Beziehungen… Dann auch, vielleicht unerwartet, Sprachfehler, bzw Wortverbuchslungen, die der Autor plötzlich bei sich selbst erkennt. Der Rothmann-Liebhaber wird hier und da auch Themen und Rahmen, Orte, aus den Romanen oder den Erzählungen wiedererkennen!


    Je nach eigenem Charakter und Temperament wird man manches nicht ganz so zu schätzen wissen wie anderes, aber ich denke, dass im Grunde genommen all dies sehr interessant ist und uns einen Einblick in das Innenleben des Autors gewährt. Mich erinnerten diese Momentaufnahmen ein wenig an “Gestern unterwegs” von Peter Handke (den er im Übrigen schätzt).


    Diese geballten 220 Seiten liest man nicht einfach so runter, sondern schlägt das Buch eventuell mal zufällig auf und liest einen, zwei, drei Einträge. Hier ein paar:


    Die Geburt der Religion aus dem Geist der Freude: Manchmal fehlt mir zu meinem Glück nichts als jemand, dem ich dafür danken kann.”


    Nicht allein die gelebten Phasen verdichten sich zu Erfahrungen, auch die ungelebten wirken schon auf die Existenz ein. Aus Vorahnung erfahren, wie die Mädchen zu beginn der Pubertät.”


    Mein mühsam erworbenes Unwissen.”


    Sich über den Tod zu erbittern ist so unsinnig wie darüber, dass das Gras grün ist. Es ist ein leiser Trost in dem Gedanken, dass man sterbend ein Gesetz erfüllt, das das Leben, wie verborgen auch immer, bestimmt hat.”


    Die wirkungsvollste Vergeltung ist und bleibt Vergebung.”


    AUTOR :

    Ralf Rothmann (* 10. Mai 1953 in Schleswig) ist ein deutscher Schriftsteller. Er wuchs im Ruhrgebiet in der Umgebung von Oberhausen auf. Nach der Volksschule und einem kurzen Besuch der Handelsschule machte er zunächst eine Lehre als Maurer. Später schlug er sich mit verschiedenen Jobs durchs Leben, arbeitete als Fahrer, Koch, Drucker und als Krankenpfleger. Seit 1976 lebt er in Berlin, wo er 1984 sein literarisches Erstwerk veröffentlichte, den Lyrikband Kratzer, für den er 1986 das Märkische Stipendium für Literatur erhielt. Sein erster Roman Stier erschien 1991. 1999/2000 war Rothmann poet in residence an der Universität Essen. Er lebt heute als freier Autor mit seiner Frau in Berlin-Friedrichshagen am Müggelsee. Er erhielt für sein Werk verschiedene renommierte Literaturpreise (u.a. 2005: Heinrich-Böll-Preis; 2006: Max-Frisch-Preis). 2023: Thomas-Mann-Preis für obiges Werk!


    Weitere sehr gute Infos zum Werk und zum Autor auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Ralf_Rothmann


    Publisher ‏ : ‎ Suhrkamp Verlag; Originalausgabe edition (17 April 2023)

    Language ‏ : ‎ German

    Hardcover ‏ : ‎ 215 pages

    ISBN-10 ‏ : ‎ 3518225456

    ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3518225455

    Dimensions ‏ : ‎ 14.4 x 3 x 22 cm

  • “Die Geburt der Religion aus dem Geist der Freude: Manchmal fehlt mir zu meinem Glück nichts als jemand, dem ich dafür danken kann.”

    “Sich über den Tod zu erbittern ist so unsinnig wie darüber, dass das Gras grün ist. Es ist ein leiser Trost in dem Gedanken, dass man sterbend ein Gesetz erfüllt, das das Leben, wie verborgen auch immer, bestimmt hat.”

    Wunderschöne Zitate hast du ausgesucht und deine Gedanken zum Buch sehr feinfühlig formuliert, danke dafür!

    Liebe Grüße von Lorraine :)


    "Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen." (Karl Kraus) :study:

  • Zitat von Lorraine

    Wunderschöne Zitate hast du ausgesucht und deine Gedanken zum Buch sehr feinfühlig formuliert, danke dafür!

    Danke! Dann setze ich für Dich insbesondere noch diese zwei Zitate ein:


    "Warum lässt sich das Göttliche oder das Absolute nicht erkennen? Weil das Bewusstsein etwas Trennendes ist. Gott aber ist umfänglich, ist die Einheit mit allem, also auch mit dem, der ihn erkennen will. Deswegen wird man erst nach dem Erlöschen des Bewusstseins wirklich "bei ihm sein". Was könnte man denn denken, das nicht Unfug wäre vor dem Absoluten? Selbst der Gedanke an Gott wäre Unfug vor ihm, und das ist letztlich nur dem Glauben einleuchtend - einem Innewerden, das etwas Tieferes darstellt, als es jedes noch so differenzierte Erkennen sein kann."


    "Es wird übrigens nicht von Nachteil sein, wenn wir sterben. Das egoistische Wesen wird in einem grösseren Zusammenhang aufgehen. Alle Begrenzungen sind zu Ende, und nichts daran ist sinnlos. Schau die diese Blume an, sie ist leuchtend rot, damit die Biene sich nicht auf die dunklen Blätter setzt, oder? Der Sinn kann nicht plötzlich aufhören. Nur die Widersprüche hören auf, zum Beispiel zwischen Subjekt und Objekt oder Körper und Geist - und damit der Widersinn. (...) Die Kraft bleibt, nur die Art der Kraft ändert sich."

  • Danke! Dann setze ich für Dich insbesondere noch diese zwei Zitate ein:

    Vielen lieben Dank, was für wunderschöne Sätze! :love: Beide treffen mitten ins Herz non-dualistischer Erfahrungen. Erst wenn alle Worte, alles Denken wegfällt, selbst der Gedanke an Gott, hat die Seele die Möglichkeit mit ihrem Schöpfer im Ruhegebet in Kontakt zu treten.

    Ebenso der Tod - nichts anderes als ein Verwischen aller Grenzen, ein Auflösen im großen Ganzen. Von Meister Eckhart habe ich einen sehr schönen Satz gelesen, an den ich oftmals denke: "Wenn die Fülle der Zeit erreicht ist, ist keine Zeit mehr." Alles hier auf Erden Erfahrbare bleibt unvollendet, Stückwerk.

    Ich beginne erst jetzt zu entdecken, wie viele großartige Mystiker es gegeben hat und gibt, die genau diese Ideen (oft sehr zum Missfallen der offiziellen Kirche) vertreten.

    Nochmals vielen Dank für das Heraussuchen und Aufschreiben dieser wunderschönen Zitate, selten gelingt die Formulierung so vortrefflich. :friends:

    Liebe Grüße von Lorraine :)


    "Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen." (Karl Kraus) :study: