... Die Kreaturen der Tiefsee und was sie mir über das Leben erzählen /... A Life in Ten Sea Creatures
Klappentext/Verlagstext
Eine besondere Faszination geht von den geheimnisvollsten Kreaturen der Tiefsee aus, die verborgen vor den Augen der Welt ein Dasein fernab vom Sonnenlicht fristen. Weißhaarige Yeti-Krabben, unsterbliche Quallen, wilde Goldfische, hungernde Tiefseekraken und hybride Schmetterlingsfische – in jedem Kapitel verbindet Sabrina Imbler naturkundliche Beobachtungen mit Geschichten aus dem eigenen Leben und reflektiert über das Erwachsenwerden, Anpassung, fluide Sexualität, Migration, Gemeinschaft und Umweltzerstörung. Dabei entsteht ein dichtes Geflecht aus meeresbiologischen Fakten und persönlichen Erfahrungen, das einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. «So weit das Licht reicht» ist ein faszinierender Tauchgang von der Oberfläche bis zum Meeresgrund und nicht zuletzt ein Plädoyer für neue Visionen unserer Welt und der erstaunlichen Kreaturen, die sie beherbergt.
Autor:in
Sabrina Imbler ist Schriftsteller:in und Wissenschaftsjournalist:in, lebt in Brooklyn und veröffentlicht Essays und Reportagen unter anderem in der New York Times, "The Atlantic", "Catapult" und "Sierra". "So weit das Licht reicht" ist Imblers Debüt und wurde vom Time Magazine zu einem der zehn besten Nonfiction-Bücher des Jahres 2022 gekürt.
Sabrina Imbler is a writer and science journalist living in Brooklyn. Their first chapbook, Dyke (geology) was published by Black Lawrence Press, and they have received numerous fellowships and scholarships in the US, including from the Asian American Writers' Workshop and Tin House. They are the recipient of the Evert Clark/Seth Payne Award for young science journalists, and their essays and reporting have appeared in the New York Times, the Atlantic, Catapult, and Sierra, among other publications.
Inhalt
Sabrina Imblers Essay-Sammlung stellt jeweils ein Lebewesen aus dem Meer einem charakteristischen Begriff gegenüber, der ihre Entwicklung zur queeren Person repräsentiert. Als Erzählperspektive wählt die Autor:in die Ich/Wir- und die Du-Form, die sich als man/an sich selbst gerichtet interpretieren lässt.
Imbler wuchs in Foster City/Kalifornien als Tochter einer chinesisch-stämmigen Mutter auf. Im gentrifizierten Umfeld zwischen privaten Swimmingpools und Tennisplätzen war eine schüchterne, jugendliche Asian American auf der Suche nach ihrer Identität nicht vorgesehen. Sabrina Imbler widersprach US-amerikanischen Normen (weiß, christlich, hetero) gleich dreifach: PoC/Mixed Race, übergewichtig und queer waren hier nicht vorgesehen.
Imblers in den USA sozialisierte Mutter war übergewichtig und übte erheblichen emotionalen Druck auf die Tochter aus, abzunehmen. Die Ur-Großmutter hungerte auf der Flucht vor der japanischen Besetzung Shanghais, um die spärlichen Nahrungsmittel ihren Kindern zu lassen. Ein Nährboden für Essstörung und gestörtes Körperbild wie aus dem Bilderbuch. Den äußeren Zwang, sich in amerikanische Kleidergrößen ihrer Mutter zu hungern, verknüpft die Autor:in mit dem Verhungern eines Krakenweibchens, um dem Kraken-Nachwuchs im Gelege die bestmöglichen Überlebenschancen zu sichern. Weitere Begriffspaare sind u. a. Wanderung des chinesischen Störs (auch gegen Staudammwände) versus Krieg, Flucht und Hunger ihrer chinesischen Vorfahren, Sterben eines Pottwals versus Sterben ihrer eigenen Partnerbeziehung, Verletzung von Meerestieren allgemein gegen Imblers Selbstverletzungstendenzen, Kommunikation von Sepien als Vorbild für genderfluide oder genderlose Personen, Cluster im Tierreich versus Schwärme von Menschen und – sexistische Darstellung in Naturdokus (wenn ein weiblicher Krake z. B. als Trickbetrüger/Transvestit) bezeichnet wird.
Fazit
Die meeresbiologischen Abschnitte (mit einer Fülle von Quellenangaben), meeresbezogene Fun-Facts und Anekdoten aus der queeren Szene New Yorks waren für mich durchweg interessant und rechtfertigen die Wahl in die 10 besten Nonfiction-Bücher. Imblers schmerzhafte Suche danach, WER sie/er ist, wirkt als Augenöffner, da das Thema Rassismus aus meiner Sicht in Europa offenbar von Schwarzen Personen belegt wird und Stimmen asiatisch-stämmiger Europäer:innen bisher rar sind. Die Versöhnung der erwachsenen Autor:in mit dem Einfluss ihrer Familienbiografie auf ihr Körperbewusstsein kratzt m. A. leider nur an der Oberfläche. Auch wenn mein Interesse an dem Kind, das diese queere Journalist:in einmal war, nur am Rand befriedigt wurde, hat mich Imblers schwerer Weg stark berührt vom Unbehagen am vorgegebenen Gender bis zur Erkenntnis, dass sie queer IST und es nicht nur sein will, weil andere ein Etikett von ihr fordern.
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Vor 10 Jahren hätte ich mir noch nicht vorstellen können, dass sich ein Text ohne männliche und weibliche Pronomina flüssig lesen lässt – das gelingt hier unfallfrei. Rechnen Sie mit Gender-Sternen, den Pronomina „they/them“ und „die*der“ und der anonymisierenden Benennung von Personen mit ihrem Anfangsbuchstaben.
Mit der Darstellung von sexueller Gewalt und Victim Blaming sollten Sie rechnen.