Jürgen Pettinger - Dorothea

  • Über den Autor:

    Jürgen Pettinger, geboren 1976 in Linz, hat Wirtschaft & Management in Innsbruck studiert und als Redakteur und Moderator von Tirol heute im ORF- Landesstudio Tirol gearbeitet. 2012 wechselte er ins ORF-Zentrum Wien. Er moderiert die ZIB18, die ZIB Flashes, ZIB Nacht und gestaltet regelmäßig TV- und Radio-Reportagen. Für das Ö1-Radiofeature Mit einem Warmen kein Pardon. Der Fall Franz Doms wurde er mit dem Prof. Claus Gatterer-Preis und dem deutschen dokKa-Preis geehrt. (Quelle: Verlag)


    Inhalt:

    Als bekannte Schauspielerin, die ihre jüdische Freundin in Wien jahrelang vor den Nazis versteckte, riskierte sie alles. Jürgen Pettinger rekonstruiert die Geschichte einer queeren Heldin.

    Die berühmte Schauspielerin Dorothea Neff (1903–1986) nahm ab 1940 ihre jüdische Freundin Lilli Wolff als U-Boot in ihrer Wohnung auf. Mit viel Mut, Opferbereitschaft und List gelang die Geheimhaltung. Aber 1944 musste Lilli mit einem Tumor in der Brust ins Krankenhaus. Wie sollte sie operiert werden, ohne aufzufliegen?

    Jürgen Pettinger rollt den Fall neu auf, spürt in den Dokumenten und von ihm wiederentdeckten Tonaufnahmen der Beziehung der beiden Frauen nach und zeigt, dass queere Aktivist:innen von heute auf den Schultern der queeren Held:innen von damals stehen. (Quelle: Verlag)


    Mein Eindruck:

    Jürgen Pettinger wählt die Form der Romanbiografie, was den Text lebendiger werden lässt.

    Schon das Vorwort des Buches empfand ich als äußerst informativ. Es war erschreckend, wie schwierig und überaus gefährlich das Leben für homosexuelle Menschen in diesen Zeiten war. Außer einer Verurteilung zog es oft noch Ausschluss aus der Familie, soziale Isolation und der Verlust des Arbeitsplatzes nach sich. Akademische Titel wurden aberkannt. In der NS-Zeit kamen noch diverse „Sondermaßnahmen“ wie beispielsweise Arbeitslager hinzu. Lebensgefährliche Konsequenzen also. Zwar gab es Duldungen bei wenigen und sehr bekannten Stars, aber Dorothea Neff hätte damit nicht wirklich rechnen können.

    Kaum zu fassen ist, dass die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus lange Zeit für Homosexuelle nicht möglich war.


    Dorothea Neff gelang es, ihre Freundin Lilli Wolff bei sich zu verstecken, als es klar wurde, dass diese zu einem Arbeitslager sollte. Ab diesem Moment musste Lilli sich wie ein Geist verhalten. Keine großartigen Bewegungen in der Wohnung, bestimmte Fenster, die von außen einsehbar waren, musste sie meiden. Lilli Wolff hatte Todesängste ausgestanden vor Angst, dass sie entdeckt werden könnte. Zu sehen wie vorsichtig man agieren musste im Umgang mit Menschen. Wem konnte man vertrauen, wem nicht? Diese Fragen waren überlebenswichtig. Langsam umgab die Beiden ein vertrauenswürdiger Personenkreis, wie z.B. der Nachbar Erwin Ringel. Damals noch Medizinstudent, der später noch eine sehr wichtige Rolle im Leben von Wolff und Neff spielte.

    Fassungslos verfolgte man die ständige Gefahr, die über diese Geschichte schwebte. Erlebte mit, wie man alltägliche Schwierigkeiten überwand. Es fließen Erzählungen über das Leben und beruflichen Werdegangs von Dorothea Neff, sowie Lilli Wolffs mit ein. Gegen Kriegsende stoßen noch zwei weitere Frauen aus dem Umfeld von Lilli Wolff hinzu, Meta und Mati aus Köln.

    Selbst das Ende des Krieges und die Befreiung Wiens durch die russische Armee bargen noch weitere Gefahren für die Frauen.


    Fazit:

    Die im Buch enthaltenen Fotografien waren für mich mit ein i-Tüpfelchen. Zwar ist das Buch nicht gerade seitenstark, dafür aber sehr gut recherchiert und enthält vielfältige Details zur Geschichte der beiden Frauen. Für mich entstand so ein lebendiges Bild und ich bewundere ihre Tapferkeit und Mut. An entsprechend Interessierte empfehle ich das Buch weiter.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • "Wenn dich das Knarren des Parketts verraten könnte..- versteckte Juden in der NS-Zeit in Wien"


    Jürgen Pettinger zeichnet in diesem Buch die Jahre 1941-1944 im Leben der Schauspielerin Dorothea Neff (1903-1986) nach.


    Dorothea Neff versteckt in dieser Zeit ihre Lebensgefährtin, die Kostümbildnerin Lilly Wolff in ihrer Wohnung in der Annagasse in Wien. Lilly Wolff ist nämlich gleich doppelt bedroht, denn sie ist lesbisch und Jüdin. Eine tödliche Kombination während des NS-Regimes, das alle jene, die nicht in ihr Weltbild passen, gnadenlos verfolgt und ermordet. Unmittelbar vor der Deportation zieht Lilli Wolff in Dorothea Neffs Wohnung ein.


    Dorothea Neff gefährdet mit dieser großzügigen und mutigen Tat nicht nur ihre eigene Schauspielkarriere, sondern auch ihr Leben. Daher spielt sie in diesen vier Jahren die
    Rolle ihres Lebens. Lilli muss unsichtbar sein, sich wie ein Geist verhalten. Kein Spaziergang, ja nicht einmal ans Fenster gehen und vorsichtig durch die Wohnung schleichen, denn das Knarren des alten Parkettbodens könnte sie verraten. Wenn Dorothea Neff einen der seltenen Besuche bekommt, muss sich Lilli im Kamin verstecken.


    Einer der wenigen Menschen, denen sie vertraut ist der junge Arzt Erwin Ringel, der im selben Haus wohnt. Als Lilli Wolff einen Tumor in der Brust entdeckt, schummelt er sie unter falschem
    Namen ins Krankenhaus. Sie überlebt die Operation.


    Die beiden Frauen leben von den mageren Rationen einer einzigen Lebensmittelkarte. Nur hin und wieder gelingt es der Neff, ein paar Deka mehr zu erhalten.


    Als dann noch ein hochrangiger SS-Angehöriger in das Haus einzieht, spitzt sich die Situation für Lilli und Dorothea nochmals zu. Doch mit der Ankunft von Mati und Meta Lillis
    Freundinnen aus dem zerstörten Köln, entgeht Dorothea Neff der behördlich angeordneten Einquartierung. Nun leben vier Frauen von drei Lebensmittelrationen.


    Doch auch mit dem Einmarsch der Russen 1945 scheint die Gefahr noch nicht gebannt zu sein.

    Nach dem Ende des Krieges wird Lilli Wolff Europa verlassen und niemals wiederkommen. Dorothea Neff hat über die Jahre im Krieg geschwiegen. Erst 1978 spricht sie in einem Interview darüber. Während das offizielle Österreich nach wie vor keine Notiz davon nimmt, wird der israelische Botschafter in Basel auf diesen Artikel aufmerksam. 1980 wird Dorothea Neff mit der Medaille von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.


    Meine Meinung:


    Wie schon in seinem Buch „Franz. Schwul sein unter dem Hakenkreuz“, hat Jürgen Pettinger mit diesem Buch abermals das Leben homosexueller Menschen während des NS-Regimes
    nachgezeichnet. Diesmal beschäftigt er sich mit der Schauspielerin Dorothea Neff und der Kostümbildnerin Lilli Wolff, die ein Paar sind. Da Lilli Jüdin ist, schwebt sie in ständiger Gefahr deportiert zu werden.

    Die Biografien von Dorothea Neff und Lilli Wolff sind penibel recherchiert. Um die Dramatik dieser Jahre für die Leser erlebbar zu machen, hat Jürgen Pettinger diesmal die Romanbiografie als Erzählform gewählt.


    Zahlreiche Fotos ergänzen dieses beeindruckende Buch.


    Fazit:


    Dieser einfühlsamen und beeindruckenden Romanbiografie, die stellvertretend für Tausende von verfolgten und ermordeten Homosexueller der NS-Zeit steht, gebe ich gerne 5 Sterne.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)