Wolf Haas - Eigentum

  • Kurzmeinung

    mapefue
    Der Haas und die liebe 95-jährige Mutter
  • Kurzmeinung

    Marie
    Schmerz - Trauer - Wehmut - vollendet erzählt in Haas' ganz eigener Sprache
  • "Eigentum" von Wolf Haas ist ein (auto)biographisch geprägter Roman über die letzten Lebenstage seiner Mutter, die 95jährig in einem Pflegeheim verstirbt. Passagen des Ich-Erzählers Wolf Haas, der die letzten Stunden bei seiner Mutter in seinem Heimatort verbringt, wechseln sich mit Rückblenden ab, in denen er seine Mutter als Ich-Erzählerin von ihrem Leben berichten lässt. Diese Erinnerungen sind umgangssprachlich und mit dialektalen Einsprengseln gehalten. Der Sprachduktus hat mich sehr an die Erzählweise meiner eigenen Großmutter erinnert. Einige Erinnerungen sind bewusst widersprüchlich gehalten, manches wiederholt sich, als würde man tatsächlich einem alten Menschen beim Erzählen zuhören. Bereits durch diese sprachlichen Mittel hatte ich ein lebendiges Bild seiner Mutter vor Augen.



    Für die Mutter, 1923 geboren, waren die Kriegsjahre und die erlebten Inflationen prägend. Der Wunsch nach Eigentum war immer da, erfüllte sich zu Lebzeiten jedoch nie - erst mit dem Begräbnis, so sinniert Wolf, bezieht sie erstmals eigenen Wohnraum, die letzte Wohnung für die Ewigkeit, 1,7 qm im bester Lage, unverbaubar.


    Das Buch ist geprägt von dem für Wolf Haas typischen Humor und seiner Kunst, die Alltagssprache authentisch einzufangen und literarisch anspruchsvoll zu verarbeiten. Trotz seines manchmal recht bissigen Humors, auch im Angesicht des Todes, und des klaren Blicks auf die Ecken und Kanten seiner Mutter spürt man eine große Zuneigung aus seinen Worten, und das Buch ist eine schöne Hommage an sie und vielleicht auch an viele Frauen aus dieser Generation, die ein ähnliches Leben geführt haben. Lesenswert!


    5 Sterne.

  • Bissige Bilanz

    Die Aufmachung des Buches ist gelungen, ebenfalls das Spiel mit dem Titel, ein Schmunzeln ist garantiert.
    Wolf Haas erzählt die Lebensgeschichte seiner Mutter, die im Wesentlichen von Entbehrungen und dem Streben, sich daraus zu befreien, bestand. Ein berührender Lebensweg, geprägt von den Auswirkungen der zwei Weltkriege. Führt man sich dieses Leben bewusst vor, wird sehr deutlich, dass man mit Frau Haas wahrlich nicht tauschen möchte. Sie durchlebt traumatisierende Ereignisse und kämpft ein Leben lang mit den Konsequenzen - ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt.

    Ganz schonungslos und sehr bissig zieht der Autor eine Bilanz, sowohl für seine Mutter als auch für sich und ansatzweise für seinen Bruder. Wie ist es, wenn die Lebensbedingungen einen von Anfang bis Ende an der Nase herumführen und man trotz aller Anstrengung und Willenskraft nicht schafft, sich aus eigener Kraft ein besseres Leben aufzubauen? Was macht das mit den eigenen Kindern? Es ist keine rührselige Geschichte geworden, im Gegenteil. Mit dieser Mutter möchte man nicht wirklich aufgewachsen sein, so sehr ihre Geschichte unverschuldet ist und zumindest theoretisch sehr berührt.

    Meines Erachtens wird dies auch im Schreibstil deutlich. Es ist ein permanentes Hin und Her zwischen Zuwendung und bissiger Kritik, Verständnis und Unverständnis oder gar Ablehnung. Genau dies hat das Buch für mich jedoch sehr anstrengend gemacht. Ironie und Sarkasmus sind immer wieder von Humor durchzogen, ich konnte immer wieder lachen. Viel öfter ist mir jedoch das Lachen im Hals stecken geblieben. Empathie kam für mich nur theoretisch auf, wenn ich mir die Ereignisse durch den Kopf gehen ließ - mitfühlen konnte ich weder mit der Hauptfigur noch mit dem Erzähler. Am Ende war ich froh, fertig zu sein sowie verstört. Ich habe mich gefragt, warum ich das Buch eigentlich gelesen haben soll.

  • Sie konnte nicht mit den Leuten


    Gibt es den eigentlich: den typisch österreichischen Tonfall? Arno Geiger, Robert Seethaler und auch Wolf Haas haben so eine gewisse Lakonie gemeinsam. "Was solls, sie würde voraussichtlich nicht mehr lange leben ...". Ganz Wolf Haas-mäßig erzählt er in keiner aufpolierten Schriftsprache, sondern als würden wir gemütlich zusammen auf einer Bank sitzen - ob es nun O-Ton der Mutter ist oder sein eigener innerer Monolog. Da muss man auch nicht unbedingt die Sätze beenden, wenn eh schon klar ist, wohin der Hase läuft. Ansonsten sind aber immer mal rein assoziativ ein paar philosophische Loopings fällig, bei denen ich zweimal hinschauen muss, bis ich sie kapiere, und dazwischen lugt noch ein verschmitzter Humor hervor. Das erzeugt auch harte Kontraste zwischen den umgangssprachlichen Passagen und total geschraubten Formulierungen ("Einen Wesenskern hinter der Erscheinung zu vermuten, wäre eine etwas überambitionierte philosophische Übung gewesen.")


    So entsteht keine lineare Biografie, sondern als Mosaik das Bild einer eigenartigen Frau, vom Schicksal benachteiligt und voller Trotz. Hochdramatisch verläuft eigentlich das Leben der Mutter, aber Haas kreist auch ständig um sein eigenes, das ja wesentlich von dieser Frau geprägt wurde. Dabei flicht der promovierte Linguist durchgehend eine Metaebene ein, da ihn seine geplante Poetikvorlesung über Gebühr beschäftigt, und er denkt laut nach über das Thema "Sprache ist Musik".


    Wolf Haas bedient eigentlich nie das vordergründig gewählte Genre, ob Krimi, Liebesroman oder Biografie, sondern benutzt es allemal als Sprungbrett für seine Sprachartistik. Jedermanns Sache ist das natürlich nicht, man muss sich schon für Sprachspielereien unter besonderer Berücksichtigung des Volksmunds begeistern können. Das vorausgesetzt, bereitet auch dieses Buch wieder Vergnügen, aber die Frage "Kann man vom Leben schreiben?" beantwortet dieses kleine etwas konfuse Bändchen nicht abschließend.

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  • Klappentext:


    „Alles hin.“ Die Mutter, das Geld, das Leben. – Der neue Roman von Wolf Haas


    „Ich war angefressen. Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen." Mit liebevoll grimmigem Witz erzählt Wolf Haas die heillose Geschichte seiner Mutter, die, fast fünfundneunzigjährig, im Sterben liegt. 1923 geboren, hat sie erlebt, was Eigentum bedeutet, wenn man es nicht hat. „Dann ist die Inflation gekommen und das Geld war hin." Für sie bedeutete das schon als Kind: Armut, Arbeit und Sparen, Sparen, Sparen. Doch nicht einmal für einen Quadratmeter war es je genug. Endlich wieder ein neuer Roman von Wolf Haas. Ein großes, berührendes Vergnügen.



    Mein Lese-Eindruck:


    Das Cover ist ein Hingucker: aufs Äußerste minimalistisch, und der Einband imitiert abgestoßenes Packpapier. Besser geht es nicht, das Cover für dieses Buch über eine extrem sparsame Frau! Und die beiden Klappentexte passen perfekt zusammen und geben das Lebensmotto der beiden Personen wieder, um die es in diesem kleinen Buch geht: „Nichts wie sparen sparen sparen“ als Lebensmotto der Mutter, und hinten „Nichts wie schreiben schreiben schreiben“ als Lebensmotto des Autors.


    Es gibt momentan einige Romane, die sich mit der Demenzerkrankung und dem Sterben eines nahen Angehörigen befassen, und man kann sich dem menschlichen Anspruch dieser Romane nicht entziehen. Denn immer geht es auch darum, dass ein einzigartiger Mensch diese Welt verlässt und man ihm nun gerecht werden muss.


    In diesem kleinen Roman begleitet Wolf Haas seine an Demenz erkrankte Mutter die letzten Tage ihres Lebens und spürt ihrem Leben nach, vor allem den frühen Jahren. Marianne Haas war eine schwierige Frau. Ihr Lebensziel war Wohnungs-Eigentum, mit dem sie sich nach einer bedrückend ärmlichen Kindheit in die bürgerliche Gesellschaft einreihen wollte. Dieses Lebensprojekt gelingt ihr nicht, aufgrund der Inflation. Nun sieht sie sich ihr Leben lang als Opfer und wird eine verbitterte und boshafte Einzelgängerin. Ihre Klagen werden litaneiartig vorgetragen und ständig wiederholt, sehr zum Leidwesen ihres Sohnes, der genervt ist von ihren "tristen Erinnerungen". "Nur lauter Armutssachen und Depressionsgeschichten" (S. 87), sagt er, und die seltenen, unwillkommenen Besucher werden "hinausgeseufzt" (S. 92). Das spricht nicht für eine glückliche, sorglose Kindheit.


    Erst als Marianne Haas durch den Tod ihres Mannes ein Grab und damit „Eigentum“ hat, fällt ihre Verbitterung teilweise von ihr ab. „1,7 qm in bester Lage“, das ist nun ihr Wohnungseigentum, in das sie in den nächsten Tagen übersiedeln wird.


    Und so ist dieses Buch auch eine Art Bewältigungstherapie, wie sie schon in Haas‘ Buch „Junger Mann“ anklingt. Haas, der sich selber als „externe Festplatte“ seiner Mutter sieht, schreibt sich hier von seinen "tristen Erinnerungen" frei und nähert sich seiner Mutter versöhnlich wieder an. Dieser versöhnliche Abschied wird besonders deutlich in der Schlussszene, in der Haas sehr emotional und zugleich elegant den Bogen zur Anfangsszene zurückschlägt.


    Haas erzählt seinen Roman in zwei Zeitebenen und in zwei Stimmen, seiner eigenen und der der Mutter, die zunehmend stärker miteinander verwoben werden. Beide Stimmen unterscheiden sich deutlich voneinander, weil der Erzählstrang der Mutter sich dem mündlichen Erzählen annähert durch die Verwendung kurzer, teils unvollständiger Sätze, durch Wiederholungen und durch dialektale Ausdrücke. Die Sprache des Erzählers dagegen erinnert an die vorigen Romane: sprunghafte Gedanken, originelle Assoziationen, sprachliche Komik. Oft genug bewegt er sich an einer emotionalen Grenze, aber niemals sind seine Bemerkungen unsensibel, entwürdigend oder geschmacklos, weil er niemals die Gesamtsituation aus den Augen verliert. Dennoch macht er deutlich, wie skurril er das Lebensmotto seiner Mutter findet, aber mit seinem trockenen Humor nimmt der Autor dem ernsten Thema die Schwere und vermeidet zugleich Sentimentalität und Larmoyanz.


    Trotz einiger Längen im Mittelteil:

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    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Wolf Haas ganz persönlich


    Wolf Haas schreibt über seine Mutter, eine Frau, die sich selbst als ewiges Opfer sah, wenn sie erzählte. Sie wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden, sie starb mit fast 95 und Haas schildert ihr Leben. Erzählungen aus ihrer Perspektive, authentisch und im ihr eigenen Sprachstil wiedergegeben, die er abwechselnd mit seinen eigenen, oft assoziativen Überlegungen und Kommentaren niederschreibt, auch mit der Angst im Hinterkopf, die Erinnerungen der Mutter nie mehr loswerden zu können. Zu oft hat sich ihm die rhetorische Trias eingeprägt, die die Mutter meisterlich beherrschte. Trotz Arbeit, Arbeit, Arbeit und sparen, sparen, sparen blieb ihr der Erwerb von Eigentum verwehrt, ihr lebenslanger großer Kummer.

    Haas verbringt während der letzten drei Tage seiner Mutter viel Zeit bei ihr im Pflegeheim und trotz ihrer Demenz gelingt es ihm immer wieder, zu ihr durchzudringen. Seine Erzählung zeugt von Respekt und Liebe, ist aber auch eine Auseinandersetzung mit der Kindheit als Sohn dieser Mutter. Haas reflektiert seine Prägung, sein Tun, sein Leben, arbeitet sich an der Mutter ab, erzählt auch von seinen eigenen Erinnerungen. Dabei schreibt er feinsinnig humorvoll, bewegend, mit scheinbarer Leichtigkeit, pointiert und lässt teilhaben am Leben der Marianne Haas, das sicherlich dem Leben vieler Menschen ihrer Generation ähnelt, wie Geschichten aus meiner eigenen Familie vermuten lassen.


    Das Cover ist außergewöhnlich, es sieht aus wie gebrauchtes Packpapier mit einem auffälligen Stempel und passt perfekt zum Buch. Unter dem Schutzumschlag kommt überraschend die Zeichnung eines alten Handys zum Vorschein, dessen Bedeutung für den Autor am Ende des Romans klar wird und mich abschließend berührt. 'Eigentum' zeigt eine sehr persönliche Seite des Autors, die ich gern kennengelernt habe.

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  • Ein geprägtes Leben


    Wolf Haas berichtet in Eigentum vom Leben seiner fünfundneunzigjährigen Mutter, die im Sterben liegt und zwei Tage später in ihre letzte Wohnung einzieht. Ein Leben, das geprägt von Arbeit und Armut war und dem Gefühl, nie genug zu haben.


    Wolf Haas berichtet humoristisch über die Zeiten mit seiner Mutter und ihren Erzählungen über ihr Leben. Die Geschichte wechselt dabei ständig die Perspektiven, was zu Beginn noch sehr verwirrend ist. Die Erzählungen der Mutter lesen sich wie sprachliche Übermittlungen ihrerseits, viele Abbrüche, Einschübe und Dialekte machen das Verständnis zeitweise schwierig und anstrengend und auch wenn mich das Buch teilweise sehr gut unterhalten hat, fehlte mir zum Schluss die letzte Pointe.


    Am Ende bleibt die Geschichte von Mariann Haas, die geprägt von der Inflation, durchs Leben schritt. Auch wenn man sein eigenes Leben nicht mit ihrem vergleichen kann, so bleibt in der Reflexion über das Gelesene am Ende doch die Erkenntnis, worauf es im Leben ankommen sollte und worauf eben nicht.


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  • „Am Ende hieß es noch, ich hätte mich über sie lustig gemacht. Man schuldet ja allen einen gewissen Respekt. Auch jenen, die es vielleicht nicht wahrnehmen, wenn man ihn nicht zeigt. Man kann auch den Verlöschenden und vor sich hin Dämmernden nicht irgendwas erzählen, nur weil es langweilig ist mit ihnen. Man darf unterlegene Menschen nicht auf die Schaufel nehmen. Man darf Schwachsinnige nicht verarschen, man darf kleine Kinder nicht verarschen, man darf Behinderte nicht verarschen. Im Prinzip darf man überhaupt niemanden verarschen, fürchte ich. Schon gar nicht seine sterbende Mutter.“ (S. 8, Haas)


    Wolf Haas besucht das Altersheim, in dem seine 95-jährige Mutter wohnt, die in drei Tagen sterben wird. Haas tut gar nicht so, als ginge sie ihm nicht auf die Nerven. (Unausgesprochen: Ich darf doch etwas dement sein, wenn ich meinen Sohn bitte, meinen längst verstorbenen Eltern eine Nachricht zu überbringen.) Ausgesprochen: „Meine Mami und mein Tati, wo sie jetzt sind, ich weiß nicht wie es da heißt, aber du kannst dort mit dem Handy anrufen und ihnen sagen, dass es mir gut geht.“

    Das Gejammer tönt ihm noch in den Ohren: „Immer nur sparen, sparen, sparen.“ Immer nur „arbeiten, arbeiten, arbeiten“.


    Und im Rückblick Geschichte: Die seiner Mutter und der Familie und die Österreichs, von einer Frau, die 1923, ins Jahr der Superinflation, hineingeboren wurde.

    Sicher Autofiktion, aber weder geschmacklos noch sentimental. Von Seite zu Seite verschwindet der lapidare Ton, der Sohn erzählt von der Mutter, die in Zeiten jung gewesen ist, als fast jeder ein Schicksal hatte und nicht nur ein Leben mit Aufs und Abs. Krieg. Krankheit. Gewalt. Tod überall. Und die Hoffnung auf das Eigenheim, das sich nie erfüllt hat. Bis jetzt. Seit vielen Jahren steht schon ihr Name auf dem Grab, ihre eigenen Kubikmeter nun bereit, bezogen zu werden – nur ein Datum fehlt.


    „Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging." (W. Haas)


    Wolf Haas, Autor beim Carl Hanser Verlag, wovon viele seiner Kollegen nur träumen.

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