Martin Schäuble – Alle Farben grau

  • Klappentext/Verlagstext

    Paul begeht Suizid. Seine Familie, seine Freunde und sein restliches Umfeld müssen damit klarkommen. Der Roman von Martin Schäuble folgt einer wahren Geschichte.

    Paul ist sechzehn und war schon immer ein bisschen eigen: Er lernt Japanisch und hört Musik, die keiner in seinem Alter kennt. Er ist unheimlich schlau und könnte alles erreichen, wären da nicht seine Ängste und Abgründe. Über die spricht er lange nicht, erst in der Jugendpsychiatrie. Dort lernt er die junge Alina kennen, die seine Liebe zu Katzen teilt und ihn Jesus nennt. Nach der Zeit dort kehrt er zurück in sein normales Leben, und alle haben riesige Hoffnung. Außer einem, der sich längst verabschiedet.
    Nach einer wahren Geschichte: aufrüttelnd und tragisch - Hochaktuell und relevant: Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen nehmen seit Jahren dramatisch zu - Als Unterrichtslektüre zu den Themen Depression und Suizidprävention geeignet
    Für die Verwendung in der Schule ist unter fischerverlage.de/verlag/kita-und-schule ab voraussichtlich Ende August 2023 ein Unterrichtsmodell zu diesem Buch abrufbar.


    Der Autor

    Martin Schäuble, geboren 1978, studierte in Berlin, Israel und Palästina Politik und promovierte nach dreijähriger Recherche über zwei Dschihadisten. Als Autor ist er für seine kritischen Jugendbücher bekannt, die vielfach als Schullektüre eingesetzt werden. Bei Hanser veröffentlichte er den vielbeachteten Titel »Endland«, bei FISCHER KJB ist sind von ihm bereits die Dilogie »Die Scanner«/»Die Gesannten« sowie »Sein Reich«, »Cleanland« und »Godland« erschienen.


    Inhalt

    Mit 16 Jahren ist Paul einfach gegangen und hat sich das Leben genommen. Er wurde erst nach tagelanger Suche gefunden. Eltern, Geschwister, Klassenkameraden und Lehrpersonen sprechen über ihre Begegnung mit ihm und gelangen unweigerlich zur Frage, warum niemandem etwas aufgefallen ist. Wer hätte sich für Paul verantwortlich fühlen müssen? Zu Wort kommen außer Paul selbst Alina (Mitpatientin in der Psychiatrie), Noah (Freund, der Paul aus den Augen verloren hatte), Lien (chinesische Mitschülerin im japanischen Internat), Riku (Japanisch-Lehrer in Deutschland) und Pauls Eltern - beide Eltern. Die Rückblenden der Erzählerstimmen verlaufen nicht linear, mit ihrem Vorher/Nachher bilden sie Pauls Zerrissenheit glaubhaft ab. Die Vielfalt an Eindrücken fügt sich zur Wirkung eines Teppichs oder Quilts. Man könnte sich in der falschen Sicherheit wiegen, das gesamte Bild wahrzunehmen. „Alle Farben grau“ ist jedoch ein Buch über den Wald, den man (im Umgang mit psychisch Erkrankten) vor Bäumen nicht sieht, den Fleck im Bild, den in Pauls Fall die Beteiligten nicht wahrnehmen konnten und darum nicht rechtzeitig eingreifen.


    Mit seiner Eloquenz und Direktheit, seinem Mathe-Talent, endlosen Nerd-Monologen und seinem Bedürfnis nach Alleinsein war Paul schon immer ein Sonderling. Im Dschungel der Pubertät, seiner Japan- und Aikido-Leidenschaft, in rhetorischen Schlachten um Gott und die Welt kann ich mir gut vorstellen, wie schwer es war, hinter seine Maske zu blicken.


    Als Paul wegen Selbstgefährdung in die Psychiatrie eingewiesen wird, wird erst dort die Diagnose ADHS gestellt. (Martin Schäuble schreibt im Nachwort, dass 90% der Menschen, die Suizid begehen, eine unentdeckte psychische Erkrankung haben.) Diese Information schockierte alle Beteiligten, die sich theoretisch vorwerfen könnten, dass sie Paul nicht vor den Zumutungen seiner Umwelt schützen konnten.


    Der Jugendroman für Leser:innen ab 14 ist empathisch, temporeich und mit trockenem Humor verfasst. Man sollte sich zum Lesen Zeit nehmen und die zusätzliche Spur von Zitaten aus Filmen, Songtexten und PS-Spielen auf sich wirken lassen. Das Buch eignet sich als Klassenlektüre durch die vielfältigen Identifikationsmöglichkeiten, ich empfehle es Lehrenden wegen des blinden Flecks, der hier deutlich wird. Ein Unterrichtsmodell wird beim Verlag erhältlich sein. Hochinteressant ist Pauls Schicksal für Gleichaltrige, besonders Schüler, die als Peer-to-peer Mentoren zur psychischen Gesundheit geschult werden. Die Stimme von Pauls Eltern gibt Ratschläge zum Umgang mit verwaisten Eltern - und natürlich enthält das Buch eine Triggerwarnung/Contentnote.


    Fazit

    Als Vermittlerin von Jugendliteratur finde ich die Altersempfehlung von 14 Jahren angemessen. Als Mutter, die in ihrem Umfeld einen Schülerselbstmord “aus heiterem Himmel“ erlebte, würde ich meinem eigenen Kind das Buch erheblich früher zu lesen geben. Besser als Jugendliche/r ein forderndes Buch mit komplexer Erzählweise haben als unbeantwortete Fragen ...


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :study: -- Landsteiner - Sorry, not sorry

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Die verschiedenen angesprochenen Themen: Außenseiter zu sein, das lange nicht diagnostizierte Asperger-Syndrom, die Depressionen - sind nachvollziehbar erzählt. Und mir ging es auch so, dass ich die eingestreuten Songtexte, Filmzitate und Anspielungen auf die Computerspiele richtig interessant fand und - geht mit YouTube ja ganz einfach - zumindest die Lieder jeweils angehört habe. Die Perspektive der Außenstehenden - der Eltern, des Japanischlehrers, anderer Internatsschüler in Japan, des Mädchens, in das Paul sich verliebt hat, seines Schulfreundes Noah - fand ich auch richtig gut. Ich habe zum Glück noch keinen Schülerselbstmord in meinem Umfeld miterlebt.

  • Falls Filmempfehlungen hier o.k. sind: In der ARTE- Mediathek gibt es eine interessante Doku zum Thema Suizid (Überleben - Was wir über Suizide wissen), zum heutigen Welttag der Suizidprävention.